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Begann die Evolution schon vor dem Leben?

Symbolbild: Langkettige Moleküle (Illu.). Copyright: LMU
Symbolbild: Langkettige Moleküle (Illu.).
Copyright: LMU

München (Deutschland) – Die grundlegenden Eigenschaften von langkettigen Molekülen und ihrer Umwelt können schon bei der Entstehung von Leben zu Selektion führen, zu diesem Schluss kommen Münchner Physiker in einer aktuellen Studie. Somit könnte die Evolution, wie sie von Charles Darwin beschrieben wurde, schon vor der Entstehung des Lebens begonnen haben.

Wie das Team um Patrick Kudella und Dieter Braun von der Ludwig-Maximilian Universität in München (LMU) aktuell im Fachjournal „PNAS“ (DOI: 10.1073/pnas.2018830118) berichtet, herrschte vor der Entstehung des irdischen Lebens vor allem eines: Chaos. „Eine Unmenge einfacher Moleküle, Salze sowie langkettiger Moleküle wie DNA, RNA oder Proteine in unterschiedlichen Längen waren in der Ursuppe gelöst und zum großen Teil wild durcheinandergemischt. Damit die ersten lebensähnlichen Prozesse entstehen konnten, musste dieses Chaos erstmal reduziert werden.“

In ihrer nun publizierten Studie konnten die Forschenden der LMU erstmals zeigen, dass bei der Entstehung von Leben schon grundlegende Eigenschaften von langkettigen Molekülen und ihrer Umwelt zu Selektion führen können.

Schon zuvor hatte Brauns Arbeitsgruppe untersucht, wie räumliche Ordnung in kleinen, wassergefüllten Kammern in porösem Vulkangestein auf dem Meeresboden entstehen konnte. Dabei konnten die Forscher bereits erfolgreich zeigen, dass gelöste Moleküle durch Wärmeströmung aufgrund von Temperaturunterschieden und den sogenannten Soret-Effekt gesammelt werden können, erläutert die Pressemitteilung der LMU. Die Konzentration einzelner Moleküle erhöhte sich dabei lokal um mehrere Größenordnungen. „Das Problem ist aber, dass auch in der Abfolge der Basen in den langkettigen Molekülen absolutes Chaos herrscht“, erklärt Braun.

„Für die Entstehung von katalytisch aktiven Molekülen wie Ribozymen (Enzyme aus RNA) ist eine sehr spezielle Basenfolge, die auch als Sequenz bezeichnet wird, notwendig. Allerdings war die Basenfolge in den ersten Oligomeren, wie die langkettigen Moleküle auch genannt werden, auf der frühen Erde vermutlich zufällig. Der sogenannte Sequenzraum, der sich aus allen möglichen Abfolgen der Basen ergibt, ist unglaublich groß“, sagt Patrick Kudella, Erstautor der Studie. „Das macht es praktisch unmöglich, die komplexen Strukturen funktionaler Ribozyme oder vergleichbarer Moleküle per Zufall zusammenzubauen“. Deshalb vermuten die LMU-Physiker, dass gleichzeitig zur Verlängerung der Oligomere eine Vorselektion der Sequenzen stattgefunden haben muss.

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Da es zur Zeit der Entstehung des Lebens im Vergleich zu den ausgeklügelten Replikationsmechanismen von Zellen nur wenige, sehr simple physikalische und chemische Prozesse gab, müsse die Selektion der Sequenzen auf der Umwelt und den Eigenschaften des Oligomers basieren, erläutern die LMU-Wissenschaftler und -Wissenschaftlerinnen und setzten genau hier an: „Für katalytische Funktion und Stabilität der Oligomere ist es wichtig, dass diese Doppelstränge wie die bekannte Helix-Struktur von DNA bilden. Dies ist eine elementare Eigenschaft vieler Polymere und ermöglicht Komplexe sowohl mit doppel- wie mit einzelsträngigen Anteilen. Die einzelsträngigen Teile lassen sich durch zwei Prozesse nachbauen. Zum einen durch die sogenannte Polyimerisation, bei der Stränge durch einzelne Basen zu kompletten Doppelsträngen vervollständigt werden. Zum anderen durch die sogenannte Ligation. Dabei verbinden sich längere Oligomere. Hier entstehen sowohl doppel- wie auch einzelsträngige Teile die ein weiteres Wachsen des Oligomers ermöglichen.“

„Unser Experiment startet mit einer großen Menge kurzer DNA-Stränge, als Modellsystem für frühe Oligomere verwenden wir dabei lediglich die Basen Adenin und Thymin“, sagt Braun. „Wir nehmen an, dass die Ligation dieser Bausteine mit zufälliger Sequenz längere Stränge bildet, in denen die Basenfolge weniger chaotisch ist.“ Brauns Team analysierte anschließend die Experimente mit einer Methode, die auch zur Dekodierung des menschlichen Genoms verwendet wird. Dabei fanden die Physiker tatsächlich, dass sich die Sequenzentropie der Reaktionsprodukte verringert hatte, diese stellt ein Maß für die Ordnung physikalischer Systeme dar.

In einem nächsten Schritt fanden die Forschenden dann auch die Ursachen dieser scheinbar von selbst entstehenden Ordnung: „Die Produktstränge folgen nämlich zwei Mustern, sie bestehen entweder etwa zu 70 Prozent aus Adenin und zu 30 Prozent aus Thymin, oder genau anders herum. Mit einem deutlich größeren Anteil einer der beiden Basen könne der Strang nicht auf sich selbst falten“, erklärt Braun. Er bleibe somit als Reaktionspartner für die Ligation erhalten. Auf diese Weise entstehen daher in der Reaktion kaum Stränge mit jeweils der Hälfte beider Basen. „Wir sehen zudem, wie kleine Verzerrungen in der Zusammensetzung der kurzen DNA, die wir als Bausteine im Experiment verwenden, deutliche positionsabhängige Motivmuster vor allem in langen Produktsträngen hinterlassen“, sagt Braun. Das Ergebnis hat die Forscher durchaus überrascht, denn ein Strang aus nur zwei verschiedenen Basen mit einem bestimmten Basenverhältnis hat nur begrenzte Möglichkeiten, um sich voneinander zu unterscheiden. „Solche erstaunlichen Details können nur passende Algorithmen erkennen“, sagt Annalena Salditt, Co-Autorin der Studie.

Das Experiment zeige, dass schon einfachste, grundlegende Eigenschaften von Oligomeren und ihrer Umwelt zu Selektion führen können. Bereits in einem vereinfachten Modellsystem treten unterschiedliche Selektionsmechanismen auf, die Stränge auf unterschiedlichen Längenskalen beeinflussen und unterschiedliche Ursachen besitzen. Laut Braun und Kollegen ermöglichen es diese Selektionsmechanismen erst, dass katalytisch aktive Komplexe wie die Ribozyme entstehen. Diese seien somit ein wichtiger Schritt, um die Entstehung von Leben aus dem Chaos heraus zu erklären.




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Quelle: LMU

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Andreas Müller
Fachjournalist Anomalistik | Autor | Publizist
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