200 Jahre zuvor: War das Werk des Ibn al-Shatir Vorbild für Kopernikus‘ Weltbild
Schardscha (Vereinigte Arabische Emirate) – Neue Forschungsergebnisse der Universität Sharjah legen nahe, dass das berühmte heliozentrische Weltbild von Nikolaus Kopernikus starke Parallelen zu einem Modell aufweist, das der arabisch-muslimische Astronom Ibn al-Shatir bereits rund 200 Jahre zuvor entwickelt hatte.

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Kopernikus (1473–1543) gilt als Begründer des modernen, heliozentrischen Weltbilds, das damals mit der kirchlich akzeptierten Lehre brach, wonach die Erde nicht nur das Zentrum unseres Planetensystems sondern auch des gesamten Universums steht.
Weniger bekannt ist jedoch, dass bereits im 14. Jahrhundert Ibn al-Shatir aus Damaskus ein ähnliches Modell vorschlug, das die Fehler des ptolemäischen geozentrischen Systems zu korrigieren versuchte.
Ein Team um Dr. Salama Al-Mansouri verglich in einer Dissertation Kopernikus’ Hauptwerk „De revolutionibus orbium coelestium“ mit Ibn al-Shatirs Traktat „Nihāyat al-Sul fī Taṣḥīḥ al-Uṣūl“ („Das letzte Ziel in der Korrektur der Prinzipien“). Das Ergebnis der Analyse zeigt auffällige Ähnlichkeiten in den mathematischen Modellen beider Astronomen – besonders bei den Bewegungen von Mond und Planeten wie Merkur.
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Obwohl es keine Beweise für eine direkte Lektüre von Ibn al-Shatirs Schriften durch Kopernikus gibt, legt die Studie nahe, dass dessen Ideen über Zwischenquellen nach Europa gelangt sein könnten – etwa über Übersetzungen arabischer Handschriften, die sich im 15. Jahrhundert in Krakau oder im Vatikan befanden. Hier studierte auch Kopernikus.
Besonders auffällig ist laut Prof. Mesut Idriz, Mitbetreuer der Arbeit, dass beide Astronomen ähnliche geometrische Konstruktionen und Rechenmethoden verwendeten. Ibn al-Shatir eliminierte z. B. die „Exzentrizität“ (einen zentralen Kritikpunkt an Ptolemäus‘ Theorie) durch zusätzliche Epizyklen – ein Verfahren, das später auch Kopernikus nutzte, nun jedoch in einem heliozentrischen (Sonne als Zentrum) Rahmen.
Auch das sogenannte Tusi-Paar – eine mathematische Methode zur Simulation linearer Bewegungen – wurde sowohl von Ibn al-Shatir als auch von Kopernikus verwendet. Es war ursprünglich vom persischen Gelehrten Nasir al-Din al-Tusi (13. Jh.) entwickelt worden und galt in der islamischen Astronomie als wegweisend.
Ein Beispiel für die Parallelität ist das Mondmodell beider Forscher: Beide reduzierten die von Ptolemäus postulierte Schwankung der Mondentfernung auf realistischere Werte – mit nahezu identischen Berechnungen.
Laut Prof. Mashhoor Al-Wardat, Astrophysiker an der Sharjah Academy for Astronomy, belegen die Ähnlichkeiten – insbesondere bei den Umlaufbahnen von Merkur und dem Mond – eine starke inhaltliche Verbindung zwischen beiden Modellen. Das werfe Fragen auf zur Übertragung wissenschaftlicher Erkenntnisse aus der islamischen Welt in die europäische Renaissance.
Obwohl Ibn al-Shatirs Weltbild noch geozentrisch (Erde im Zentrum) war, kamen seine Modelle rechnerisch oft zu denselben Ergebnissen wie Kopernikus’ heliozentrisches System. Dies zeige laut Dr. Salama, dass „empirische Verfeinerungen in einem alten Paradigma den Weg für spätere Umbrüche bereiten können.“

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Die Arbeit versteht sich auch als Kritik an einem eurozentrisch geprägten Wissenschaftsverständnis, das die Beiträge muslimischer Gelehrter oft übergehe, so die Forschenden. Eine entsprechende Neubewertung der Wissenschaftsgeschichte sei nötig, so Prof. Hamid al-Naimiy, Rektor der Universität Sharjah und Mitbetreuer der Studie. Ibn al-Shatir habe das ptolemäische Modell bereits zwei Jahrhunderte vor Kopernikus erfolgreich widerlegt und damit einen Meilenstein der islamischen Wissenschaft gesetzt.
Die Studie plädiert für eine Überarbeitung der Lehrpläne und eine inklusivere Darstellung der Wissenschaftsgeschichte. Sie betont, dass die islamische Gelehrsamkeit des Mittelalters wesentliche Grundlagen für die spätere europäische Wissenschaftsblüte legte – insbesondere in Mathematik, Astronomie und Manuskriptpflege.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Kopernikus’ Modell auf Ideen basiert, die bereits in Ibn al-Shatirs Werk zu finden sind. Die Wissenschaft entwickelt sich nicht isoliert – sie ist ein globales, vernetztes Projekt“, so Salama schließend.
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Recherchequelle: Universität Sharjah
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