Denisova-Menschen waren erste Menschenform im Hochland von Tibet
Leipzig (Deutschland) – Während die sogenannten Denisova-Menschen bislang nur durch einige wenige Fossilfragmente aus der namensgebenden Denisova-Höhle in Sibirien bekannt waren, haben Anthropologen nun einen rund 160.000 Jahre alten frühmenschlichen Kiefer aus Xiahe in China analysiert, dessen Besitzer einer Population angehörte, die eng mit den Denisovanern aus Sibirien verwandt war und während des Mittleren Pleistozäns im Hochland von Tibet gelebt und sich schon lange vor der Ankunft des homo sapiens in dieser Region an die höhenbedingt sauerstoffarme Umgebung angepasst hatte.
Erst 2010 anhand der Genomanalyse eines Fingerknöchleins als entdeckt und als solche erkannt, handelt es sich bei den Denisovanern sozusagen um eine Schwestergruppe der Neandertaler und damit um eine Frühmenschengruppe, die sich genetisch von den Neandertalern unterscheidet. „Spuren von Denisova-DNA sind im Erbgut heute lebender asiatischer, australischer und melanesischer Populationen zu finden, was darauf hindeutet, dass diese Menschenform einst weit verbreitet gewesen sein könnte“, sagt Jean-Jacques Hublin, Direktor der Abteilung für Humanevolution am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (MPI-EVA) . „Doch bisher wurden Fossilien ausschließlich in der Denisova-Höhle als Denisovaner-Fossilien identifiziert.“
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In ihrer aktuellen Studie beschreiben die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen um Hublin in Zusammenarbeit mit den Hauptautoren Fahu Chen vom Institute of Tibetan Plateau Research der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und Dongju Zhang von der Lanzhou University in China im Fachjournal „Nature“ (DOI: 10.1038/s41586-019-1139-x) den Fund des Unterkiefers, der im Hochland von Tibet, in der Baishiya Karst-Höhle in Xiahe, China, gefunden wurde.
Hintergrund
Ursprünglich wurde das Fossil im Jahr 1980 von einem Mönch entdeckt, der es dem 6. Gung-Thang Living Buddha schenkte, der es dann wiederum an die Lanzhou University weitergab. Fahu Chen und Dongju Zhang von der Lanzhou University untersuchen seit 2010 die Höhle, aus der der Unterkiefer stammt. Seit 2016 analysieren die beiden den Unterkiefer in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Humanevolution des MPI-EVA.
Während die Forscher in dem Fossil selbst keine DNA-Spuren finden konnten, gelang es ihnen, Proteine aus einem der Backenzähne zu gewinnen. Hierzu erläutern die Wissenschaftler: „Diese alten Proteine sind stark zersetzt und klar von modernen Proteinen zu unterscheiden, die eine Probe verunreinigen können. Unsere Proteinanalyse hat ergeben, dass der Xiahe-Unterkiefer zu einer Population gehörte, die eng mit den Denisova-Menschen aus der Denisova-Höhle verwandt war.“
Die robuste, primitive Form des gut erhaltenen Unterkiefers und die sehr großen Backenzähne deuten laut den Forschern darauf hin, dass der Knochen einst einem Frühmenschen gehörte, der im Mittleren Pleistozän lebte und anatomische Merkmale mit Neandertalern und Funden aus der Denisova-Höhle gemein hatte, erläutert die Pressemitteilung des MPI-EVA. Anhand einer Uran-Thorium-Datierung einer Kalkkruste auf dem Unterkiefer konnten die Wissenschaftler den Kiefer auf ein Alter von mindestens 160.000 Jahren datieren. Dieses Mindestalter entspricht damit dem der ältesten Funde aus der Denisova-Höhle.
„Bei dem Xiahe-Unterkiefer handelt es sich wahrscheinlich um das älteste Fossil eines Homininen im Hochland von Tibet“, erläutert Chen. „Diese hatten sich bereits an das Leben in dieser höhenbedingt sauerstoffarmen Umgebung angepasst, lange bevor der Homo sapiens überhaupt in der Region ankam.“
In früheren genetischen Studien konnten Wissenschaftler bereits zeigen, dass die heute im Himalaya lebenden Menschen das sog. EPAS1-Allel in ihrem Genom tragen, das von Denisovanern an sie weitergegeben wurde und das ihnen bei der Anpassung an ihren speziellen Lebensraum hilft.
„Urmenschen bewohnten das Hochland von Tibet im Mittleren Pleistozän und hatten sich schon lange vor der Ankunft des anatomisch modernen Menschen in der Region erfolgreich an hochgelegene, sauerstoffarme Umgebungen angepasst“, sagt Dongju Zhang. Hublin zufolge bestätigen Ähnlichkeiten mit anderen Fossilfunden aus China, dass die Denisovaner im aktuellen asiatischen Fossilbestand bereits vertreten sein dürften. „Unsere Analysen ebnen nun den Weg zu einem besseren Verständnis der homininen Evolutionsgeschichte während des Mittelpleistozäns in Ostasien.“
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