Cambridge (USA) – Wer kennt sie nicht, die dramatischen Gipsabgüsse der in meterdicken Schichten von Vulkanasche erhaltenen Körperformen der Opfer des Vulkanausbruchs von Pompeji im Jahre 79 n. Chr. und die damit einhergehenden Erzählungen von Kindern und Paaren, die in den Armen ihrer Mütter und Liebenden von heißer Vulkanasche überrascht, verschüttet und ihre Körperformen darin konserviert wurden. Eine neue DNA-Analyse anhand von Knochen aus diesen Abgüssen zeichnet nun jedoch ein ganz anderes Bild der Opfer.
Wie das Team um David Reich und Alissa Mittnik von der Harvard University und David Caramelli von der Universität Florenz aktuell im Fachjournal „Current Biology“ (DOI: 10.1016/j.cub.2024.10.007) berichtet, verändern die neusten Analysen der antiken DNA, die anhand von in einigen der berühmten Gipsabdrücke der Opfer verbliebenden Knochen gewonnen werden konnte, das historische Verständnis, das seit der Wiederentdeckung Pompejis im 18. Jahrhundert bestand.
Zeitenössich romantisierte Fundinterpretationen statt Fakten
Schon zuvor war bekannt, dass frühe Archäologen die seit 1920-er Jahren ausgegossenen Körperhüllen teilweise ohne wissenschaftliche Grundlage für die anschauliche Ausstellung in Pompeji selbst neu arrangiert und präsentiert wurden. Auf diese Weise entstand ein teilweise stark romantisiertes Bild der vermeintlich römischen Bevölkerung des antiken Pompeji.
Die Ergebnisse der neuen DNA-Analyse zeige nun, „dass die Geschlechter und familiären Beziehungen der Individuen nicht den traditionellen Interpretationen entsprechen, die größtenteils auf modernen Annahmen basierten“, so Reich und führt dazu weiter aus: „Die wissenschaftlichen Daten, die wir liefern, stimmen nicht immer mit den gängigen Annahmen überein.
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Als ein bemerkenswertes Beispiel nennen die Forschenden die Entdeckung, dass ein Erwachsener mit goldenem Armband, der ein Kind, was traditionell als „Mutter und Kind“ interpretiert wurde, in Wirklichkeit ein mit dem Kind gar nicht verwandter erwachsener Mann war. An anderer Stelle stellte sich heraus, dass ein Paar, das man für Schwestern oder Mutter und Tochter hielt, mindestens eine genetische männliche Person beinhaltete. „Diese Ergebnisse stellen traditionelle Annahmen über Geschlecht und Familie im antiken Pompeji infrage.“
Wie das Team weiter berichtet, nutzten sie antike DNA und Strontiumisotope, wie sie zur Datierung der Proben verwendet wurden, um auch die Vielfalt und Herkunft der Bewohner Pompejis besser zu verstehen. Hierfür extrahierten sie zunächst DNA aus stark den teilweise bereits fragmentierten Überresten, die mit den Gipsabdrücken vermischt waren, und konzentrierten sich auf 14 der insgesamt 86 Abdrücke, die derzeit vor Ort restauriert werden. Anhand dieser Methode gelang es dann, die genetischen Verwandtschaftsverhältnisse, das Geschlecht und die Herkunft dieser Personen genauer zu bestimmen. „Die Ergebnisse widersprachen größtenteils den lange gehegten Annahmen, die allein auf dem äußeren Erscheinungsbild und der Positionierung der Abdrücke basierten.
Pomejis Gesellschaft erstaunlich vielfältig
Die genetischen Daten geben nun Einblicke in die Herkunft der Pompejaner und offenbaren, deren überraschend vielfältige genetische Herkunft. „Die Pompejaner stammten größtenteils von kürzlich eingewanderten Personen aus dem östlichen Mittelmeerraum ab.“ Für die Forscher und Forscherinnen ein Ergebnis, dass einmal mehr die kosmopolitische Natur des Römischen Reiches unterstreiche.
„Unsere Ergebnisse haben erhebliche Auswirkungen auf die Interpretation archäologischer Daten und das Verständnis antiker Gesellschaften“, sagt Mittnik. „Sie betonen die Bedeutung der Integration genetischer Daten mit archäologischen und historischen Informationen, um Fehlinterpretationen zu vermeiden, die auf modernen Annahmen beruhen. Diese Studie unterstreicht auch die vielfältige und kosmopolitische Natur der Bevölkerung Pompejis und spiegelt breitere Muster von Mobilität und Kulturaustausch im Römischen Reich wider.“
Neue Ergebnisse untermauern Notwendigkeit neuer Deutungsansätze
Die Ergebnisse verdeutlichen zudem die Notwendigkeit eines multidisziplinären Ansatzes, einschließlich genetischer Analysen, um die Vergangenheit Pompejis und darüber hinaus vollständig zu verstehen. „Diese Studie zeigt, wie unzuverlässig Erzählungen sein können, die auf begrenzten Beweisen basieren und oft die Weltanschauung der Forscher zur jeweiligen Zeit widerspiegeln“, sagt Caramelli abschließend.
Recherchequelle: Current Biology, Cell Press
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