Die Kopfpartie des Turiner Grabtuchs
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Padova (Italien) – Gläubigen gilt das sogenannte Turiner Grabtuch als heiligste Reliquie des Christentums – zeigt es doch offenbar ein fotoähnliches Abbild des Gekreuzigten auf dem Leinen eines Grabtuches. Skeptiker sehen darin – obwohl die Merkmale des Abbildes selbst bislang nicht befriedigend reproduziert werden konnten – nicht mehr als eine mittelalterliche Fälschung. Trotz einer wissenschaftlichen Analyse 1988, die das Alter des Tuches ins Mittelalter datierte und damit eine Fälschung zu bestätigen schien, hält eine auf wissenschaftlichem Niveau geführte Kontroverse um Herkunft und Authentizität des Grabtuchs von Turin bis heute an. Italienische Wissenschaftler haben nun Filterproben analysiert, die 1978 und ’88 während der damaligen Untersuchungen des Leinens an verschiedenen Stellen genommen wurden. Das Ergebnis zeichnet zwei mögliche Szenarien.
Wie das Team um Gianni Barcaccia vom Laboratorio di Genomica an der Università di Padova aktuell im Nature-Fachjournal „Scientific Reports“ (DOI: 10.1038/srep14484) berichtet, handelt es sich bei den analysierten Proben um Filterinhalte von Absaugungen der Zwischenräume zwischen dem Grabtuch und Hollandleinen, das in späteren Jahren als Verstärkung des ursprünglich Grabtuch aufgebracht wurde. Die Proben stammen von unterschiedlichen Teilen des Grabtuchs: von der Gesichtspartie, den Händen, Füßen und vom Gesäß der Körperabbildung – sowie von eben jenem Eckteil, das 1988 zur C-14-Altersbestimmung verwendet wurde.
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Negativansicht des Turiner Grabtuchs, Vorder- und Rückseite
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Alternativ zur Vorstellung, dass es sich bei dem Grabtuch von Turin um eine mittelalterliche Fälschung handelt – deren Provenienz in diesem Fall in Westeuropa zu verorten wäre – sind Grabtuchforscher darum bemüht, die Historie und den Weg des „heiligen Leinens“ bis ins angebliche Todesjahr Jesus Christus nachzuzeichnen.
Dieser Weg, so es sich tatsächlich um das Grabtuch Jesu handelt, beginnt demnach um das Jahr 30-33 im heutigen Israel. Nach Jahren in Verborgenheit soll das Tuch dann nach Edessa, dem heutigen Sanliurfa in der Türkei, und in der Folge 944 nach Konstantinopel, dem heutigen Istanbul verbracht und in den Besitz der byzantinischen Kaiser gelangt sein. Nach der Plünderung Konstantinopels im Jahre 1204 galt das Tuch dann erneut als verschollen. Es wird jedoch vermutet, dass es von Kreuzfahrern nach Athen gebracht und hier bis 1225 aufbewahrt wurde. Dokumente belegen von 1353 bis 1357 ein angebliches Grabtuch Christi, das im französischen Lirey und von 1502 bis 1578 in Chambéry aufbewahrt wurde, von wo es dann in den Besitz des Herzogs von Savoyen überging. Seit 1578 wurde das Grabtuch dann (mit einigen Ausnahmen Kriegszeiten) in der königlichen Kapelle der Kathedrale von Turin aufbewahrt, wo es seit 1694 in einem eigens angefertigten Schrein verborgen aufbewahrt und nur zu seltenen Anlässen öffentlichen ausgestellt wird.
Ziel der neuen Analysen war es herauszufinden, ob die im und auf dem Leinen vorhandenen DNA-Spuren von Pflanzen und Menschen eines der Szenarien – mittelalterliche Fälschung vs. 2000 Jahre altes und vergleichsweise weit gereistes Leinen – ausschließen oder bestätigen könnten.
Tatsächlich gelang es den Wissenschaftlern um Barcaccia aus den Filterpoben nicht nur das erhoffte biologische Material (Pollenpartikel, Zellfragmente, Fasern, Blut usw.) zu gewinnen, sondern daraus auch DNA zu extrahieren, diese entsprechend zu identifizieren und geografisch zuzuordnen: „Das Ergebnis dieser Analysen wurde dann bewertet, um zu bestimmen, ob die geografische Herkunft und Verteilung der chlorplastischen Pflanzen-DNA (cpDNA) und der menschlichen mitochondrialen DNA-Haplogruppen (mtDNA) neue Aufschlüsse über die Herkunft des Turiner Grabtuch zulassen.“
In den Filterproben vom Turiner Grabtuch identifizierte Pflanzen-cpDNA und ihre Herkunft
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Copyright/Quelle: Barcaccia et al. / Nature/Scientific Reports
„Zunächst einmal bestätigt die Tatsache, dass wir DNA aus den Filterproben extrahieren konnten frühere optisch-mikroskopische Analysen, wonach sich auf und im Grabtuch derartiges Material befindet“, so die Forscher. „Darüber hinaus bestätigt sich, dass das Grabtuch mit einer Vielzahl menschlicher Individuen in Berührung kam, die ihre Spuren darauf hinterlassen haben. (…) Diese Erkenntnis ist besonders wertvoll, wenn es darum geht, einen möglichen historischen Weg des Grabtuchs (…wie obig beschrieben) nachzuzeichnen, zu überprüfen oder gar verwerfen zu können (…) da das Szenario einer mittelalterlichen und damit vergleichsweise ‚jungen‘ Fälschung deutlich ältere Spuren außereuropäischer Herkunft ausschließen sollte. Bei einem Szenario eines rund 2000 Jahre alten, weit gereisten Grabtuchs aus dem Nahen Osten wären hingegen entsprechend alte pflanzliche und menschliche DNA mit einem Ursprung im Nahen Osten über Anatolien, Ost- und Westeuropa zu erwarten.“
Zusammenfassend kommen die Autoren der Studie zu folgenden Schlüssen:
„Die unterschiedlichen Pflanzenarten und zahlreichen taxonomischen Familien, die auf dem Turiner Grabtuch nachgewiesen werden konnten belegen, dass in den vergangenen Jahrhunderten eine Kontamination (mit entsprechendem biologischen Material) stattgefunden hat, die das Szenario bestätigt, dass das Leinen der Umgebung zahlreicher Orte im Mittelmeerraum ausgesetzt war. (…)“
In den Filterproben vom Turiner Grabtuch identifizierte menschliche mtDNA bzw. Haplogruppen und ihre Herkunft
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„Die Ergebnisse unsere Analysen menschlicher mtDNA vom Grabtuch stützen sowohl das eine als auch das andere Szenario vom Grabtuch entweder als i) von mittelalterlicher, westeuropäischer Herkunft und der späteren Anbetung als christliche Reliquie durch und den Kontakt mit Personen aus unterschiedlichsten geografischen Regionen als auch ii) einen deutlich älteren Weg des Leinens durch den Mittelmeerraum.“
(…) Selbst vor dem Hintergrund des zweiten Szenarios (einer Reise des historischen Grabtuches von Jerusalem über Sanliurfa, Konstantinopel, Lirey und Chambery bis ins heutige Turin) ist der Nachweis von mtDNA von Haplogruppen aus Indien eine Überraschung.
Eine Möglichkeit wäre natürlich, dass das Leinen im Laufe der Jahrhunderte (und durch die öffentliche Verehrung) in Kontakt mit Menschen aus eben diesem Kulturraum kam. Betrachten wir aber den Grad der DNA-Degeneration (…) so ist ein Szenario einer jüngeren Kontamination (die dieser speziellen DNA) sehr unwahrscheinlich.“
Stattdessen gebe es aber eine „alternative und zugleich verblüffende“ Erklärungsmöglichkeit für die vorgefundene mtDNA typisch indischer Herkunft, so die Forscher abschließend:
„Nach dieser könnte das Leinen selbst in Indien gewebt worden sein. Diese Möglichkeit wird zudem von der ursprünglichen Bezeichnung des Turiner Grabtuchs als „Sindone“ (Sindia/Sindien) gestützt, wie sie Gewebe bezeichnet, die aus Indien stammten.“
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