Neue Funde legen nahe: Wiege der Menschheit lag in Südosteuropa – nicht in Afrika

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Diese wissenschaftliche Illustration zeigt „El Graeco“ (Graecopithecus freybergi) vor 7,2 Millionen Jahren in einer staubbelasteten Savannen-Landschaft im Athener Becken. Der Blick weist von der Fundstelle El Graecos, Pyrgos Vassilissis, nach Südost über die von einer roter Wolke mit Sahara-Staub bedeckte Athener Ebene; im Hintergrund das Hymettos Gebirge und der Lykabettos Berg.

Copyright/Quelle: Velizar Simeonovski / uni-tuebingen.de

Tübingen (Deutschland) – Nicht in Afrika, sondern auf dem Balkan haben Wissenschaftler Hinweise auf eine 7,2 Millionen Jahre alte Vormenschen-Art gefunden und rütteln damit an der bisherigen Lehrmeinung über Afrika als sogenannte „Wiege der Menschheit“ und vermuten zugleich, dass sich die Entwicklungslinien von Schimpansen und Menschen hier möglicherweise mehrere hunderttausend Jahre früher getrennt haben als bislang angenommen.

Wie das Team um Professorin Madelaine Böhme vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen und Nikolai Spassov von der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften aktuell in zwei zeitgleich erschienen Publikationen im Fachjournal „Plos One“ (DOI: 10.1371/journal.pone.0177347 / DOI: 10.1371/journal.pone.0177127) berichtet, haben sie zwei Fossilfunde des Graecopithecus freybergi mit modernsten Methoden untersucht und sind dabei zu dem Ergebnis gekommen, „dass es sich um eine bisher unbekannte Vormenschenart handelt.“

Auf der Grundlage dieser Schlussfolgerung vermuten die Wissenschaftler zudem, „dass die Abspaltung der menschlichen Linie im östlichen Mittelmeerraum stattgefunden hat und nicht – wie bisher vielfach angenommen – in Afrika.“

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Die Frage, wann sich der nächste, heute noch lebende Verwandte des Menschen, der Schimpanse, vom Meschen trennte, bzw. wann also ihr letzter gemeinsamer Vorfahr lebte, ist von jeher ein zentrales und höchst umstrittenes Forschungsthema der Paläoanthropologie: „Bislang nimmt die Forschung an, dass sich die Linien vor fünf bis sieben Millionen Jahren trennten und die erste Vormenschenart im heutigen Afrika entstand“, erläutert die Pressemitteilung der Universität Tübingen und führt dazu weiter aus: „Nach der Theorie des französischen Paläoanthropologen Ives Coppens von 1994 könnten dabei Klimaveränderungen in Ostafrika eine entscheidende Rolle gespielt haben. Mit der neuen Studie entwirft das Forscherteam aus Deutschland, Bulgarien, Griechenland, Kanada, Frankreich und Australien nun ein völlig anderes Szenario für die früheste Menschheitsgeschichte.“

Im Rahmen ihrer Studie untersuchten die Forscher um Böhme und Spassov die beiden einzigen bekannten Funde des Hominiden Graecopithecus freybergi: einen Unterkiefer aus Grabungen in Griechenland sowie einen Zahn aus Bulgarien. „Mittels Computertomografie machten die Forscher die interne Struktur der Fossilien sichtbar und zeigten, dass die Wurzeln der Vorbackenzähne weitgehend verschmolzen waren.“

Unter anderem genau dieser Umstand unterscheidet nun jedoch Menschen, Urmenschen und einige Urmenschenarten (Ardipithecus und Australopithecus) von Menschenaffen, die üblicherweise zwei oder drei getrennte Zahnwurzeln besitzen.


Unterkiefer des 7,175 Millionen Jahre alten Graecopithecus freybergi (El Graeco) aus Pyrgos Vassilissis, Griechenland (heutiges Stadtgebiet von Athen).

Copyright: Wolfgang Gerber, Universität Tübingen

Der auf die Bezeichnung „El Graeco“ getaufte Unterkiefer (s. Abb.) weise darüber hinaus auch noch weitere Merkmale an Zahnwurzeln auf, die nach Einschätzung der Experten nun darauf hindeuten, dass es sich bei Graecopithecus um einen Vertreter der Vormenschen (Tribus Hominini) handeln könnte. „Wir waren von unseren Ergebnissen selbst überrascht, denn bislang waren Vormenschen ausschließlich aus Afrika südlich der Sahara bekannt“, erklärt der Tübinger Doktorand Jochen Fuss, der diese Untersuchung durchführte.

Darüber hinaus datierten die Wissenschaftler das Alter des Graecopithecus mehrere hunderttausend Jahre vor dem bisher als frühesten potenziellen afrikanischen Vormenschen, der sechs bis sieben Millionen Jahre alte Sahelanthropus aus dem Tschad.

Aufgrund der sedimentären Abfolgen der Fundstellen in Griechenland und Bulgarien kommen die Forscher auf ein nahezu übereinstimmendes Alter beider Fossilien von 7,24 bzw. 7,175 Millionen Jahre. „Dies war der Beginn des sogenannten Messinium, an dessen Ende es zur Austrocknung des Mittelmeeres kam. (…) Mit dieser Datierung lässt sich die Trennung der Vormenschen- und der Schimpansen-Linie in den östlichen Mittelmeerraum verlegen“, so die Forscher.

Ähnlich wie bei der Theorie, nach der die ersten Vormenschen in Ostafrika entstanden sind, geht auch das Team um Böhme nun davon aus, dass eine dramatische Umweltveränderung zur Entstehung des Vormenschen geführt hat: Wie die Autoren der Studie anhand geologischer Untersuchungen an Sedimenten, aus denen beide Vormenschen-Reste geborgen wurden erläutern, sei die Sahara in Nordafrika bereits vor mehr als sieben Millionen Jahren entstanden:

Parallel zur Entstehung der Sahara in Nordafrika, habe sich – das zeigen die Wissenschaftler ebenfalls in ihren Arbeiten – in Europa eine Savannenlandschaft in ausgebildet. Das wiederum passe dazu, dass gemeinsam mit Graecopithecus Fossilien von Vorfahren der heutigen Giraffen, Gazellen, Antilopen und Nashörner gefunden wurden.

„Die Entstehung einer ersten Wüste in Nordafrika vor mehr als sieben Millionen Jahren und die zeitgleiche Ausbreitung von Savannen in Südeuropa könnten eine zentrale Rolle für die Trennung der menschlichen Stammlinie von der Abstammungslinie der Schimpansen gespielt haben“, so Böhme abschließend.

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