Jesus, Artus und Avalon – Studie findet keine archäologischen Grundlagen für Glastonbury-Legenden
Die Ruinen der Glastonbury Abbey.
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Glastonbury (Großbritannien) – Vier Jahre lang haben Archäologen und Historiker die Ergebnisse jahrzehntelanger archäologischer Grabungen rund um die einstige Abtei von Glastonbury in der südenglischen Grafschaft Somerset durchleuchtet. Das nun vorgelegte Ergebnis fällt ernüchternd aus: Weder für die Legenden rund um das Wirken Jesu‘, dessen Onkel Josef von Arimathäa, die erste christliche Kirche auf englischem Boden noch für das angeblich in den Kloster-Ruinen entdeckte Grab von König Artus gibt es historisch-archäologische belastbare Beweise, die weiter als das 12. Jahrhundert zurückreichen. Die Schlussfolgerung der Forscher lautet somit, dass nahezu sämtliche berühmten Legenden rund um die Galstonbury Abbey einen Erfindung damaliger Mönche sind.
Das Team aus 31 Experten rund um Professor Roberta Gilchrist von der University of Reading stellt in seinem Abschlussbericht fest, dass offenbar Generationen ihrer Vorgängerkollegen alleine schon „vom Mythos Glastonbury derart verzaubert waren, dass sie Beweise, die nicht mit den Legenden übereinstimmten, entweder unterdrückt oder leichtfertig fehlinterpretiert haben“, zitiert der britische „The Guardian“ die Forscher.
„Es war nicht unser Ziel, Glastonbury seiner Faszination zu berauben. Aber wir haben sämtliche unveröffentlichten Aufzeichnungen der Ausgrabungen im 20. Jahrhundert und heute noch existierende Funde und Beweise sorgfältig untersucht und überprüft“, erläutert Gilchrist.
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So konnten die Archäologen des „The Glastonbury Abbey Archaeological Archive Project“ beispielsweise keine Beweise für die Legenden rund um den sogenannten heiligen Dornbusch finden, die vor dem 17. Jahrhundert datieren. Der Legende nach soll es sich bei dem Busch um einen Sprössling jenes Weißdorns handeln, der dem Stab des Josef von Arimathäa entsprossen war, der hier 30 Jahre nach dem Tod von Jesus Christus an Land gegangen sein und in Glastonbury die erste Kirche auf englischem Boden gegründet haben soll.
Der Weißdorn innerhalb der Glastonbury Abbey
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Die Erzählung will weiterhin wissen, dass es sich bei dem Stab ursprünglich um den Stab Jesu Christi gehandelt haben soll. Noch heute gilt der Weißdornbusch als eines der Wahrzeichen von Glastonbury und zieht jedes Jahr Tausende von Besuchern an. Rund um die und in der Abtei gibt es mehrere angebliche Ableger dieses 2010 geschändeten Dornbusches (…GreWi berichtete). Laut Gilchrist ist der Dornbusch innerhalb der Abtei selbst (s. Abb.) sogar nur ein gewöhnlicher Weißdorn.
Auch für die Behauptung, in Glastonbury habe einst die älteste und erste christliche Kirche Englands gestanden, fanden die Archäologen keine belastbaren Beweise. Zwar stehe außer Frage, dass schon der Historiker William of Malmesbury im 12. Jahrhundert einen alten hölzernen Kirchenbau beschrieben hatte, doch habe es sich dabei wahrscheinlich um eine angelsächsische Kirche aus dem 7. Jahrhundert gehandelt – also nicht um ein Gebäude, dass bereits von direkten Zeitgenossen Jesu hier errichtet wurde. In diesem Brunnen soll, so die Legende, einst der Heilige Gral versteck worden sein. Einige Forscher vermuten den Kelch Jesu noch heute darin. Copyright: grenzwissenschaft-aktuell.de
„Die ursprünglichen Berichte von William of Malmesbury wurden nachweislich später ergänzt und vielleicht sogar von Mönchen derart angepasst, um den Status der Abtei zu bestärken.“
Den größten Schwindel unterstellen die Archäologen dann jedoch den Glastonbury-Mönchen nach dem großen Feuer im Jahre 1184, dessen verheerende Zerstörungen die Kirchenmänner vor große finanzielle Probleme stellte – nicht zuletzt, weil der vorherige Strom an Pilgern zusehends zurückging. Mit der Erfindung des Grabes des legendären König Arthur und dem Anspruch Glastonburys als das einstige Avalon, sollen die Mönche dieser Situation derart begegnet sei, dass sie sogar ein Bleikreuz mit der Grabesinschrift Arthurs fälschten. Während das Originalkreuz bereits seit Jahrhunderten verschollen ist, belegen Darstellungen davon, dass es sich ebenfalls um eine Fälschung aus angelsächsischer Zeit handelt, so Gilchrist.
Heute erinnert diese Tafel an den Fundort des angeblichen Grabes von König Artus und seiner Gemahlin Guinevere.
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„Während angesichts anderer Legenden noch die Möglichkeit wirklichen Glaubens oder von Missverständnissen besteht, muss ich leider sagen, dass die Mythen um Arthur und Guinevere in Glastonbury von den Mönchen frei erfunden wurden.“
Eine grafische Abbildung des Artus-Bleikreuzes, das angeblich über den sterblichen Überresten eines auffallend großen Mannes und einer kleineren Frau auf dem Gelände der Glastonbury Abbey gefunden wurde.
Selbst an den lange Zeit akzeptierten Ausgrabungen, Arbeiten und Schlussfolgerungen des Archäologen Ralegh Radford in den 1950er und -60er Jahren lässt die neue Untersuchung kein gutes Haar. Radford hatte behauptet, das Grab Arthurs und Guinevers gemeinsam mit dem ältesten Friedhof und dem vermeintlich ältesten sächsischen Kloster auf britischem Boden wiederentdeckt zu haben. „Radford lag in allen Punkten falsch“, so die Archäologin und führt weiter aus: „Sein Friedhof stammte in Wirklichkeit aus dem Mittelalter, sein Königsgrab war eine Schuttgrube, die vom 11. bis ins 15 Jahrhundert von Handwerkern benutzt wurde und neue geophysische Untersuchungen am Fundament des angeblichen Klosters zeigten, dass dessen Wände nicht mit dem eines Klosters übereinstimmen und es mit ziemlicher Sicherheit demnach auch überhaupt kein Kloster war.
Die neuen Entdeckungen, so berichtet der Guardian abschließend, sollen behutsam in die archäologische Neuinterpretation Glastonburys und einen neuen Reiseführer übertragen werden.
„Wir sind nicht angetreten, um den Glauben der Menschen zu zerstören“, zitiert die Zeitung die Archäologin abschließend. „Mehr als tausend Jahre Glauben und Legenden sind weiterhin Teil der immateriellen Geschichte dieses beeindruckenden Ortes.“
+ + + GreWi-Kommentar
Behauptungen, dass die Mythen und Legenden rund um Glastonbury eine Erfindung mittelalterlicher Mönche sind, sind nicht neu und gehören von jeher zum Standardrepertoire von Kritikern kirchlicher Legenden und Reliquienverehrung. Das gilt ebenso von jeher auch für Glastonbury.
Neu an dieser Studie ist hingegen, dass sich die Kritik auf archäologische Beweise bzw. auf deren Abwesenheit stützt. Das ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings bleiben Fragen offen (etwa ob sich die angelsächsische Kirche nicht vielleicht auch an Ort und Stelle eines früheres Gotteshauses befand…?).
Zudem ist die Abwesenheit archäologischer Beweise kein Beweis für irgend etwas. Man erinnere sich nur an die erst kürzlich gemachten Entdeckungen rund um Stonehenge, die uns erst seit einigen Monaten so viel Neues über den Steinkreis und seine Erbauer berichteten. Nur weil diese Funde erst kürzlich gemacht wurden, waren sie dennoch – unentdeckt – immer schon vorhanden und die Geschichte(n) und Legenden, deren Grundlage sie bilden, existierten auch ohne, dass wir von der Existenz dieser Beweise auch nur etwas ahnten.
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