München (Deutschland) – Europäische Astronomen und Astronominnen haben mit der nunmehr dritten Datenveröffentlichung der ESA-Mission „Gaia“ (DR3 Gaia) den bislang umfangreichsten Datenschatz über unsere Heimatgalaxie die Milchstraße veröffentlicht. Einhergehend mit dem Datenpaket „DR3 Gaia“ beschreiben die Forschenden seltsame Sternenbeben, stellare DNA, asymmetrische Bewegungen und andere beeindruckende Erkenntnisse.
Bei „Gaia“ handelt es sich um die europäische Mission zur Erstellung der genauesten und vollständigsten multidimensionalen Karte der Milchstraße. „Dadurch können die Astronominnen und Astronomen die Struktur und vergangene Entwicklung unserer Heimatgalaxie über Milliarden von Jahren nachvollziehen sowie den Lebenszyklus von Sternen und unseren Platz im Universum besser verstehen“, erläutert die Pressemitteilung der europäischen Raumfahrtagentur ESA.
Die Datenfreigabe 3 von Gaia (DR3 Gaia) enthält neue und verbesserte Details für fast zwei Milliarden Sterne in unserer Heimatgalaxie. Der Datenkatalog enthält neue Daten, etwa über die chemische Zusammensetzungen, Sterntemperaturen, Farben, Massen, Alter und die Geschwindigkeit, mit der sich Sterne auf uns zu oder von uns weg bewegen (die sog, Radialgeschwindigkeit). „Ein Großteil dieser Informationen wird durch die erstmals veröffentlichten Spektroskopie-Daten von Gaia bereitgestellt, für die das Sternenlicht in seine einzelnen Farben aufgespalten wird (wie bei einem Regenbogen). Die Daten enthalten auch spezielle Untergruppen von Sternen, z. B. jene, deren Helligkeit sich mit der Zeit ändert.“
Der Datensatz enthalte zudem auch den bisher größten Katalog von Doppelsternen, Tausende von Objekten des Sonnensystems wie Asteroiden und Monde von Planeten sowie Millionen von Galaxien und Quasaren außerhalb der Milchstraße.
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Zu den überraschendsten Entdeckungen in den neuen Daten gehört, dass Gaia Sternenbeben – winzige Bewegungen auf der Oberfläche eines Sterns – nachweisen kann, die die Form der Sterne verändern, obwohl Gaia eigentlich gar nicht für eine solche Entdeckung gebaut wurde.
Bereits zuvor hatte Gaia radiale Schwingungen entdeckt, die Sterne regelmäßig anschwellen und schrumpfen lassen, während sie ihre kugelförmige Gestalt beibehalten. „Allerdings hat Gaia jetzt auch andere Schwingungen entdeckt, die eher wie große Tsunamis wirken. Diese nicht-radialen Schwingungen verändern lediglich die globale Form eines Sterns und sind daher nicht so leicht zu erkennen.“
Gaia hat zudem bei Tausenden von Sternen starke nicht-radiale Sternenbeben entdeckt und außerdem derartige Schwingungen in Sternen aufgedeckt, bei denen diese bisher nur selten zu sehen waren. Nach derzeitigen Theorien sollten diese Sterne jedoch keine Beben haben – doch wurden sie von Gaia an den Oberflächen entdeckt.
„Sternenbeben lehren uns eine Menge über die Sterne, insbesondere über ihr Innenleben. Gaia ist eine Goldgrube für die ‚Asteroseismologie‘ massereicher Sterne“, sagt Conny Aerts von der KU Leuven in Belgien, die Mitglied des Gaia-Konsortiums ist.
Die Zusammensetzung von Sternen kann Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen mehr über ihren Entstehungsort und ihre anschließende Reise und damit auch über die Geschichte der Milchstraße verraten. „Mit den heute veröffentlichten Daten enthüllt Gaia die größte chemische Karte der Galaxie, die mit 3D-Bewegungen von der Umgebung unserer Sonne bis hin zu kleineren Galaxien in unserer Nähe gekoppelt ist“.
Einige Sterne enthalten demnach mehr Schwermetallanteile als andere. Während des Urknalls bildeten sich nur leichte Elemente (Wasserstoff und Helium). Alle anderen schwereren Elemente, die von Forschern und Forscherinnen „Metalle“ genannt werden, entstehen im Inneren von Sternen. „Wenn Sterne sterben, werden diese Metalle in das Gas und den Staub zwischen den Sternen, das sogenannte interstellare Medium, freigesetzt, aus dem heraus dann neue Sterne entstehen. Durch das aktive Entstehen und Sterben von Sternen entsteht eine metallreichere Umgebung. Die chemische Zusammensetzung eines Sterns ist somit eine Art DNA, die uns wertvolle Informationen über seine Herkunft liefert.“ Dank Gaia wissen wir, dass einige Sterne in unserer Galaxie aus primordialem, also kosmologisch-urzeitlichem Material bestehen, während andere wie unsere Sonne aus einer Materie bestehen, die von früheren Generationen von Sternen angereichert wurde. Die dem Zentrum und der Ebene unserer Galaxie näher gelegenen Sterne sind reicher an Metallen als Sterne in größerer Entfernung. Gaia hat außerdem anhand ihrer chemischen Zusammensetzung Sterne identifiziert, die ursprünglich aus anderen Galaxien als unserer stammen.
„Unsere Galaxie ist ein wunderschöner Schmelztiegel von Sternen“, sagt Alejandra Recio-Blanco vom Observatoire de la Côte d’Azur in Frankreich, ebenfalls Mitglied des Gaia-Konsortiums. „Diese Vielfalt ist extrem wichtig, denn sie verrät uns die Geschichte der Entstehung unserer Galaxie. Sie offenbart die Migrationsprozesse innerhalb unserer Galaxie und die Akkretion aus externen Galaxien. Dies zeigt auch deutlich, dass unsere Sonne und wir alle Teil eines sich ständig verändernden Systems sind, das durch die Zusammenführung von Sternen und Gas unterschiedlicher Herkunft entstanden ist.“
Mehre der einhergehend mit der DR3 veröffentlichten Studien spiegeln die ganze Fülle und Tiefe des Entdeckungspotenzials von Gaia wider. So gibt nun ein neuer Katalog von Doppelsternen Aufschluss über die Masse und die Entwicklung von mehr als 800.000 Doppelsternsystemen, während eine neue Studie über Asteroiden rund 156.000 felsige Körper umfasst und den Ursprung unseres Sonnensystems näher beleuchtet. „Gaia enthüllt auch Informationen über 10 Millionen veränderliche Sterne, geheimnisvolle Makromoleküle zwischen den Sternen sowie Quasare und Galaxien außerhalb unserer eigenen kosmischen Nachbarschaft.“
„Anders als bei anderen Missionen, die auf bestimmte Objekte abzielen, handelt es sich bei der Mission Gaia um eine Durchmusterungsmission. Das bedeutet, dass Gaia bei der mehrfachen Durchmusterung des gesamten Himmels mit Milliarden von Sternen zwangsläufig Entdeckungen machen wird, die anderen, spezielleren Missionen entgehen würden. Das ist eine ihrer Stärken, und wir sind gespannt darauf, dass die Astronomiegemeinschaft unsere neuen Daten genau unter die Lupe nimmt, um noch mehr über unsere Galaxie und ihre Umgebung zu erfahren, als wir uns vorstellen konnten“, sagt Timo Prusti, Projektwissenschaftler für Gaia bei der ESA.
– Weitere Informationen zur Gaia-Mission finden Sie auf der ESA-Missionsseite
– Weitere Einzelheiten über die Datenfreigaben DR3 von Gaia finden Sie HIER und im Gaia-Archiv
– Weiterführende Erklärungen zu den neuen Gaia-Daten finden Sie hier: https://www.cosmos.esa.int/web/gaia/dr3-stories
– In einer Sonderausgabe der Fachzeitschrift „Astronomy & Astrophysics“ wird eine Reihe von wissenschaftlichen Artikeln erscheinen, in denen die Daten und ihr Validierungsprozess beschrieben werden: https://www.cosmos.esa.int/web/gaia/dr3-papers
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Recherchequelle: ESA
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