Die Pestpandemie des Mittelalters war weniger fatal als bislang gedacht
Jena (Deutschland) – Denken wir heute an die mittelalterliche Pest in Europa, so überwiegen Schulbuchvorstellungen von einer, halb Europa und ganze Landstriche dahinraffenden Seuche. Eine neue Studie basierenden auf Pollendaten aus 19 europäischen Ländern zeichnet nun jedoch ein anderes, differenzierteres Bild und zeigt, dass der Schwarze Tod in einigen Teilen Europas nur mäßig bis gar nicht auftrat.
Ziel der aktuell im Fachjournal „Nature Ecology & Evolution“ (DOI: 10.1038/s41559-021-01652-4) publizierten Studie war es, die tödliche Wirkung der Pestpandemie, die im 14. Jahrhundert (zwischen 1347 und 1352) in Europa (aber auch in Westasien und Nordafrika) wütete, auf regionaler Ebene einzuschätzen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Folgen von Region zu Region sehr unterschiedlich waren. Für die Autoren und Autorinnen unterstreicht dies die Bedeutung interdisziplinärer Ansätze zur Erforschung vergangener Pandemien.
„Historiker schätzen, dass die Seuche fast der Hälfte der europäischen Bevölkerung das Leben kostete und zahlreiche religiöse und politische Strukturwechsel nach sich zog“, erläutert die Pressemitteilung des Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte. „DNA-Untersuchungen konnten bereits Yersinia pestis als den Krankheitserreger der Pest identifizieren und sogar dessen Entwicklung über Jahrtausende zurückverfolgen. Wie sich die Pest jedoch demographisch auswirkte, blieb bislang wenig erforscht und kaum verstanden.“
Wie das Team um Dr. Adam Izdebski von der der Palaeo-Science and History-Gruppe des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte berichtet, zeigt die neue Studie nun aber, dass die hohe Mortalität durch die Pest nicht so weitverbreitet war, wie bislang angenommen.
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Hierzu analysierten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Mithilfe eines neuen Ansatzes, genannt Big-data paleoecology (BDP), Pollen von 261 Stätten aus 19 europäischen Ländern, um so zu bestimmen, wie sich Landschaft und landwirtschaftliche Aktivität zwischen 1250 und 1450 veränderten. So fanden die Forschenden beispielsweise heraus, welche Pflanzen in welchen Mengen angebaut wurden und konnte daraus schließen, wo der Ackerbau zum Stillstand kam und wo er weiterbetrieben wurde.
Während die Analysen zwar die bisherigen Erkenntnisse stützen, wonach bestimmte europäische Regionen besonders schwer von der Pest getroffen wurden, zeigen sie zugleich aber auch, dass nicht alle Regionen gleich schwer – einige sogar gar nicht – unter der Krankheitswelle litten.
„Einen besonders starken Rückgang landwirtschaftlicher Aktivität erlebten Skandinavien, Frankreich, Südwestdeutschland, Griechenland und Mittelitalien, was auch mit den hohen Sterblichkeitsraten korreliert, die in mittelalterlichen Quellen beschrieben werden“, so die Forschenden. „Zentral- und Osteuropa sowie Teile Westeuropas, darunter Irland und die Iberische Halbinsel, zeigen hingegen Anzeichen für Kontinuität und dauerhaftes Wachstum.“
Allerdings müssen diese signifikante Variabilität in der Mortalität, die der BDP-Ansatz identifizierte, erst noch vollständig erklärt werden. Allerdings vermuten die Autoren, dass lokale kulturelle, demographische, ökonomische, ökologische und soziale Gegebenheiten wahrscheinlich einen Einfluss auf die Verbreitung, die Infektionsrate sowie die Sterblichkeit von Yersinia pestis hatten.
Als einen der Gründe für die überraschenden Ergebnisse erläutern die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, „dass viele der schriftlichen Quellen aus urbanen Gebieten stammen, welche besonders durch beengte Räumlichkeiten und schlechte Hygiene gekennzeichnet waren. In der Mitte des 14. Jahrhunderts lebten jedoch mehr als drei Viertel der europäischen Bevölkerung in ländlichen Regionen.“ Die aktuelle Studie zeigt also, dass für die Untersuchung der Mortalität in einer bestimmten Region, Daten aus lokalen Quellen rekonstruiert werden müssen, etwa mithilfe des BDP-Ansatzes, um etwaige Veränderungen der örtlichen Landschaft zu bestimmen.
„Es gibt kein einzelnes Modell für ‚die Pandemie‘ oder ‚den einen Pestausbruch‘, welches für jeden Ort und jeden Zeitpunkt angewendet werden könnte“, erläutert Adam Izdebski abschließend. „Pandemien sind komplexe Phänomene, die jedoch auch regional und lokal unterschiedliche Ausprägungen aufweisen. Was wir schon während der COVID-19-Pandemie erleben konnten, haben wir nun auch für die Pest gezeigt.“
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Recherchequelle: Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte
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