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60. Jahrestag: Russische Behörden rollen Djatlow-Pass-Unglück neu auf

Eine der wohl letzten Aufnahmen der Gruppe selbst, zeigt einige Mitglieder noch am 1. Februar 1959 im Basislager. Das Foto stammt aus einer Filmrolle, die von den Suchtrupps vor Ort gefunden wurde.
Eine der wohl letzten Aufnahmen der Gruppe selbst, zeigt einige Mitglieder noch am 1. Februar 1959 im Basislager. Das Foto stammt aus einer Filmrolle, die von den Suchtrupps vor Ort gefunden wurde.
Copyright: Gemeinfrei

Moskau (Russland) – Vor 60 Jahren ereignete sich am sogenannten Djatlow-Pass ein „Unglück“, das bis heute sowohl unter Bergwanderern als auch unter Freunden des Rätselhaften als Mysterium und als Grundlage so mancher Gruselgeschichte und Verschwörungstheorie dient. Zum 60. Jahrestag haben russische Behörden nun erklärt, das Unglück erneut und ausführlich untersuchen zu wollen.

In der Nacht auf den 2. Februar 1959 fanden neun ski-wandernde Studenten des Polytechnischen Instituts des Ural am östlichen Hang des Berges Cholat Sjachl im nördlichen Ural einen ebenso mysteriösen wie bis heute ungeklärten Tod. Seither spekulieren Wissenschaftler, Forscher und Laien darüber, was sich damals im Lager der Wanderer am „Berg der Toten“ ereignet hatte.

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Wie die russische Nachrichtenagentur aktuell „TASS“ berichtet, organisiere die lokale Staatsanwaltschaft derzeit eine Neuaufnahme der forensischen Untersuchungen zu den Ereignissen vor 60 Jahren, um so gemeinsam mit den damaligen Ereignissen und Umständen auch die Frage zu klären, welche der zahlreichen Theorien rund um das Unglück vom Djatlow-Pass die zutreffende sei.

Hintergrund
Nachdem die Gruppe auch bis zum 20. Februar 1959 von ihrer Tour nicht zurückgekehrt war, begab sich eine Gruppe von freiwilligen Studenten und Lehrern – später auch mit Unterstützung von Armee und Miliz mit Flugzeugen und Hubschraubern – auf die Suche nach den Vermissten.

Gruppenbild einiger Teilnehmer kurz vor dem Aufbruch.
Gruppenbild einiger Teilnehmer kurz vor dem Aufbruch.
Copyright: gemeinfrei

Am 26. Februar erreichten die Rettungsteams das verlassene Camp der Gruppe. Das Zelt der Skiwanderer war stark beschädigt. Eine Spur von Fußabdrücken führte hangabwärts zur Grenze eines nahegelegenen Waldes, an dessen Rand der Suchtrupp die Überreste eines Feuers sowie die ersten beiden Leichen entdeckten. Beide waren barfuß und nur mit Unterwäsche bekleidet. In wenigen hundert Metern Entfernung fanden sich dann auch drei weitere Leichen. Die Leichen der restlichen Mitglieder der Gruppe wurden erst zwei Monate später unter meterhohem Schnee entdeckt.

Untersuchungen der Todesfälle kamen damals zu dem Ergebnis, dass die Wanderer ihr Zelt von innen heraus aufgeschlitzt, dieses barfuß und nur leicht bekleidet verlassen hatten. An den Leichen fanden sich keine Anzeichen eines Kampfes. Dennoch wiesen zwei Opfer Schädelbrüche auf, zwei andere hatten gebrochene Rippen, und einem weiblichen Opfer fehlte sogar die Zunge. Weitere Untersuchungen zeigten, dass die Kleider radioaktiv verseucht waren, während eine Quelle dieser Strahlung vor Ort nicht ausgemacht werden konnte. Zudem berichteten Angehörige, allerdings erst nach den Beerdigungen, dass die Haut der jungen Opfer tief gebräunt ausgesehen habe und die Haare komplett grau gewesen seien.

Sowjetische Untersucher legten sich abschließend nur darauf fest, dass „höhere Gewalt“ zum Tod der neun Wanderer führte. Der Zugang zu dem Gebiet wurde für drei Jahre nach dem Unglück gesperrt.

Laut TASS plant die Staatsanwaltschaft der Region Swerdlowsk unter Andrei Kurjakow insgesamt neun unterschiedliche Untersuchungen und will dann erste Ergebnisse und Details veröffentlichen.

Durch die erneuten forensischen Untersuchungen sollen, bisherige Lücken im Gesamtbild der Ereignisse geschlossen werden, so Kurjakow über die Internetseite seines Büros. Zudem solle eine psychiatrische Analyse das Verhalten und die Reaktionen der Opfer in normalen als auch Extremsituation neu einschätzen. Hierzu sollen psychologische Profile der neun Gruppenmitglieder anhand von Medienberichten, privaten Aufzeichnungen und Zeitzeugeninterviews erstellt werden.

Zudem soll ein Reenactment-Experiment detailgenau nachstellen, ob tatsächlich alle Mitglieder ihr Zelt durch das mit einem Messer geschlitzte Loch verlassen haben konnten und wie es zu den Todesfällen kommen konnte.

Zum Thema

Hintergrund
Die Ergebnisse der Untersuchungen fasst die deutsche Wikipedia wie folgt zusammen:

Eine gerichtliche Untersuchung wurde sofort nach dem Fund der ersten fünf Todesopfer begonnen. Die Obduktion fand keine tödlichen Verletzungen, was zum Schluss führte, dass alle an Unterkühlung gestorben waren. Eine Person hatte einen kleinen Riss im Schädel, von dem allerdings angenommen wurde, dass es keine tödliche Verletzung war.

Die Untersuchung der vier im Mai gefundenen Leichen zeigte ein anderes Bild. Drei Körper wiesen schwere Verletzungen auf: Die Leiche von Thibeaux-Brignolle hatte schwere Schädelfrakturen und Dubunina und Solotarew wiesen Rippenbrüche auf.

Die Kraft, die dafür nötig war, verglich ein Experte mit der eines Autounfalls. Bemerkenswert ist, dass die Leichen keine äußerlichen Wunden aufwiesen. Einer der beiden Frauen fehlten Teile ihres Gesichtsschädels, da sie unter der Eisdecke mit dem Gesicht in einem Fluss lag.

Zwischenzeitlich wurde angenommen, dass Angehörige des Volkes der Mansen die Gruppe angegriffen hatten, da diese in ihr Land eingedrungen war. Die Untersuchungen zeigten jedoch, dass die Umstände der Tode nicht zu dieser Theorie passen. Nur die Fußabdrücke der Wanderer waren zu sehen. Zudem waren keine Anzeichen für einen Kampf zu finden, und das Gebiet, in dem die Leichen gefunden wurden, zählte auch nicht zu bedeutenden, heiligen Plätzen des indigenen Volkes, die sie gegebenenfalls hätten verteidigen wollen.

Originalaufnahme des Suchtrupps am stark beschädigten und verlassenen Zelt der Gruppe.
Originalaufnahme des Suchtrupps am stark beschädigten und verlassenen Zelt der Gruppe.
Copyright: Gemeinfrei

Es gibt Beweise für das fluchtartige Verlassen des Zeltes während der Nacht.

Obwohl die Temperatur sehr niedrig war (ca. -25 °C bis -30 °C) und ein starker Wind wehte, waren die Toten nur leicht bekleidet. Einige hatten nur einen Schuh an, während andere gar keine trugen, sondern nur Socken. Weitere trugen Fetzen, abgeschnitten von der Kleidung der Toten.

In den noch vorhandenen Teilen der damaligen Untersuchungsakten wird folgendes festgestellt:

– Sechs der Gruppenmitglieder starben an Unterkühlung und drei an tödlichen Verletzungen.

– Es gab keine Hinweise auf weitere Personen neben den neun Wanderern am Cholat Sjachl oder in der Nähe.

– Das Zelt wurde von innen aufgeschlitzt.

– Die Opfer starben sechs bis acht Stunden nach ihrer letzten Mahlzeit.

– Spuren beim Camp zeigten, dass alle Personen inklusive derer, die verletzt gefunden wurden, eigenständig das Lager zu Fuß verließen.

– Bezüglich der Annahme eines Angriffs von Mansen (ein nordöstlich des Ural ansässiges finno-ugrisches Volk) erklärte ein Arzt, dass die tödlichen Verletzungen bei den drei Leichen nicht von Menschenhand erzeugt werden konnten, „weil die Kraft der Stöße zu stark war und keine Weichteile verletzt wurden“.

– Forensische Strahlungstests zeigten hohe Dosen an radioaktiver Strahlung an den Kleidungsstücken der Opfer.

Das letztendliche Urteil war, dass alle Gruppenmitglieder an einer „höheren Gewalt“ starben. Die Untersuchung wurde offiziell im Mai 1959 wegen der „Abwesenheit einer schuldigen Partei“ eingestellt. Die Akten wurden in einem geheimen Archiv versteckt. Kopien tauchten erst in den 1990ern auf, allerdings fehlen einige Seiten.

Zugleich berichtet die „TASS“, dass das Archiv der Djatlov Group Foundation mit sämtlichen Dokumenten und Hinterlassenschaften der Gruppenmitglieder an das Yeltzin Center Museum in Yekaterinenburg überstellt werden soll. Darin beinhaltet seien zahlreiche Fotos, Filmaufnahmen und persönliche Habseligkeiten der Opfer, zudem Objekte, die vor Ort gefunden wurden. Bislang könne man über den genauen Umgang des Archivs noch nicht viel sagen, zitiert die TASS den Verantwortlichen des Museums, Juri Kuntsewich. „Stellen sie sich aber einem randvoll gefüllten Container von 40x40x60 Zentimetern Größe vor, von denen es insgesamt sechs Stück gibt, die teilweise noch nicht sortiert oder gar erschlossen wurden.“ Ob auf der Grundlage dieser Archivübergabe die einstige Idee einer Sonderausstellung zum Unglück am Djatlow-Pass wieder aufgegriffen werde, wollte das Museum bislang noch nicht beantworten. „Wir sind auf jeden Fall dankbar, anhand dieses Archivs neue Einblicke auf das Ereignis erhalten zu können.“

Hintergrund
Zur Erklärung für die bizarren Umstände wurden seither verschiedenste Theorien angeführt. Während die einen vermuten, dass die Studenten Opfer einer Militäroperation oder gar eines geheimen Nukleartests wurden (letzteres sollte die gemessene Strahlung erklären, für die jedoch vor Ort keine Quelle gefunden werden konnte) und es in der Folge zu Vertuschungsversuchen durch die Behörden und Militärs kam, vermuten andere Theorien exotische bis übernatürliche Ursachen. So sind es vornehmlich die bizarren Todesumstände und die inneren schweren Wunden, zudem das Fehlen der Zunge eines Opfers, die für einige Beobachter in Richtung bekannter Phänomene wie Tierverstümmelungen oder auf einen Angriff eines mystischen Wesens, etwa einer Poltergeisterscheinung, der vampirartigen sogenannten Chupas oder der vor Ort bekannten nicht weniger umstrittenen Schneemenschen deuten.

Gruppenbild von vier der insgesamt neun Gruppenmitgliedern.
Gruppenbild von vier der insgesamt neun Gruppenmitgliedern.
Copyright/Quelle: Djatlov Memorial Foundation

Damit einhergehend wird das „Unglück am Djatlow-Pass“ von einigen Autoren immer wieder auch bizarren Ausformungen des UFO-Phänomens zugeschrieben. Tatsächlich berichtete eine andere Gruppe von Wanderern, die ca. 50 Kilometer südlich des Unglücksorts unterwegs war, in der Nacht des Unglücks ungewöhnliche, orangefarbene Kugeln am Nordhimmel beobachtet zu haben. Ähnliche „Kugeln“ wurden in Iwdel und angrenzenden Gebieten von verschiedenen unabhängigen Augenzeugen sowie dem meteorologischen Dienst und dem Militär zwischen Februar und März 1959 beobachtet. Eine später für diese Sichtungen präsentierte Erklärung vermutet, dass es sich bei diesen „Kugeln“ um den Schweif von R-7-Interkontinentalraketen gehandelt habe.

Andere Autoren wiederum sehen eine Kombination aller zuvor genannten Faktoren als des Rätsels Lösung an – eine Vorstellung, die gerade auch Eingang in die filmische Rezeption der Ereignisse, beispielsweise im Hollywood-Shocker „Devil’s Pass“ im Stile der sog. Found-Footage-Filme (Bsp. Blair Witch Project) Eingang fand.

Der Umstand, dass die offiziellen Untersuchungsakten umgehend unter Verschluss gerieten und selbst in den später aufgetauchten Akten bis heute einige Seiten fehlen, führte in den Folgejahren und bis heute zur Mythenbildung und zahlreichen Spekulationen rund um das Ereignis am später nach dem Gruppenanführer Igor Djatlow benannten Djatlow-Pass.

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Andreas Müller
Autor und Publizist
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Andreas Müller
(Kornkreisforscher)

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