Erdmagnetfeld: Wüstenameisen navigieren mit sechstem Sinn
Wüstenameisen am Nesteingang
Copyright/Quelle: Pauline Fleischmann / Universität Würzburg
Würzburg (Deutschland) – Wüstenameisen orientieren sich zur Navigation am Erdmagnetfeld und können sich so den Weg zurück in ihr Nest einprägen. Bislang war diese Fähigkeit dieser Insekten nicht bekannt.
„Den Anfang ihres Lebens verbringen Wüstenameisen (Cataglyphis) ausschließlich unterirdisch in ihrem dunklen Nest“, berichten die Forscher um Professor Wolfgang Rössler und Dr. Pauline Fleischmann vom Biozentrum der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) gemeinsam mit Professor Rüdiger Wehner vom Brain Research Institute der Universität Zürich. „Gut vier Wochen lang kümmern sie sich um Brut und Königin, graben Tunnel, bauen Kammern oder räumen auf. Dann irgendwann wagen sie den Schritt an die Oberfläche und wechseln den Job: Bis zu ihrem Tod sind sie von da an als futtersuchende Arbeiterinnen unterwegs.“
Bevor eine Ameise sich dann auf Futtersuche begibt, muss sie jedoch ihr „Navigationssystem“ kalibrieren. Wie die Forscher aktuell im Fachjournal „Current Biology“ (DOI: 10.1016/j.cub.2018.03.043) berichten, zeigen die Tiere dabei zwei bis drei Tage lang ein sehr spezielles Verhaltensmuster: „Bei sogenannten Lernläufen erkunden die Tiere die nähere Umgebung rund um den Nesteingang und drehen dabei wiederholt Pirouetten um die eigene Körperachse.“
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Anhand von Aufnahmen mit Hochgeschwindigkeitskameras beobachteten die Wissenschaftler nun, dass die Ameisen während dieser Drehungen immer wieder innehalten: „Das Besondere an den längsten dieser Unterbrechungen: In diesem Moment schauen die Tiere immer exakt in Richtung des Nesteingangs zurück, obwohl sie diesen – ein winziges Loch im Boden – nicht sehen können.“
Bei weiteren Untersuchungen haben die Forscher jetzt überraschend festgestellt, dass sich Wüstenameisen in der Phase dieser „Lernläufe“ am Magnetfeld der Erde orientieren -. Eine Fähigkeit, die bereits von anderen Tieren bekannt, für Wüstenameisen bislang aber unbekannt war.
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„Auf der Suche nach Nahrung entfernen sich Wüstenameisen mehrere hundert Meter von ihrem Nest. Ihr Weg verläuft dabei schlangenlinienförmig und in größeren Schleifen. Haben sie dann Nahrung gefunden, gehen sie auf einer direkten Linie zum Nesteingang zurück“, schildert Rössler die erstaunlichen Fähigkeiten der Ameisen. Dass sich die Tiere dabei am Sonnenstand und am umliegenden Panorama orientieren und diese Informationen mit den zurückgelegten Schritten verrechnen, war bisher schon bekannt.
Jüngste Forschungsergebnisse haben nun hinzu gezeigt, dass die Wüstenameisen in der Zeit der Lernläufe auch dann zum Nesteingang zurückblicken, wenn sie sich nicht am Sonnenstand oder dem Panorama ausrichten können: „Das hat uns auf die Idee gebracht, dass sie möglicherweise das Erdmagnetfeld als Referenzsystem nutzen, so wie das beispielsweise manche Vögel tun (…Grewi berichtete)“, erklärt Fleischmann.
Um diese These zu überprüfen reisten die Forscher nach Südgriechenland, wo Cataglyphis-Ameisen beheimatet sind. Hier erzeugten sie mit einem sog. Helmholtz-Spulenpaar ein nahezu homogenes und exakt definiertes Magnetfeld, um so das Verhalten der Wüstenameisen während der Lernläufe unter kontrollierten Bedingungen in ihrem natürlichen Habitat zu beobachten.
Grafische Darstellung der Suche nach dem Nesteingang. Hierbei orientieren sich Wüstenameisen erfolgreich mit Hilfe des Erdmagnetfelds (schwarz). Das zeigen Experimente, bei denen das Magnetfeld künstlich gedreht wird (rot). (dt. Textübers.: Red. GreWi).
Copyright: Current Biology)
Das Ergebnis war eindeutig: Drehten die Wissenschaftler an der Ausrichtung des Magnetfelds, blickten die Wüstenameisen nicht mehr in Richtung des tatsächlichen Nesteingangs, sondern eines vorhersagbaren neuen Orts – dem „fiktiven Nesteingang“ (s. Grafik). „Ihr Wegintegrator lieferte ihnen, basierend auf der Information des Magnetfelds, einen neuen Vektor zum Nest“, erklärt Wolfgang Rössler.
Obwohl schon zuvor von einzelnen Ameisenarten bekannt war, dass sie auf Änderungen im Magnetfeld unter bestimmten Bedingungen reagieren, war dies im Fall der Wüstenameise Cataglyphis nicht nur bislang nicht bekannt, auch hatten die Forscher eine derart eindeutige Rolle bei der Navigation nicht erwartet.
Das Ergebnis öffne „ein neues Tor, das viele neue Fragen nach sich zieht“. Etwa jene danach, wann die Wüstenameisen ihren Magnet-Sinn nutzen? „Gut möglich, dass sie ihn bereits während der ersten Lebenswochen verwenden, die sie ausschließlich im Nest unter der Erde verbringen. In totaler Dunkelheit kann eine Orientierungshilfe schließlich nicht schaden. Aber das ist derzeit noch Hypothese.“
Ebenfalls für die Wissenschaftler interessant ist die Frage, wie und ob sie überhaupt zwischen den verschiedenen Navigationshilfen – dem Sonnenstand, dem Landschaftspanorama und dem Erdmagnetfeld – hin und her wechseln? „Immerhin ist bekannt, dass erfahrene Sammelameisen wieder Lernläufe absolvieren, wenn man sie dazu zwingt – beispielsweise durch eine veränderte Umgebung am Nesteingang.“ Unklar sei derweil ebenso, ob sie auch dann wieder auf Informationen des Erdmagnetfelds zugreifen oder ob sie sich wie während ihrer Futtersuchläufe auf ihren Sonnenkompass verlassen.
„Und am Ende stehen natürlich die alles überspannenden Fragen: Wo sitzt der Sensor für das Magnetfeld und wie funktioniert er?“
Damit sei man dann schon ganz tief drin im Bereich der Orientierungs- und Navigationsforschung bei Insekten, sagt Wolfgang Rössler. Wie es das vergleichsweise kleine Gehirn der Ameisen schafft, Richtungsinformationen über den Sonnenstand, das Magnetfeld sowie Panoramaansichten der Landschaft zu speichern und mit Entfernungsinformationen aus dem Schrittzähler zu verarbeiten – diese Frage reiche weit über das Gebiet der Verhaltensforschung und der Neurowissenschaften hinaus erklärt der Wissenschaftler. Die Antwort auf diese Frage sei auch für die Informatik und Robotik von großem Interesse.
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Studie zeigt: Ameisen pflegen verwundete Artgenossen 14. Februar 2018
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