GreWi-Interview: Wie Kometentrümmer das „intelligente Lichtmuster“ von KIC 8462852 erklären könnten

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Künstlerische Darstellung der Vorstellung eines Transits einer Kometenfamilie vor dem fernen Stern “ KIC 8462852″ (Illu.).

Copyright: NASA/JPL-Caltech

Saarbrücken (Deutschland) – Während das einzigartige Muster im Licht des fernen Sterns „KIC 8462852“ auch von einer gewaltigen künstliche Struktur um den Stern verursacht werden könnte, vermuten die meisten Astronomen und Astrophysiker jedoch, dass ein bislang noch unbekanntes astrophysikalisches Phänomen dafür verantwortlich ist. Allerdings sprechen die bislang beobachteten Eigenschaften des Sterns gegen eine Vielzahl bekannter natürlicher Erklärungen. Einzig eine Gruppe von Kometentrümmern deckt sich bislang mit den Beobachtungen. Wie Kometentrümmer das ansonst intelligent erscheinenden Lichtmuster erklären könnten, erläutert der Astrophysiker Massimo Marengo von der Iowa State University im Interview mit „Grenzwissenschaft-Aktuell.de“.

Zuvor hatte Massimo in einer Studie gezeigt, dass Untersuchungen des Sterns mit dem Infrarot-Weltraumteleskop „Spitzer“ (wie schon die früheren Daten des Weltraumteleskops „WISE“), keine Anzeichen dafür lieferten, dass die bislang einzigartige Abdunklung des Sternenlichts von KIC 8462852 von Asteroiden- oder Planetentrümmern in Folge einer Kollision im System um den Stern hervorgerufen wurde (…GreWi berichtete).

Stattdessen stütze das Ergebnis aber die Theorie, wonach eine Familie von Kometen den Stern auf einer sehr langgezogenen, exzentrischen Bahn elliptisch umkreisen könnte: „Den Kopf dieser Gruppe würde in diesem Fall ein sehr großer Komet bilden, der das Sternenlicht 2011 blockierte und damals erstmals vom Planetensucher-Teleskop ‚Kepler‘ als Transit registriert wurden. 2013 wäre, diesem Szenario folgend, der Rest der Gruppe in Form unterschiedlich großer Kometen und Fragmente vor dem Stern vorbeigezogen. Zur Zeit, als der Stern dann 2015 von Spitzer beobachtet wurde, wäre diese Kometenfamilie wieder deutlich weiter von dem Stern entfernt gewesen, hätte ihren langgezogenen Weg um KIC 8462852 fortgesetzt und deshalb auch keine Infrarotsignatur hinterlassen.“

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Dennoch blieben angesichts eines solchen Szenarios nicht nur bei einigen interessierten GreWi-Lesern sondern auch anderen Astrophysikern, wie etwa Jason T. Wright (dem Erstautor der Theorie, wonach das Lichtmuster jenem entspricht, wie es etwa von einem „Dyson-Schwarm“ gewaltiger Kollektoren-Einheiten um den Stern verursacht werden würde; …GreWi berichtete), einige Fragen offen.

Diese Fragen hat GreWi-Herausgeber Andreas Müller, Massimo Marengo im folgenden Interview gestellt:

GreWi: Mr. Marengo, die WISE- und Spitzer-Daten schließen planetare und Asteroidenfragmente als Erklärung für das merkwürdige Lichtmuster eigentlich aus. Sie und Ihre Kollegen interpretieren die Abwesenheit der hierfür charakteristischen Wärmesignaturen im System um „KIC 8462852“ statt dessen als Unterstützung der Theorie, dass es sich um eine Gruppe aus Kometen bzw. Kometentrümmern handelt, die die beiden Transitereignisse hervorgerufen haben.

Würde dieses Szenario aber nicht eine enorme Dichte oder Größe dieser Kometen voraussetzen, während Kometen, wie wir sie bislang aus unserem eigenen Sonnensystem kennen, normalerweise sehr weit voneinander entfernt sind? Immerhin kam es ja teilweise zu einer Verdunkelung von mehr als 20 Prozent.

Würde man hierzu nicht die ganze Kometenmasse unseres eigenen Systems benötigen, die zudem auf einen Punkt im Raum derart konzentriert werden würde, dass bei diesem Vorgang nicht fast schon ein Planet von der Größe einer „kleinen Sonne“ entstehen müsste?

Massimo Marengo: Damit haben sie eigentlich recht: Man bräuchte tatsächlich einen ziemlich großen Körper, um zeitweilig genügend Trümmer zu erzeugen, damit bei dessen Vorbeizug (Transit) 20 Prozent des Sterns verdunkelt werden können

01677Massimo Marengo
Copyright/Quelle: Marengo / cfa.harvard.edu

Erste grobe Berechnungen haben uns gezeigt, dass dieses Objekt mindestens die Größe eines kleinen Mondes oder eines großen Kuiper-Gürtel-Objekts – etwa eines „kleinen Pluto – gehabt haben müsste.

Beachten Sie aber, dass laut unserer Vorstellung die 20-prozentige Abdunkelung des Sterns nicht von dem Objekt selbst während eines Transits hervorgerufen worden wäre, sondern von den Fragmenten und Partikeln, die etwa durch die stellare Strahlung von dessen Oberfläche gerissen worden wären, als dieser Körper seinen Stern nahe genug passierte. Grundsätzlich sprächen wir also vom Schweif und der der Koma eines Kometen, die für die Lichtabschwächung verantwortlich wären. Kometenschweife sind meist sehr groß, selbst wenn der Kern ziemlich klein ist. Dennoch bleibt es dabei, dass es immer noch eine ganze Menge Material wäre, das dieses Modell benötigt. Allerdings nicht im Maßstab einer, wie sie es sagen, „kleinen Sonne“.

Die Kepler-Daten zeigen, dass sich die beiden Transitereignisse 750 Tage von einander getrennt ereignet hatten. Beim ersten Ereignis (2011) handelte es sich noch lediglich um eine einfache Abschwächung. Hier könnte man sich nun auch ein einzelnes Objekt vorstellen, dass vor dem Stern in dessen Nähe vorbeizieht und hierbei einen großen Staubschweif entwickelte, der das Licht um etwa 15 Prozent abdunkelte.

2013 gab es dann eine zweite Passage: Dieses Mal wäre das Objekt jedoch (möglicherweise durch die Gezeitenkräfte, denen es bei der vorigen Passage ausgesetzt war) in mehrere Fragmente zerrissen worden, weshalb es zu dem beobachteten mehrfachen und wiederholten Abschwächungen im Licht gekommen war. Jedes dieser Fragmente hätte sich dann wie ein kleiner Komet verhalten und so die mehr als 20 Prozent Abdunkelung erzeugt. Da diese Fragmente aber alle einst zum selben Mutterkörper gehörten, würden sie sich auch eine gemeinsame Umlaufbahn teilen und könnten so einige Zeit voneinander entfernt zu den unterschiedlichen Transits geführt haben.

Man würde also tatsächlich nicht die ganze Kometenmasse unserer Oortschen Wolke benötigen, um diese auf einem Punkt zusammenzupressen: Man bräuchte lediglich ein Kuiper-Gürtel-Objekt, das sich auf seinen Stern zubewegt und ließe es in dessen Nähe zerbrechen. Solche Kuiper-Objekte sind in der Regel sehr eishaltig und würden besonders große Schweige entwickeln, wenn sie ihrem Stern zu nahe kommen. Entsprechende Fragmente auf einer gemeinsamen Umlaufbahn würden Astronomen zunächst einmal wie eine Kometen-Familie erscheinen.

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Zwei bislang einzigartige, nicht-periodisch wiederkehrende Abdunklungen im Lichtmuster des Sterns „KIC 8462852“.

Copyright/Quelle: Boyajian et al.

GreWi: Sehen Sie noch andere Alternativen, die das Lichtmuster von KIC 8462852 erklären könnten und sich gleichzeitig mit den Beobachtungen mit „WISE“ und „Spitzer“ decken?

Marengo: Wir können immer noch nicht gänzlich ausschließen, dass die Abdunkelung durch einen gewaltigen Einschlag auf einem kleinen Planeten oder großen Asteroiden statt von einem kometenartigen Körper verursacht wurde. Diese Objekte besitzen meist aber eine eher kreisrunde Umlaufbahn und erzeugen mehr Staub statt eisiges Material mit einem hohen Albedowert. Die Infrarotdaten sind mit solchen Körpern und Vorgängen einfach sehr viel schlechter zu erklären. Derzeit benötigen wir noch mehr Daten, auch um zu sehen, wie sich das System mit der Zeit entwickelt.

GreWi: Mit Ihrem Einverständnis würde ich das von Jason Wright erdachte Szenario einer gewaltigen künstlichen Struktur (etwa eines Dyson-Schwarms) andenken. Könnten die WISE- und Spitzer-Daten auch dazu beitragen, mehr über die Eigenschaften einer solchen künstlichen Struktur zu erfahren?

Marengo: Wir sind noch weit davon entfernt, sämtliche natürlich-astrophysikalischen Erklärungen ausschließen zu können. Wenn wir aber Jasons Szenario durchspielen wollen – und sei es nur mal so zum Spaß – so wären Infrarotbeobachtungen wohl der Schlüssel bei der Charakterisierung einer solchen Struktur.

Es macht keinen Unterschied, wie hoch entwickelt diese Struktur wäre. Jede Struktur müsste den Gesetzen der Thermodynamik folgen und würde insbesondere Hitze streuen. Dadurch würde reichlich infrarote Strahlung erzeugt. Während die WISE-Mission ja schon beendet ist, könnte hier „Spitzer“ zum Einsatz kommen.

Anhand der bisherigen Beobachtungen zweier Transitereignisse im Abstand von 750 Tagen, sollte es im Mai 2017 wieder soweit sein. Spätestens dann sollte der Stern erneut ins Visier genommen werden, um mehr über die Natur der das Sternenlicht verdeckenden Körper zu erfahren – ganz gleich, was sie auch sind.

GreWi: Mr. Marengo, ich bedanke mich für die interessanten Erklärungen und Ausführungen.

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