Älteste Jagdszene der Welt belegt auch frühesten Glauben an das Übernatürliche
Brisbane (Australien) – Auf der indonesischen Insel Sulawesi haben Wissenschaftler eine Höhlenmalerei auf ein Alter von fast 44.000 Jahren datiert. Damit handelt es sich um die ältesten bislang bekannten Beispiele figürlicher Kunst. Die dargestellte Jagdszene offenbart auch, dass schon die frühen Menschen entweder an die Existenz übernatürlicher Wesen geglaubt oder erstaunlich komplexe mythologische Glaubensvorstellungen hatten.
Wie das Team um Maxime Aubert, Adam Brumm und Adhi Agus Oktaviana von der australischen Griffith University aktuell im Fachjournal “Nature” (DOI: 10.1038/s41586-019-1806-y) berichtet, wurden die Höhlenmalereien bereits vor zwei Jahren in der als „Leang Bulu’ Sipong 4“-Höhle im südlichen Teil Sulawesis entdeckt. Insgesamt handelt es sich um ein 4,5 Meter breites Wandgemälde, das Mischwesen aus Mensch und Tier bei der Jagd auf wilde Tiere mit Speeren und Seilen zeigt. Eine Altersbestimmung der Wandmalereien in der Kalksteinhöhle, datiert diese auf ein Alter von mindestens 43.900 Jahre und damit ins Jungpaläolithikum.
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„So wir wissen, ist diese Szene die älteste bislang bekannte bildliche Geschichtserzählung und das erste figurative Kunstwerk der Welt“, so die Forscher. Zuvor galten die 2014 entdeckten Tierdarstellungen im Innern einer Höhle auf Borneo, mit einem Alter von mindestens 40.000 Jahren als die ältesten Beispiele solcher Kunst. “Wir kennen hunderte von Beispielen für Felskunst in dieser Region, aber ich habe noch nie zuvor etwas wie diese Jagdszene gesehen“, zeigt sich Brumm von der Höhlenmalerei fasziniert.
Jahrzehntelang gingen Wissenschaftler davon aus, dass die Felsenkunst ihren Anfang in Europa genommen habe – eine Vorstellung, die von den seit einigen Jahren in Indonesien gemachten Entdeckungen mehr und mehr in Frage gestellt wird.
Die aktuell beschriebene Szene zeigt Tiere, bei denen es sich offenbar um Warzenschweine und kleine aber gefährliche Zwergbüffel (sog. Anoas) handelt, während die Jäger in rot-braunen Farben in Form menschlicher Körper mit Tierköpfen, vermutlich von Vögeln und Reptilien, dargestellt sind.
In der Mythologie wird die Darstellung derartiger Mischwesen eines menschlichen Körpers mit einem Tierkopf als Theriokephalie bezeichnet und ist besonders aus dem Schamanismus und dem Alten Ägypten bekannt.
Dass diese Mischwesen auch schon auf den fast 44.000 Jahre alten Felsmalereien aus Sulawesi zu sehen sind, spricht für die Wissenschaftler dafür, dass schon die damaligen Menschen in der Lage waren, sich die Existenz dieser Wesen zumindest vorstellen zu können: „Die figurative Darstellung jagender theriokephaler Mischwesen könnte zugleich der älteste Beleg für unsere Fähigkeit zu Vorstellungen von der Existenz übernatürlicher Wesen sein“, vermuten die Wissenschaftler und sehen darin einen Meilenstein in der Entwicklung religiöser Vorstellungen und Erfahrungen.
„Wir wissen nicht, was genau diese Abbildungen bedeuten, aber es scheint um die Jagd in Form einem mythologischen oder auch übernatürlichen Kontext und Erzählungsform zu gehen“, kommentiert Brumm die Darstellung. Nicht zuletzt belege das Wandbild, das nur noch in schlechter Form erhalten ist, die Existenz einer bereits vor 44.000 Jahren hoch entwickelten Kunstform, aber auch eine dieser zugrunde liegenden Folklore, religiösen Mythen und spirituelle Glaubensvorstellungen: „Diese Szene mag nicht nur als die älteste figurative Kunst gelten, sie ist auch der älteste Beweis für die Kommunikation einer Erzählform in der paläolithischen Kunst.“
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Bislang waren Kunsthistoriker davon ausgegangen, dass sich die bis dahin einfache Kunst vor etwa 35.000 Jahren zu einer künstlerischen und figurativen Darstellung von Menschen und Tieren entwickelt hatte. Zudem nahm man bislang an, dass derartig innovative Konzepte künstlerischer Ausdrucksweise wie Bildkompositionen mit multiplen und miteinander interagierenden Subjekten und Szenerien, sowie die Darstellung fiktiver Wesen wie Theriantrope erst seit 20.000 Jahren üblich wurden. „Die Höhlenmalereien in Leang Bulu’ Sipong 4 legen nun hingegen nahe, dass es keine gleichmäßige Evolution in der paläolitischen Kunst von einfach zu komplex vor rund 35.000 Jahren gab – zumindest nicht auf Sulawesi“, stellt Aubert fest. „In dieser Darstellung finden wir alle Hauptkomponenten einer hochentwickelten künstlerischen Kultur auf Sulawesi bereits vor 44.000 Jahren.“
„Die Darstellungen theriokephaler Wesen in Leang Bulu’ Sipong 4 könnten auch die ältesten Beweise für unsere Fähigkeit sein, uns Dinge bildhaft vorzustellen, die es in der physischen Welt eigentlich nicht gibt, was das grundlegende Konzept moderner Religionen darstellt“, vermutet Professor Brumm und führt dazu weiter aus: „Therianthrope Wesen begegnen uns in der Folklore oder narativen Fiktion fast aller moderner Gesellschaften. Sie stellen in vielen Religionen weltweit Götter, Geister oder ahnenhafte Wesen dar. Älter als der sogenannte Löwenmensch vom Hohlenstein-Stadel, der 1939 in einer der drei Karsthöhlen des Hohlensteins bei Asselfingen auf der Schwäbischen Alb gefunden und auf ein Alter von bis zu 40.000 Jahre datiert wurde, stammen die weltweit ältesten Abbildungen dieser Art nun aus Sulawesi.“
„Die frühen Indonesier erstellten also Kunst, die möglicherweise ihr spirituelles denken über die besondere Verbindung zwischen Menschen und Tieren abbildete – und das lange bevor diese Art der Kunst in Europa erstellt wurde, das bislang als Wurzel moderner religiöser Vorstellungen und Kultur galt“, so Oktaviana abschließend.
Auf diese Weise könne die Felsenkunst von Sulawesi wertvolle Erkenntnisse über die Entstehung der menschlichen Spiritualität und der Ausbreitung künstlerischer Glaubensvorstellungen und Praktiken liefern, die unser modernes Bewusstsein geformt haben.
Zugleich stößt die Interpretation der Szene bei anderen Wissenschaftlern aber auch auf Kritik und Skepsis. Diese Kritiker verweisen darauf, dass derartig komplexe Jagdszenen in anderen Teilen der Welt erst vor 10.000 Jahren abgebildet wurden. Es könnte sich bei dem nun beschriebenen Bild also auch um eine ursprünglich nicht zusammenhängende Szene, sondern um Einzeldarstellungen handeln, die im Laufe mehrerer tausend Jahre hinzugefügt wurden.
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Quelle: Griffith University, Nature
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