Liegt das Grab der Nofretete hinter dem des Tutanchamun?

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Die Büste der Nofretete im Ägyptischen Museum zu Berlin

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Tal der Könige (Ägypten) – Schon bei ihrer Entdeckung vor 93 Jahren sorgte die reich verzierte und geschmückte Grabkammer des Tutanchamun weltweit für Begeisterung. Das Grab galt seither eigentlich als eines der am genauesten untersuchten Pharaonengräber überhaupt. Jetzt sorgt das Grab KV62 erneut für Sensationsmeldungen – vermutet ein Ägyptologe doch hinter einer der Wände der Grabkammer das Grab der legendären Echnaton-Gemalin Nofretete.

Wie der Ägyptologe Nicolas Reeves, derzeit an der University of Arizona tätig, aktuell im Rahmen des „Amarna Royal Tombs Projectberichtet, leitet er seine Vermutung von einer Anzahl rechtwinklig verlaufender Risse und Unregelmäßigkeiten im kunstvoll bemalten Verputz einer Wand der Grabkammer des Kindkönigs ab. Diese wurden erst durch neue Scans der Grabkammer im Jahr 2014 sichtbar. Hinter diesen nördlichen Wandelementen vermutet Reeves einen oder mehrere geheime Gänge, die zu weiteren Kammern führen. Schon Howard Carter hatte seiner Zeit einen „Stauraum“ für alle Arten von Kannen, Truhen und Kisten entdeckt.

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Zudem verweist der Archäologe auf den sonderbaren Umstand, dass das Grab des Tutanchamum im Vergleich zu anderen Königsgräbern zwar reich verziert und mit kostbaren Grabbeigaben gefüllt, jedoch ungewöhnlich klein ist. Auch die Beigaben selbst erschienen schon dem einstigen Entdecker des Grabes, Howard Carter, eher ungeordnet und in Eile in dem Grab platziert. Spätere Untersuchungen zeigten sogar, dass ein Großteil dieser Objekte ursprünglich gar nicht für den „Kindkönig“ gedacht war. Für Kontroversen sorgte auch bereits die weltberühmte und nicht minder verzierte Totenmaske des jungen Pharao – nicht zuletzt wegen ihrer weiblichen Züge und Attribute wie etwa die durchlöcherten Ohrläppchen. Studie kamen sogar schon zu dem Schluss, dass die Maske gar nicht für Tutanchamun, sondern für eine seiner weiblichen Vorgängerinnen gedacht war. Auch die abgewinkelte Ausrichtung des Grabes ist eher typisch für das Grab einer ägyptischen Königin, statt für das eines Königs.

Reeves vermutet nun, dass das Grab des Tutanchamun dem eines seiner Vorgänger nur vorgelagert sei und dieses geschickt verberge. Erst die Gesamtanlage entspräche dann tatsächlich vergleichbaren und benachbarten königlichen Grabkammeranlagen.

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Skizze der von Reeves hinter der Nordwand des Tutanchamun-Grabes vermuteten Kammern.

Copyright/Quelle: N. Reeves

Auch andere Ägyptologen stimmen Reeves‘ Deutung der Wandstrukturen und unterschiedlichen Kunststile im Grab des Tutanchamun zu. So zitiert die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) den emeritierten Direktor des ägyptischen Museums in Berlin, Dietrich Wildung und seine Ehefrau Sylvia Schoske, die das Museum für ägyptische Kunst in München leitet, wie folgt: „Die neuen Fotos der Wände des Tutanchamun-Grabes liefern bislang unbekanntes Material zur architektonischen Struktur.“ Die Malereien lassen sich demnach in verschiedene Arbeitsphasen gliedern. „Das hat bislang niemand bemerkt. Die Existenz vermauerter Durchgänge scheint aufgrund der neuen Aufnahmen gesichert.“

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Laut Reeves‘ Argumentation kann es sich bei den vermeintlich verborgenen Kammern nur um das Grab eines Vorgängers Tunanchamuns handeln. Doch wer genau das war, ist bis heute selbst unter Ägyptologen umstritten. Von den in Frage kommenden Persönlichkeiten Nofretete, Neferneferuaten und Semenchkare wurden jedoch bislang keine Gräber bzw. Mumien entdeckt.

Hinter den drei Namen vermuten Reeves und auch andere Ägyptologen ein und dieselbe Person: Nofretete, die Gemahlin des einstigen „Ketzerkönigs“ Echnaton, der die bisherige Götterwelt des Alten Ägyptens durch den Kult der Aton-Sonnenscheibe ersetzte. Vor diesem Hintergrund und der späteren Rückkehr Ägyptens zu seinen alten Göttern, habe Nofretete vor der Regentschaft ihres Stiefsohns Tutanchamun nicht nur zweimal ihren Namen gewechselt, sondern auch den Pharaonenthron bestiegen.

Was zunächst als phantastische Idee Reeves‘ klingen mag, deuten auch die Berliner Ägyptologen Wildung und Schoske als, wenn auch noch nicht bewiesene, dafür aber gut begründete Theorie und weisen gegenüber der FAZ darauf hin, dass Reeves nicht nur einer der besten Kenner der Endphase Amarnas sei: „Reeves begründet seinen Schluss, dass Nofretete es war, für die das Grab konzipiert wurde, mit stichhaltigen Argumenten wie Grabplan und Stilistik der Malereien der Nordwand. Ein definitiver Beweis ist das nicht. Den kann erst die Öffnung der verschlossenen Räume liefern.“

Von einer solchen kostspieligen und Aufwendigen Öffnung sind die Archäologen um Reeves derzeit allerdings noch weit entfernt. Zunächst hofft Reeves mittels Radaruntersuchungen der vermuteten Hohlräume hinter den Wänden seine Theorie grundlegend bestätigen zu können.

– Reeves vollständigen Originalartikel finden Sie HIER

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