Dino-Fossilien ungeeignet als Vorlage für den Mythos vom Greif

Greif-Statue in Persepolis. Copyright/Quelle: Paul Keller (via WikimediaCommons) / CC BY-SA 2.0
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Greif-Statue in Persepolis.Copyright/Quelle: Paul Keller (via WikimediaCommons) / CC BY-SA 2.0

Greif-Statue in Persepolis.
Copyright/Quelle: Paul Keller (via WikimediaCommons) / CC BY-SA 2.0

Portsmouth (Großbritannien) – Der Greif, ein unmögliches Mischwesen aus Löwe und Raubvogel, gehört schon seit der Antike und bis heute zu den bekanntesten mythologischen Kreaturen. Eine aktuelle Untersuchung bezweifelt nun die lange gehegte Vorstellung davon, dass ebenso frühe wie falsch verstandene Fossilienfunde des Protoceratops die Grundlage für die Entstehung des Mythos waren. Auch als Erklärung für Legenden um antike und mittelalterliche Drachen diene das Szenario nicht.

Erstmals vor mehr als 30 Jahren von der Folkloristin Adrienne Mayor vorgeschlagen, galt die Theorie, dass frühe Funde von Fossilien des markanten Protoceatops schon durch Goldschgräber der Skythen in den zentralasiatischen Wüsten und deren Verbreitung über die einstigen Handelsrouten für die Entstehung des Mythos vom Greif verantwortlich waren, bislang meist unkritisch akzeptiert.

Tatsächlich finden sich heute noch zahlreiche und teils gut erhaltene Überreste der mit den auffallenden Nackenschilden und gewaltigen Schnäbeln bewehrten Dinosaurier in der Wüste Gobi. Durch den Schnabel könnte also durchaus auf den Kopf eines Raubvogels geschlossen und der Nackenschild als Reste von Flügeln gedeutet worden sein, während das restliche Skelett des Protoceatops durchaus an das eines gewaltigen Löwen erinnern könnte. Hinzu fanden und finden sich etwa in der Mongolei zahlreiche fossile Dinosauriereier und Gelege, die dann vielleicht in der Antike als Nester dieses Wesens gedeutet wurden. Laut dieser Theorie gelangten die vermeintlichen Knochen der Greife dann entlang von Handelsrouten in Richtung Südwesten, wo sich diese Vorstellungen im vorderasiatischen Raum, in Ägypten und dem Nahen Osten zum bis heute in zahlreichen Pop-Kultur-Varianten währenden Mythos (u.a. Harry Potter) verdichtetet haben sollen.

Grafischer Vergleich zwischen dem Skelett eines Protoceratops und antiker künstlerischer Darstellung des Greifs.Copyright/Quelle: Image compiled from illustrations in Witton and Hing (2024) / Dr. Mark Witton

Grafischer Vergleich zwischen dem Skelett eines Protoceratops und antiker künstlerischer Darstellung des Greifs.
Copyright/Quelle: Image compiled from illustrations in Witton and Hing (2024) / Dr. Mark Witton

In einer aktuell im Fachjournal Interdisciplinary Science Reviews“ (DOI: 10.1177/03080188241255543) veröffentlichten Studie haben die Paläonthologen Dr. Mark Witton und Richard A. Hing von der University of Portsmouth Mayors Theorie als eine der ersten nun kritisch untersucht und kommt zu dem Schluss, dass es sogar unwahrscheinlich sei, dass Protoceatops-Funde die Quelle der Mythen um den Greif sein konnten.

Hierzu hat Witton historische Aufzeichnungen zu solchen Funden, deren Eigenschaften und Verteilung untersucht. Das Ergebnis: Nahezu kein Detail stützt demnach die Vorstellung von diesen Fossilien als Inspiration für den Greif.

So wurden Protoceratops-Fossilien nahezu ausschließlich oft Hunderte von Kilometern von den archäologisch gut dokumentierten skythischen Goldgräberstätten gefunden. Umgekehrt wurde in keinem Fall früh-moderner Funde von Protoceratops-Fossilien bei den Ausgrabungen vor Ort Gold entdeckt.

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Zugleich hält Witton es für mehr als unwahrscheinlich, dass die Nomaden der Antike ganze Protoceratops-Skelette gefunden haben: „Es wird oft angenommen, dass Dinosaurierskelette halb freigelegt entdeckt werden, geradezu wie die Überreste kürzlich verstorbener Tiere. Tatsächlich sind aber in der Regel nur Bruchteile eines erodierenden Dinosaurierskeletts mit bloßem Auge sicht- und als solches erkennbar und scharfsichtige Fossilienjäger wissen, was sie da vor sich haben. Das ist höchstwahrscheinlich auch die Art und Weise, wie antike Völker, die in der Mongolei umherwanderten, auf Protoceratops-Fossilien stießen. Wollte man mehr sehen, so viel mehr, wie es nötig gewesen wäre, um Mythen über diese Tiere zu bilden, müssten sie das Fossil aus dem umgebenden Gestein herausgelöst haben. Das aber ist keine einfache Aufgabe und selbst mit modernen Werkzeugen, Klebstoffen, Schutzverpackungen und Präparationstechniken meist nur schwer zu schaffen. Es scheint wahrscheinlicher, dass Protoceratops-Überreste in ihrer Gänze und zusammenhängend weitgehend unbemerkt blieben – wenn die Goldsucher überhaupt da waren, um sie zu sehen.“

Auch die historisch geografische Verteilung von künstlerischen Darstellungen des Greifs stimme nicht mit diesem Szenario überein, so der Forscher. Zudem gebe es keine eindeutigen Belege für Protoceratops-fossilfunde in der antiken oder mittelalterlichen Literatur. Obwohl der Protoceratops das einzige Greif-ähnliche vierbeinige Tier mit einem derart vogelartigen Schnabel sei, fände sich auch in der Beschreibung des Greifs sich keinerlei Referenzen dafür, dass das Fabelwesen auf Skelettfunden beruhe, so Witton weiter. Stattdessen bestehen Greife stets aus Teilen zeitgenössisch lebender Tiere wie Katzenartige und Vögel.

„Alles an den Ursprüngen der Greifen ist mit ihrer traditionellen Interpretation als rein imaginäre Wesen konsistent, ebenso wie ihr Aussehen vollständig durch die Vorstellung als Chimären aus großen Katzen und Greifvögeln erklärt wird. Eine Rolle von Dinosauriern in der Greifen-Mythologie anzunehmen, insbesondere von Arten aus fernen Ländern wie Protoceratops, führt nicht nur zu unnötiger Komplexität und Inkonsistenzen in ihren Ursprüngen, sondern stützt sich auch auf Interpretationen und Vorschläge, die einer genauen Überprüfung nicht standhalten.“

Mittelalterliche Darstellung eines Greifen.Copyright: Gemeinfrei

Mittelalterliche Darstellung eines Greifen.
Copyright: Gemeinfrei

Zugleich unterstreichen die beiden Autoren um Witton dennoch die kulturelle Rolle von Fossilienfunden in der menschlichen Geschichte. So geben es zahlreiche Beispiele dafür, dass und wie Fossilien die Folklore beeinflusst habe, sogenannte Geomythen. Hier aber sei es eben wichtig, zwischen fossiler Folklore mit faktischer Grundlage — also Verbindungen zwischen Fossilien und Mythen, die durch archäologische Entdeckungen oder überzeugende Hinweise in Literatur und Kunst belegt sind — und spekulativen Verbindungen, die auf Intuition basieren, zu unterscheiden. „Es ist grundsätzlich nichts falsch an der Idee, dass antike Völker Dinosaurierknochen fanden und in ihre Mythologie einarbeiteten, aber wir müssen solche Vorschläge in die Realitäten der Geschichte, Geografie und Paläontologie einbetten. Andernfalls sind sie nur Spekulation“, kommentiert Richard Hing und Witton bemerkt abschließend: „Nicht alle mythologischen Kreaturen erfordern Erklärungen durch Fossilien. Einige der bekanntesten GeomythologienProtoceratops und Greifen, fossile Elefanten und Zyklopen sowie Drachen und Dinosaurier – haben keine evidenzielle Grundlage und sind rein spekulativ. Wir fördern diese Geschichten, weil sie spannend sind und intuitiv plausibel erscheinen. Dabei ignorieren wir aber unser wachsendes Wissen über fossile Geomythologien, die auf Fakten und Beweisen beruhen. Diese sind ebenso interessant wie ihre spekulativen Gegenstücke und verdienen wahrscheinlich mehr Aufmerksamkeit als vollständig spekulative geomythologische Szenarien.“

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Recherchequelle: University of Portsmouth, Interdisciplinary Science Review

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