Antiker ‘Computer’: Forscherteam rekonstruiert erfolgreich Vorderseite des Mechanismus von Antikythera
London (Großbritannien) – Ein interdisziplinäres Team aus britischen und griechischen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen die Vorderseite des auch als „der Welt erste (analoger) Computer“ bezeichneten „Mechanismus von Antikythera“ erstmals derart rekonstruiert, sodass dieser mit dem verbliebenen bekannten Restmechanismus und der bereits zuvor rekonstruierten Rückseite übereinstimmt und auch funktioniert.
Wie das Team um Professor Tony Freeth vom University College London aktuell im Fachjournal „Scientific Reports“ (DOI: 10.1038/s41598-021-84310-w) berichtet, konnten frühere Analysen des Mechanismus und der umfangreich beschrifteten Rückseite bereits zeigen, dass der handbetriebene Mechanismus dafür genutzt werden konnte, astronomischer Ereignisse wie die Sonne- und Mondstände, die Bewegung der bekannten Planeten sowie Mond- und Sonnenfinsternisse sowie die Abstände zwischen den Olympischen Spielen zu berechnen und vorherzusagen (…GreWi berichtete). Bislang ungewiss – weil kaum erhalten – war jedoch die Darstellungen der Vorderseite, sozusagen der Nutzeroberfläche des Geräts, das als komplexeste mechanische bekannte Apparatur der Antike gilt.
Wie die Forschenden berichten, stellte bildete Vorderseite die Ordnung des antik-griechischen Kosmos ab. Das nun präsentierte Modell sei das erste seiner Art, das alle physikalischen Beweise berücksichtige und mit den wissenschaftlichen Inschriften auf der Rückseite über den Mechanismus selbst übereinstimme.
Hintergrund
Der Mechanismus von Antikythera wurde 1901 von Schwammtauchern in einem Schiffswrack aus römischer Zeit vor der Küste der griechischen Insel Antikythera entdeckt. Das Gerät besteht aus Bronzezahnrädern und Platten, von denen jedoch vermutlich heute nur noch etwa ein Drittel in Form von insgesamt 82 Fragmenten vorhanden sind. Während frühere Studien zu einem fast vollständigen Verständnis der ursprünglich Grundmechanik beigetragen haben, war bislang unklar, wie der Mechanismus mittels seiner Vorderseite betrieben und eingestellt werden konnte. 2005 offenbarten Röntgen-Scans zahlreiche Inschriften auf der Rückseite und den Innenteilen der Mechanismus und halfen Wissenschaftlern so zusätzlich, das Gerät zu verstehen.
Teil der bereits entzifferten Inschriften waren die Zahlenwerte 462 und 442. Hierbei handelt es sich um die akkurate Angabe der Zyklen der Planeten Venus und Saturn, die von der Erde aus jedoch über lange Zeit beobachtet werden mussten, um zu verstehen, dass die Planeten ihre Bewegung vor dem Hintergrund der Sterne umkehren und so in der Lage zu sein, die Positionen der Planeten vorherzusagen. „Die klassische Astronomie im ersten Jahrtausend vor Christus entstand im alten Babylon“, erläutert der Aris Dacanalis vom „UCL Antikythera Research Team„. „Dafür, wie die antiken Griechen zu diesen akkuraten Werten gelangten, gibt es allerdings keine überlieferten Hinweise.“
Anhand einer von dem griechischen Philosophen Parmenides überlieferten Methode konnten die Forschenden nicht nur erklären, wie die antiken Griechen auf die exakte Angabe der Zyklen von Venus und Saturn kamen, sondern konnten auch die Zyklen aller anderen Planeten aufzeigen, für die Hinweise auf den Antikythera-Fragmenten fehlen.
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„Nach vielen Analysen und Versuchen ist es uns schlussendlich gelungen, die Beweise auf den Fragmenten A und D (Vorder- und Rückseite des Mechanismus) zu einem Mechanismus zusammenzufügen, der die 462-jährige planetare Zyklus der Venus mit einem 63-zahnigen Zahnrad zusammenzuführen, dass eine wichtige Rolle für den Gesamtmechanismus spielt.
Anhand eines innovativen Mechanismus für alle Planeten, der die astronomischen Zyklen berechnet und die Anzahl von Zahnrädern im Gesamtsystem derart minimiert, dass sie in den engen Raum des Mechanismus passen, gelang es den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen nun, den Mechanismus im Computermodell rekonstruierten.
„Jetzt müssen wir die tatsächliche Funktionsfähigkeit noch dadurch beweisen, in dem wir den Mechanismus alleine mithilfe antiker Techniken nachbauen“, erklärt Dr. Adam Wojcik von der UCL. „Eine besondere Herausforderung wird dabei das System ineinanderliegender Röhren sein, mit denen schlussendlich die astronomischen Daten übertragen angezeigt werden.
Die neue Arbeit bringe die Erforschung des Antikythera-Mechanismus einen großen Schritt weiter und helfe dabei die vollständigen Möglichkeiten des Mechanismus und wie akkurat damit astronomische Ereignisse berechnet und vorhergesagt werden konnten, zu verstehen.
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Quelle: UCL
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