Buchneuerscheinung: Verschwörungstheorie und Konspiration: Ethnographische Untersuchungen zur Konspirationskultur

Titelumschlag: Verschwörungstheorie und Konspiration: Ethnographische Untersuchungen zur Konspirationskultur Copyright. Springer
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Titelumschlag: Verschwörungstheorie und Konspiration: Ethnographische Untersuchungen zur Konspirationskultur
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Salzburg (Österreich) – Irrational, grundsätzlich immer falsch, demokratiegefährdend, extremistisch und antisemitisch – die Liste der Vorwürfe, die gegenüber sogenannten Verschwörungstheorien erhoben werden, ist lang. Nun eröffnet eine aktuelle ethnographische Doktorarbeit neue Perspektiven auf dieses umstrittene Thema und leistet damit einen Beitrag zu einer gesellschaftlich-wissenschaftlichen Entstigmatisierung und Rehabilitierung von Verschwörungstheorien.

Unter dem Titel „Verschwörungstheorie und Konspiration. Ethnographische Untersuchungen zur Konspirationskultur“ ist nun die mit summa cum laude benotete und über 500 Seiten umfassende Dissertation des Soziologen Dr. Alan Schink Universität Salzburg in gekürzter Fassung erschienen. Für seine Arbeit wählte Schink als Forschungsstil die Ethnographie (teilnehmende Beobachtung) und als Methode die Diskursforschung. Hierzu begab er sich tief ins Feld der untersuchten Akteure: Um einen unverfälschten und ideologiefreien Eindruck von der gegenwärtigen Konspirationskultur zu gewinnen, traf sich Schink nicht nur mit namhaften, vom Mainstream als „Verschwörungstheoretiker“ bezeichneten Protagonisten der Szene selbst – gleich in der Einleitung schildert er einen Besuch bei Mathias Bröckers, Mitbegründer der TAZ und Autor des Buches „Verschwörungen, Verschwörungstheorien und die Geheimnisse des 11.9.“ –, sondern führte auch Gespräche mit professionellen „Debunkern“ (also Menschen, deren Ziel es ist Verschwörungstheorien zu entlarven), nahm im Oktober 2015 am Satire-Event „Der Goldene Aluhut“ teil, (wo er sich auch mit Guilia Silberberger, der Gründerin der gleichnamigen gemeinnützigen Organisation, unterhielt) und analysierte beispielsweise auch die Sprache des Blogs der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP). Seine ethnographischen Feldberichte werden dabei auch immer flankiert von theoretischen Überlegungen zum Verschwörungsdenken sowie einer analytischen Kritik am gegenwärtigen anti-verschwörungstheoretischen Diskurs.

Schinks Werk zeichnet nach, dass der „ ‚Kampf gegen Verschwörungstheorien’ “ (a.a.O.,
S. 13)  die „zentrale Maßnahme zur Stigmatisierung und Nihilierung des Verschwörungswissens“ (ebd.) darstellte. Wissenschaftlich fundiert rekonstruiert er die Praktiken des anti-verschwörungstheoretischen Diskurses und spart dabei nicht mit fundamentaler Kritik an dessen zentralen Protagonisten.

So kritisiert er den Amerikanistikprofessor Michael Butter. Dieser hatte in seinem Werk
„Nichts ist, wie es scheint. Über Verschwörungstheorien“ behauptet: „[…] reale Verschwörungen unterscheiden sich deutlich von denjenigen, die Verschwörungstheoretiker entdeckt zu haben glauben. Daher hat sich auch noch nie eine Verschwörungstheorie im Nachhinein als wahr herausgestellt“ (Butter, a.a.O., S. 37) und ferner: „Reale Verschwörungen werden in der Regel von ‚einer kleineren Gruppe von Personen‘ begangen; Verschwörungstheorien dagegen entwerfen Szenarien, an denen zumindest Dutzende, meist aber deutlich mehr Menschen beteiligt hätten sein müssen“ (a.a.O., S. 38). Schink argumentiert, dass Butters Argument weder ein empirisches („Dann wäre es […] 1. historisch widerlegt und könnte 2. keinerlei Geltungsanspruch für Aussagen über Verschwörungen in der Gegenwart oder Zukunft erheben“, Schink, a.a.O., S. 36), noch ein ontologisches („Dann überstiege es den Fachbereich und die Profession – oder eben die ‚soziologische’ oder ‚kriminologische Imagination’ […] – des Referenten“, a.a.O., S. 36f.) und auch kein kulturwissenschaftliches („Denn der Autor, Michael Butter, hat in seiner essayistischen Arbeit keinerlei kulturwissenschaftliches Fundament gelegt“, a.a.O., S. 37) sein kann. Bourdieu zitierend fragt er kritisch nach: „Wodurch garantiert der theoretische Denker, dass er nicht einfach ‚seine eigene Denkweise an die Stelle der Denkweise der von ihm analysierten Handelnden setzt’?“ (ebd. Hervorhebungen im Original). Außerdem berufe sich Butter regelmäßig auf den Politikwissenschaftler Michael Barkun, der für seine Verschwörungstheoriedefinition drei Merkmale angebe (1. Nothing happens by accident, 2. Nothing is as it seems, 3. Everything is connected), die er (also Barkun) allerdings „nirgendwo fundiert, systematisch und nachvollziehbar ab[leite]“ (a.a.O., S. 93). Wenn Butter in einem Beitrag mit dem Titel „Was den Glauben an Verschwörungen stark macht“ (siehe hier: https://www.forschung-und-lehre.de/zeitfragen/was-den-glauben-an-verschwoerungen-stark-macht-880/) behauptet, Verschwörungstheorien würden annehmen, „dass Menschen ihre Absichten in kleinen Gruppen über Jahre, Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte hinweg […] in die Tat umsetzen können“, was ein Widerspruch zu „Annahmen der modernen Sozialwissenschaften“ sei, „die Chaos, Kontingenz und strukturelle Faktoren betonen“, dann sei, so Schink, diese Behauptung nicht nur durch das Beispiel der sizilianischen Mafia (auf deren konspiratives Treiben Schink detailliert eingeht) widerlegt, sondern stelle auch eine „falsche Dichotomisierung zwischen Ordnung/Chaos“ (a.a.O., S. 150) dar und reproduziere „Dispositive des Kontroll- und Sicherheitsstaates“ (ebd.).

Gleichzeitig geht Schink auch mit der sozialpsychologischen Erforschung von Verschwörungstheorien hart ins Gericht, „denn sie erhebt ihre empirischen Daten mit operativen Konstruktionen zweiter Ordnung, die den Beforschten pejorativ-belastete Deutungen vorgibt und wesentlich nicht die ihren sind. Diese Art von Forschung reproduzierte die stigmatisierte Position der „Verschwörungstheoretiker“ indem sie Dialektiken zwischen konspirativer Kultur, Praktiken und den beforschten Subjektivitäten, die sie hervorbringen, ausklammert. Indem so dem „Verschwörungstheoretiker“ eine „Mentalität“ beigebracht wird, die gleichsam in einer konspirativen Kultur zu verorten ist, verdinglicht sie ihn.“ (a.a.O., S. 48f. Hervorhebung im Original).

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Nicht zuletzt entkräftet der Autor Vorstellungen, die generell jeglichen Verschwörungstheorien eine Affinität zum Antisemitismus andichten wollen. Diese unüberprüft zu unterstellen, führe zu „einer essentialistischen Gleichsetzung von ‚Verschwörungstheorie‘ und ‚Antisemitismus‘, die keine Differenzen im Verschwörungsdenken erkennen kann und damit dem in dieser Ethnographie herausgearbeiteten Begriff von Konspirationskultur entgegensteht“ (a.a.O., S. 338. Hervorhebung im Original).

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Den Vorwurf, die zweifellos existenten negativen Aspekte mancher Verschwörungstheorien zu verharmlosen und/oder deren Gefahren zu relativieren, kann man Schink indes nicht machen, denn denjenigen Verschwörungstheorien, die eindeutig einen menschenverachtend-extremistischen Gehalt haben, erteilt der Autor in seiner Arbeit eine klare Absage.




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