Zwischenbericht: „Bodensee-Stonehenge“ bleibt rätselhaft

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Rätselhafte Hügelkette am Grund des Bodensees zwischen Romanshorn und Güttingen.

Copyright/Quelle: Amt für Archäologie Thurgau

Kreuzlingen (Schweiz) – Auf einer Pressekonferenz haben Archäologen und Geologen über den aktuellen Stand der Untersuchung einer rätselhaften Hügelreihe in der Flachwasserzone des südlichen Bodenseeufers informiert (…GreWi berichtete). Während Tauchgänge und Radar- und Sonarscans neue Einblicke auf das Mysterium ermöglichen, bleibt die Frage weiterhin offen um was genau es sich bei den „Steinhügli“ handelt, wie alt genau sie sind und ob es sich sogar um die Reste einer frühgeschichtlichen Kultanlage handeln könnte.

Wer immer den Begriff des „Stonehenge am Bodensee“ in den Medien geprägt habe (…GreWi war es nicht), er passe nicht so ganz auf die regelmäßigen Erhebungen am nördlichen Rand der Flachwasserzone gegen die Halde, so der Kantonsarchäologe vom Amt für Archäologie Thurgau, Hansjörg Brem. „Aber er beflügelt die Phantasie. Und das Projekt ‚Tiefenschärfe‘ hat ja den klassischen Beweis für die These geliefert, das wissenschaftliche Forschung alte Fragen beantwortet und gleichzeitig neue Fragen stellt.“

Ausgangslage im September 2015 waren begründete Bedenken einiger beteiligter Wissenschaftler, dass es sich bei den deutlich sichtbaren „Hügelchen“ einfach nur um geologische „Spuren des Gletschers“, handelt.

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Bei den ersten Tauchgängen seit September 2015 ging es den Forschern also darum festzustellen, ob es sich bei diesen Erhebungen am heutigen Seegrund um natürliche Strukturen handelt oder aber um Bauwerke.

Hierzu mussten zunächst folgende Fragen geklärt werden:
– Wo liegen die Hügel (dreidimensional), sind sie überhaupt zu finden?
– Wie sehen die Hügel aus, stimmen die Formen der Vermessung?
– Woraus bestehen die Hügel? Gibt es Funde oder weitere Strukturen im Umfeld?

Nachdem diese Fragen einigermaßen geklärt waren, ging es um folgende Fragen:
– Wie sieht das Verhältnis zwischen Untergrund und Hügelschüttung aus?
– Worum handelt es sich beim Hügelmaterial? Gibt es Besonderheiten?
– Erlauben Funde eine Deutung der Strukturen.

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Taucher untersuchen einen der rätselhaften „Hügli“ im Bodensee.

Copyright/Quelle: Amt für Archäologie Thurgau

Zusammenfassend erläuterten die Forscher die Ergebnisse zunächst wie folgt:
„Es ist offensichtlich, dass es sich bei diesen Hügeln um flache (1-2 m hohe), rundliche Steinschüttungen handelt, die in etwa einer Tiefe von 390 m.ü.M. (Schweizer Höhensystem) auf dem Seegrund liegen. Es scheint so, dass die Längsseiten bei den mehr elliptischen Hügeln den Uferverlauf aufnehmen. Außer Steinmaterial in Form von Geröllen unterschiedlicher Größe (meist etwa zwischen 10 und 40 cm Durchmesser) wurden nur kleine Holzfragmente geborgen, die noch nicht in einen sicheren Zusammenhang mit den Hügeln gesetzt werden konnten und die noch nicht datiert sind. Die Kubaturen (Anm. GreWi: Als Kubatur wird das Volumen eines Bauwerks bezeichnet) sind relativ groß; ein Hügel von 20x15m umfasst schon mehrere hundert Kubikmeter Steine. Alle Hügel hinweg beinhalten wohl Tausende von Kubikmetern Steinmaterial.“

Das Steinmaterial selbst konnten die beteiligten Geologen klar dem sog. „Rheingletscher“ zuweisen. Es stammt also aus der Bodenseegegend und es scheint größenmäßig „sortiert“ – nicht aber von nach Gesteinssorten. Es sind die üblichen Gesteine vertreten, wie sie auch im Moränenuntergrund wie auch in den Geschieben des Rheins zu finden sind.

Noch nicht endgültig geklärt sei hingegen das Verhältnis der Steinschüttungen zum sicher unveränderten Untergrund: „Liegt Seesediment dazwischen oder ‚wachsen‘ die Hügel aus dem vom Gletscher geprägten Untergrund, eben der Moräne, auf?“ In einem solchen Fall sprechen Archäologen und Geologen von der sogenannten Stratigrafie, also dem Schichtverlauf. „Die Taucherinnen und Taucher haben eine liebe Mühe einen solchen Schnitt zu legen und Bohrungen helfen da nicht, da wir nicht durch die Steine bohren können – jedenfalls nicht ohne einen riesigen Aufwand.“ Die Radarbilder aus Langenargen zeigen gemäß Martin Wessels vom Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg eher, dass die Schüttungen auf Seesediment aufliegen. Diese Frage ist wichtig, erläutern die Wissenschaftler: „Wenn nämlich die Hügel bereits auf Seekreide (die erst im Wasser entsteht) liegen, dann sind die Steine nicht vom Gletscher hierher transportiert worden. Und wenn es nicht der Gletscher war, wer dann?“

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Copyright/Quelle: Amt für Archäologie Thurgau / Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg

Sollten also Menschen die Steinhügel zusammengetragen haben, so stellen sich natürlich Fragen nach dem wann, wie und wozu?

Dass es sich um Verklappungen von Schiffsbalast oder Abfall der letzten 150 Jahre handeln könnte, konnte anhand intensiver Nachforschungen ebenso ausgeschlossen werden wie die Idee von geheimen Aktivitäten der Schweizer Armee.

Die Frage, ob das Gebiet der Flachwasserzone bis auf die Tiefe von 390 m. ü.M. einmal kürzere oder längere Zeit trocken lag, lasse sich hingegen nicht mit letzter Sicherheit beantworten. „Wir neigen aber zur Annahme, dass der Seespiegel im Obersee nie so tief abgesunken ist, jedenfalls nicht in den letzten 10.000 Jahren“, so die Forscher. „Wenn es sich denn um Bauwerke handelt, so müssten sie also ins Wasser gebaut worden sein.“

„Wenn es Bauwerke sind, so nehmen sie auf den Rand der Seetiefe Bezug, d.h. sie haben wahrscheinlich etwas mit der Nutzung des Sees zu tun und da kommt in erster Linie die Schifffahrt in Frage“, stellen die Wissenschaftler fest – fragen aber zugleich, was solche Hügel nützen würden? „Vielleicht waren es ursprünglich gar keine Hügel, sondern Schüttungen in Holzumfassungen, wie wir sie am See bei Häfen oder Stellinen haben – dann müssten wir allerdings zum Steinmaterial noch Holzpfähle bzw. Reste davon finden. Diese wurden noch nicht entdeckt.

Die ursprüngliche Form der Hügel wären dann eher Pfeiler oder Plattformen, die einst aus dem Wasser ragten. Doch auch hier stelle sich die Frage nach dem warum? Eine mögliche  Erklärung: „Die Schifffahrt in Binnengewässern war zwar die einfachste Möglichkeit, große Lasten über längere Distanzen zu bewegen. Das Problem war aber die Schiffe entgegen der Strömung oder vorherrschender Windrichtungen zu bewegen. Eine sehr geläufige Methode bildete das Schleppen der Schiffe vom Ufer her, das Treideln. Dafür kamen Tiere oder auch Menschen zum Einsatz, nötig war allerdings eine gewisse Nähe zwischen Weg und dem zu schleppenden Schiff. Neben dieser Methode war es natürlich möglich, die Schiffe zu rudern oder zu stacheln (d.h. mit Stangen vom Grund her zu bewegen), auch kleinere Schleppschiffe kamen zum Einsatz. Das in unserer Gegend verbreitete Stacheln der Schiffe bedingt allerdings eine nicht zu große Wassertiefe und einen nicht allzu nachgiebigen Untergrund.“

Zwei Schifffahrtsspezialisten wurden sodann die Frage nach einem möglichen künstlichen Treidelpfad entlang des südlichen Bodenseeufers gestellt: „Beide sind sich darin einig, dass es keine Belege für eine solche Konstruktion am südlichen Ufer gibt; allerdings steht fest, dass der Ost-West-Verkehr mit Lasten hier erfolgte und dass somit an vielen Tagen die Windrichtung entgegen der Verkehrsrichtung verläuft. Im Moment ist das das einzige Indiz, das wir verfolgen können.“

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Abschließend erklärten die anwesenden Forscher, das Rätsel der Hügel noch nicht für gelöst. „Aber wir wissen deutlich mehr als im letzten September. Die wirklich entscheidende Frage, die wir derzeit zu beantworten suchen ist, ob die Hügel mit der Grundmoräne verbunden oder Teil davon sind – oder ob sie erst nachträglich entstanden sind. Wenn sie nachher entstanden sind, gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass es sich um Bauwerke handelt, die etwas mit dem Gewässer und dessen Nutzung zu tun haben. Um diese zu beschreiben, müssten außer den Steinschüttungen noch mehr Elemente und Hinweise gefunden werden.“

Zum weiteren Vorgehen erläutern die Wissenschaftler, dass nun weitere Abklärungen unter Wasser durchgeführt und weitere technische Verfahren ebenfalls geprüft werden könten. Dabei bleibe allerdings zu beachten: „Die Flachwasserzone ist eine ökologisch empfindliche Region, demnächst beginnt auch die Saison für den Bootssport und somit sind größere Aktionen in den Sommermonaten nicht sinnvoll.“ Die gute Nachricht: Die Hügel seien in ihrem Bestand derzeit nicht gefährdet und gerade dies sei für geologische und archäologische Monumente heute nicht selbstverständlich.

„Die Klärung der Frage nach der Entstehung dieser Formationen ist sehr interessant und wir wollen natürlich diese auch lösen“, so Brem abschließend.

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