Archäologen erforschen mysteriöse Mammut-Knochenkreise in Russland und der Ukraine
Exeter (Großbritannien) – Die Ukraine und die westrussischen Ebene sind Heimat von mehr als 70 mysteriösen Kreis-Strukturen aus unzähligen Mammut-Knochen. Diese rätselhaften Knochenkreise geben Wissenschaftlern nun neue Hinweise darauf, wie menschliche Gemeinschaften die Eiszeit Europas überlebt haben. Die neuen Ergebnisse stellen zudem die Deutung als Reste von Rundhütten in Frage.
Wie das Team um Dr. Alexander Pryor von der University of Exeter aktuell im Fachjournal „Antiquity“ (DOI: 10.15184/aqy.2020.7) berichtet, zeigen ihre neuen Untersuchungen, dass die Knochen eines Knochenkreises mehr als 20.000 Jahre alt sind. Damit handelt es sich um die älteste von Menschen geschaffene Struktur in der Region. Die Knochen stammen wahrscheinlich aus Tierfriedhöfen. Der Kreis selbst wurde später von Sedimenten verdeckt und befindet sich jetzt knapp 30 Zentimeter unter dem aktuellen Oberflächenniveau.
Der Großteil der an der untersuchten Knochenkreise in der russischen Ebene besteht demnach aus Mammutknochen. Insgesamt 51 Unterkiefer und 64 einzelne Mammutschädel wurden verwendet, um die Wände der 10 mal 10 Meter großen Struktur nahe dem Dorf Kostenki, etwa 500 km südlich von Moskau, die als Kostenki 11 bezeichnet wird, zu konstruieren und über ihr Inneres zu verteilen. Hinzu identifizierten die Forscher auch eine geringe Anzahl von Rentier-, Pferde-, Bären-, Wolfs-, Rotfuchs- und Polarfuchsknochen innerhalb der Kreisbauten.
www.grenzwissenschaft-aktuell.de
+ HIER können Sie den täglichen und kostenlosen GreWi-Newsletter bestellen +
Zum ersten Mal wurden in „Kostenki 11“ auch die Überreste von verkohltem Holz und anderen weichen, nicht holzigen Pflanzenresten entdeckt. „Dies zeigt, dass Menschen sowohl Holz als auch Knochen als Brennstoff verbrannten und die dort lebenden Gemeinden während der Eiszeit gelernt hatten, wo sie nach essbaren Pflanzen suchen mussten. Die Pflanzen könnten auch für Gifte, Medikamente, Schnüre oder Stoffe verwendet worden sein“, berichten die Autoren. Zudem wurden auch mehr als 50 kleine verkohlte Samen gefunden – die Überreste von lokalen Pflanzen, bei denen es sich möglicherweise um Lebensmittelreste vom Kochen und Essen handelt.
„Kostenki 11 ist ein seltenes Beispiel für paläolithische Jäger und Sammler, die in dieser rauen Umgebung weiterleben“ stellt Pryor fest und fragt weiter: „Was könnte alte Jäger und Sammler an diesen Ort gebracht haben? Eine Möglichkeit besteht darin, dass die Mammuts und Menschen massenhaft in die Gegend gekommen sein könnten, weil sie eine natürliche Quelle hatten, die den ganzen Winter über flüssiges Wasser lieferte – selten in dieser Zeit extremer Kälte.“
Für das Team um Dr. Pryor werfen die Funde ein neues Licht auf den Zweck dieser mysteriösen Orte: „Die Archäologie zeigt uns mehr darüber, wie unsere Vorfahren in dieser verzweifelt kalten und feindlichen Umgebung am Höhepunkt der letzten Eiszeit überlebt haben. Die meisten anderen Orte in ähnlichen Breiten in Europa waren zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen. Hier aber hatten es Gruppen geschafft, sich anzupassen, um Nahrung, Unterkunft und Wasser zu finden.“
Hintergrund
Die letzte Eiszeit, die Nordeuropa vor 75 bis 18.000 Jahren erfasst hatte, erreichte vor 23 bis 18.000 Jahren ihr kältestes und schwerstes Stadium, als das Gelände um „Kostenki 11“ gebaut wurde. Klimarekonstruktionen deuten darauf hin, dass die Sommer kurz und kühl und die Winter lang und kalt waren, mit Temperaturen um -20 Grad Celsius oder kälter. Die meisten Gemeinschaften verließen die Region, wahrscheinlich weil es ihnen an Beute mangelte, um Ressourcen zu jagen und zu pflanzen, auf die sie zum Überleben angewiesen waren. Schließlich wurden auch die Knochenkreise aufgegeben, da das Klima immer kälter und unwirtlicher wurde.
Weitere Funde sind mehr als 300 winzige Stein- und Feuersteinspäne von nur wenigen Millimetern Größe – Trümmer, die die Bewohner des Ortes zurückgelassen haben, als sie Steinknollen in scharfe Werkzeuge mit unterschiedlichen Formen klopften, die für Aufgaben wie das Schlachten von Tieren und das Schaben von Häuten verwendet wurden.
Bisher haben Archäologen angenommen, dass die kreisförmigen Mammutknochenstrukturen als Wohnhäuser, sog. Mammutknochen-Rundhütten, genutzt wurden (s. Abb. l.), die jeweils viele Monate lang bewohnt waren. Die neue Studie legt nahe, dass dies möglicherweise nicht immer der Fall war, da die Intensität der Aktivität bei „Kostenki 11“ geringer zu sein scheint, als dies von einem langfristigen Basislagerplatz zu erwarten wäre.
WEITERE MELDUNGEN ZUM THEMA
Genetiker wecken „biologische Aktivität“ in Mammut-Zellkernen 12. März 2019
Mammut-Kadaver mit “Frischfleisch” und flüssigem Blut entdeckt 31. Mai 2013
Mammuts überlebten länger als bislang angenommen 29. Dezember 2009
Mammuts haben in England noch 6000 Jahre überlebt 18. Juni 2009
Quelle: University of Exeter
© grenzwissenschaft-aktuell.de