Studie zeigt, wo und wie Juden und Christen die Zehn Gebote veränderten

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Holzschnitt aus der Schedel’schen Weltchronik (1493).

Copyright: gemeinfrei

Münster (Deutschland) – Der Bibelforscher J. Cornelis de Vos legt erstmals eine vollständige Untersuchung aller antiken Texte zum sogenannten Dekalog, also den Zehn Geboten vor und zeigt damit, wie jüdische und christliche Gruppen die Verbote und Gebote verschärften oder erweiterten, um ihre Gruppenidentität zu stärken. Sexualethische Normen wurden angefügt, aber keines der Zehn Gebote über die Jahrhunderte je abgelehnt.

Die Zehn Gebote der Bibel waren in ihren ersten Jahrhunderten der Verschriftlichung nach neuesten Forschungen lange nicht so in Stein gemeißelt wie vermutet. „Gruppen von Juden und Christen veränderten sie zuweilen. Die eine Gruppe verschärfte das Tötungsverbot, eine andere erweiterte das Ehebruchverbot um sexualethische Normen, eine dritte fügte ein neues Gebot zum Bau eines Heiligtums hinzu“, erläutert Bibelforscher PD Dr. J. Cornelis de Vos vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ an der Universität Münster.

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Mit seiner jetzt im Verlag Brill in Leiden und Boston erschienen Monografie „Rezeption und Wirkung des Dekalogs in jüdischen und christlichen Schriften bis 200 n. Chr.“ liefert de Vos die erste Untersuchung sämtlicher von etwa 300 vor Christus bis 200 nach Christus, die auf den Dekalog zurückgreifen überlieferter jüdischer und christlicher Texte aus der Frühzeit der Zehn Gebote in der Antike vorgelegt, die sich auf die Normen des Dekalogs beziehen: „Die Menschen bezweifelten zwar nie, dass sich Gott mit den Zehn Geboten direkt an sie gewandt habe. Sie schreckten aber auch nicht davor zurück, den Dekalog umzuformen und eigene Normen daran zu binden. Sie schufen so feste Regeln, die ihre Gruppe nach innen stärken und nach außen abgrenzen konnten. Aber kein Gebot wurde je über die Jahrhunderte ausdrücklich abgelehnt.“

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Die Arbeit offenbart eine Bandbreite an Änderungen der Zehn Gebote, darunter vielfache Erweiterungen des Ehebruchverbots um sexualethische Normen: „Zahlreiche antike Schriftsteller – jüdische, christliche und heidnische – waren wie viele Zeitgenossen der Ansicht, die Begierde sei Wurzel allen Übels, und hegten eine gewisse Abneigung gegen Sexualität“, sagt der Forscher und führt weiter aus: „Die Texte fügten eine Reihe sexueller Praktiken hinzu, die als verwerflich galten und verboten werden sollten: Hurerei, Knabenschänderei, Homosexualität, Abtreibung oder das Töten von Neugeborenen aus Mangel an Verhütungsmitteln.“

Hintergrund
Was sind die Zehn Gebote?

Die Zehn Gebote sind eine Reihe von Geboten und Verboten des Gottes Israels in der Hebräischen Bibel. Dort stehen sie an zwei Stellen in leicht unterschiedlicher Version, zum Beispiel wird im Buch Deuteronomium (5. Mose) etwas ausführlicher als im Buch Exodus (2. Mose) begründet, warum alle den Sabbat als Ruhetag halten sollen. Der Dekalog wird als direkte Rede Gottes an sein Volk, die Israeliten, eingeleitet, und fasst Gottes Willen für das Verhalten ihm und den Mitmenschen gegenüber zusammen. Die Gebote des Dekalogs wurden vermutlich über mehrere Jahrhunderte mündlich überliefert, bis sie ihren Platz in der Tora, den ersten fünf Büchern der Bibel, fanden.
Quelle: uni-muenster.de

„Es gab viele Änderungen“, so der Autor, „doch niemand lehnte eines der Zehn Gebote ausdrücklich ab oder ersetzte es. Vielmehr wurde der hohe normative Rang genutzt, um weitere Regeln für ebenso verbindlich zu erklären.“

Die samaritanischen Juden gingen so weit, eine Einfügung direkt am Original vorzunehmen. „Die Samaritaner verdichteten die Zehn Gebote der Tora kurzerhand zu neun, um wahrscheinlich gegen Ende des 2. Jahrhunderts vor Christus ein anderes zehntes Gebot hinzuzufügen. Damit legitimierten sie den Bau eines Heiligtums auf dem Berg Garizim in Samaria in Konkurrenz zum jüdischen Tempel in Jerusalem – eine bewusste Abgrenzung von der Mehrheit der Juden.“ Auf diese Weise, in den Dekalog eingeflochten, erhielt das Gebot so hohe Verbindlichkeit. „Die Grundnormen einer Gruppe werden mit religiöser Normativität aufgeladen. Das ließ sich auch praktizieren, indem Normen zwar nicht in die Zehn Gebote aufgenommen, aber textlich in ihre Nähe gerückt wurden.“

Auch die bekannte Bergpredigt aus dem Neuen Testament war betroffen, wie der Bibelwissenschaftler zeigt: „Der Evangelist Matthäus verlangt Verschärfung mancher Gebote. So sagt Jesus im Evangelium, das 80-90 nach Christus entstand: Nicht erst das Töten sei ein schweres Vergehen, sondern auch bereits der Zorn oder Streit, denn sie könnten zum Totschlag führen. So wird der Streit erstmals ins Tötungsverbot einbezogen“, sagt de Vos. Ähnlich weite die Bergpredigt nach seinen Worten das Ehebruchverbot aus: Schon wenn ein Mann die Frau eines anderen Mannes begehrt, sei dies Ehebruch im Herzen. „Die Zehn Gebote der jüdischen Tora bleiben damit für Christen gültig, werden aber im Matthäus-Evangelium verschärft.“

GreWi-Kurzgefaßt
– Erstmals liegt eine vollständige Untersuchung aller antiken Texte zum sogenannten Dekalog, also den Zehn Geboten vor.
– Der Autor zeigt darin, wie jüdische und christliche Gruppen die Verbote und Gebote verschärften oder erweiterten, um ihre Gruppenidentität zu stärken.
– Zwar wurden sexualethische Normen angefügt, aber keines der Zehn Gebote über die Jahrhunderte je abgelehnt.

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