Außerkörperliche Wahrnehmung: Neurowissenschaftler simulieren Körpertausch
Stockholm (Schweden) – Durch einen virtuell herbeigeführten Körpertausch, der fast schon an eine Szene aus einem Science-Fiction-Film erinnert, haben schwedische Neurowissenschaftler untersucht, wie sich die Wahrnehmung des eigenen Körpers auf die eigenen Wahrnehmung und das Selbst-Verständnis vom eigenen Körper auswirkt.
„Wie beeinflusst unser Körper die Art und Weise, wie wir über unsere eigene Persönlichkeit denken? Würde sich unser Selbstgefühl ändern, wenn unser Geist eines Tages zum Beispiel im Körper unseres besten Freundes aufwachen würde?“, so die Fragestellungen der aktuell im Fachjournal „iScience“ (DOI: 10.1016/j.isci.2020.101429) veröffentlichten Studie des Teams um den Kognitions-Neurowissenschaftler Prof. Henrik Ehrsson und Pawel Tacikowski vom schwedischen Karolinska Institutet.
In ihren Experimenten induzierten die Forscher mit Hilfe von Display-Brillen eine Wahrnehmungsillusion, durch die ein Teilnehmerpaar miteinander virtuell die Körper tauschten. Hierzu lagen zwei Freunde auf Liegen nebeneinander und sahen über vor ihren Köpfen montierten Displays Live-Aufnahmen von Kameras, die direkt über dem Kopf der jeweils anderen Person platziert waren. Statt also ihren eigenen Körper zu sehen, sahen die Teilnehmer den Körper des anderen Teilnehmers aus einer natürlichen Perspektive der ersten Person heraus. Gleichzeitig berührten die Experimentatoren beide Freunde synchron an den übereinstimmenden Körperteilen, um eine multisensorische Illusion hervorzurufen, dass der betrachtete Körper des Freundes der eigene sei (siehe Grafik).
„Wir konnten sehen, dass die Illusion funktioniert hat, weil die Mehrheit der Teilnehmer erhöhte physiologische Stressreaktionen zeigte, als der Körper des Freundes körperlich bedroht wurde“, so Tacikowski. „Während des so herbeigeführten Körpertauschs sagte ein Teilnehmer sogar scherzhaft zu seinem Freund: ‚Hör auf, meine Zehen zu bewegen!‘. Das war schon ziemlich aussagekräftig.“
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Das für die Forscher wichtigste Ergebnis der Experimente war jedoch, dass die Teilnehmer während der Illusion ihre eigenen Persönlichkeitsmerkmale als ähnlicher bewerteten als die zuvor von ihnen bewertete Persönlichkeit ihres Freundes. „Das zeigt, dass unsere Körperwahrnehmung unser Selbstverständnis dynamisch formt, so dass wir kontinuierlich ein kohärentes und einheitliches Selbstgefühl erfahren können“, schließt Professor Ehrsson.
In zukünftigen Untersuchungen wollen die die Autoren die neuronalen Zusammenhänge zwischen körperlicher und konzeptioneller Selbstwahrnehmung und -darstellung und Selbstsicherheit weiter untersuchen, um daraus auch ein besseres Verständnis für die Behandlung von psychiatrischen Störungen, bei denen das Selbstgefühl fragmentiert ist, beispielsweise bei Depersonalisation oder dissoziativen Persönlichkeitsstörungen, ableiten zu können.
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Quelle: Karolinska Institutet
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