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Australopithecus anamensis: Forscher verleihen „Lucys Ahnen“ ein Gesicht

Der 3,8 Millionen Jahre alte fossile Schädel eines Australopithecus anamensis (l.) und die dazugehörige Gesichtsrekonstruktion. Copyright: Dale Omori (Schädel) und Matt Crow (Rekonstruktion), Cleveland Museum of Natural History
Der 3,8 Millionen Jahre alte fossile Schädel eines Australopithecus anamensis (l.) und die dazugehörige Gesichtsrekonstruktion.
Copyright: Dale Omori (Schädel) und Matt Crow (Rekonstruktion), Cleveland Museum of Natural History

Leipzig (Deutschland) – Der Fund eines bemerkenswert vollständig erhaltenen 3,8 Millionen Jahre alten Schädels eines Australopithecus anamensis aus Woranso-Mille in Äthiopien erlaubt Anthropologen, die Gesichtsrekonstruktion eines unserer frühesten Vorfahren.

Wie das Team um Yohannes Haile-Selassie vom Cleveland Museum of Natural History und Stephanie Melillo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie aktuell im Fachjournal „Nature“ (DOI: 10.1038/s41586-019-1513-8) berichten, gilt diese älteste bekannte Australopithecus-Art als Vorfahr des Australopithecus afarensis und damit jener Art, der die berühmte „Lucy“ angehörte.

Komposite von Schädel und Rekonstruktion. Copyright: Jennifer Taylor, courtesy of the Cleveland Museum of Natural History
Komposite von Schädel und Rekonstruktion.
Copyright: Jennifer Taylor, courtesy of the Cleveland Museum of Natural History

Während bislang von A. anamensis nur fossile Kieferknochen und Zähne bekannt waren, beschreiben die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen nun erstmals einen nahezu vollständig erhaltenen 3,8 Millionen Jahre alten fossilen Schädel, der 2016 in Woranso-Mille in der Afar-Region Äthiopiens entdeckt worden war. Dieser ermöglicht nun auch, die Gesichtszüge des menschlichen Ahnen zu rekonstruieren.

Der fossile Schädel repräsentiert den Zeitraum von vor zwischen 4,1 und 3,6 Millionen Jahren, als aus dem A. anamensis der A. afarensis hervorging. Anhand der morphologischen Merkmale des Schädels gelang es den Forschern, das Fossil einer Art zuzuordnen. „Die Beschaffenheit des Oberkiefers und eines Eckzahns waren ausschlaggebend dafür, den Schädel der Art A. anamensis zuzuordnen“, erläutert Melillo und fügt dazu weiter aus: „Es ist gut, dem Namen nun endlich auch ein Gesicht geben zu können.“ Zusammen mit anderen bisher aus der Afar-Region bekannten Fossilien belege der MRD-Schädel zudem, dass A. anamensis und A. afarensis etwa 100.000 Jahre lang nebeneinander existiert haben.

Diese zeitliche Überschneidung stellt nun die weit verbreitete Annahme in Frage, dass es einen linearen Übergang zwischen diesen beiden frühen menschlichen Vorfahren gegeben hat. Haile-Selassie sagt: „Das verändert unser Verständnis der menschlichen Evolution während des Pliozäns grundlegend.“

Anhand von Mineralien aus vulkanischen Gesteinsschichten nahe der Fundstelle und konnten die Forscher das Alter des Fossils auf 3,8 Millionen Jahre bestimmen. Anhand von vor-Ort-Beobachtungen sowie der Analyse von chemischen und magnetischen Eigenschaften der Gesteinsschichten konnten zudem die datierten Schichten dem Fundort des Fossils zugeordnet werden. Ihre Beobachtungen kombinierten die Wissenschaftler dann mit der Analyse mikroskopisch kleinen fossiler Überreste und konnten so rekonstruieren, wie Landschaft und Vegetation beschaffen waren und welche Wasservorkommen es zum Zeitpunkt des Todes von MRD gab.

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„MRD wurde in den sandigen Ablagerungen eines Deltas gefunden, wo ein Fluss in einen See mündete“, berichten die Forscher. „Der Fluss hatte wahrscheinlich im Hochland von Äthiopien seinen Ursprung, während sich der See in einem niedriger gelegenen Gebiet herausbildete. Fossile Pollenkörner und chemische Überreste fossiler Pflanzen und Algen, die in den Sedimenten aus dem See- und Delta-Gebiet erhalten geblieben sind, liefern den Forschern Hinweise auf die damaligen Umweltbedingungen. Demnach muss die Wasserscheide des Sees größtenteils trocken gewesen sein. An den Ufern des Deltas oder entlang des Flusses, der das Delta und das Seensystem speiste, hat es aber auch bewaldete Gebiete gegeben. (…) MRD lebte also in der Nähe eines großen Sees in einer trockenen Region.“ Um den Lebensraum von MRD, vergangene Klimaveränderungen und deren mögliche Auswirkungen auf die Evolution des Menschen im Detail zu erforschen, sind weitere Analysen der Ablagerungen geplant.

So wurde das Fossil 2016 in Miro Dora im Bezirk Mille des Äthiopischen Regionalstaats Afar gefunden. Copyright: Yohannes Haile-Selassie, Cleveland Museum of Natural History
So wurde das Fossil 2016 in Miro Dora im Bezirk Mille des Äthiopischen Regionalstaats Afar gefunden.
Copyright: Yohannes Haile-Selassie, Cleveland Museum of Natural History

Australopithecus anamensis ist das älteste bekannte Mitglied der Gattung Australopithecus. Aufgrund des seltenen nahezu vollständigen Zustandes des Schädels identifizierten die Forscher zudem noch nie da gewesene Gesichtsmerkmale dieser Art. „Bei MRD finden sich sowohl einfache als auch komplexere Gesichts- und Schädelmerkmale, die ich in dieser Kombination nicht erwartet hatte“, sagte Haile-Selassie. Einige Merkmale ähneln denen späterer Arten, während andere Merkmale an noch frühere und primitivere menschliche Vorfahren wie Ardipithecus und Sahelanthropus erinnern. „Bis jetzt gab es zwischen den frühesten bekannten menschlichen Vorfahren, die etwa sechs Millionen Jahre alt sind, und Arten wie ‚Lucy‘, die zwei bis drei Millionen Jahre alt sind, eine große Lücke. Einer der spannendsten Aspekte unserer Entdeckung ist, wie sie die Lücke zwischen diesen beiden Gruppen überbrückt“, sagt Melillo.

Zu den wichtigsten Ergebnissen der aktuellen Studie gehört die Schlussfolgerung, dass A. anamensis und seine Nachkommen der Art A. afarensis, über einen Zeitraum von mindestens 100.000 Jahren hinweg nebeneinander existiert haben. Dieser Befund widerspricht der langjährigen Annahme, dass es zwischen diesen beiden Taxa eine anagenetische Beziehung gibt und spricht stattdessen für ein verzweigtes Evolutionsmuster, berichtet die Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie.

„Früher dachten wir, dass A. anamensis mit der Zeit allmählich zu A. afarensis wurde. Wir gehen noch immer davon aus, dass beide Arten in einer Vorfahren- und Nachkommenbeziehung zueinanderstehen. Unsere neue Entdeckung deutet aber jetzt darauf hin, dass die beiden Arten tatsächlich eine ganze Weile lang in der Afar-Region zusammengelebt haben. Das verändert unser Verständnis des evolutionären Prozesses und wirft neue Fragen auf: Konkurrierten diese beiden Arten um Nahrung oder Lebensraum?“, so Melillo.

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Die Schlussfolgerung der Forscher basiert auf der Zuordnung der 3,8 Millionen Jahre alten MRD zur Art A. anamensis und des 3,9 Millionen Jahre alten Schädelfragments eines Homininen, allgemein bekannt als Belohdelie frontal, zur Art A. afarensis. Dieses Schädelfragment wurde 1981 von einem Paläontologen-Team im Mittleren Awash in Äthiopien entdeckt. Sein taxonomischer Status wurde seitdem jedoch in Frage gestellt.

Der „neue“ MRD-Schädel ermöglichte es den Forschern nun auch erstmals, die Schädelmerkmale von A. anamensis zu charakterisieren und zwischen ihnen und den Merkmalen zu unterscheiden, die für Belohdelie frontal und andere Schädelfunde von „Lucys“ Art typisch sind. Die aktuelle Studie bestätigt, dass Belohdelie frontal einem Individuum gehörte, dass „Lucys“ Art angehörte. Somit ist nun belegt, dass die bisher bekannten frühesten Vertreter des A. afarensis schon vor 3,9 Millionen Jahren gelebt haben, während die letzten Vertreter der Art A. anamensis noch vor 3,8 Millionen Jahren gelebt haben. Beide Arten haben also wenigstens 100.000 Jahre lang denselben Lebensraum geteilt.

Quellen:
Max-Planck-Gesellschaft, Cleveland Museum of Natural History

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Andreas Müller
Fachjournalist Anomalistik | Autor | Publizist
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(Kornkreisforscher)

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