Erste Bestattungen: Funde beweisen kulturellen Austausch zwischen Neandertalern und Homo sapiens
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Copyright: Efrat Bakshitz
Jerusalem (Israel) – Wissenschaftliche Untersuchungen von Funden aus der Tinshemet-Höhle belegen, dass hier Neandertaler und Homo sapiens im mittleren Mittelpaläolithikum der Levante nicht nur nebeneinander existierten, sondern auch aktiv miteinander interagierten.
Wie das Team unter der Leitung von Prof. Yossi Zaidner von der Hebrew University Jerusalem aktuell im Fachjournal „Nature Human Behaviour“ (DOI: 10.1038/s41562-025-02110-y) berichtet, belegen die Funde, dass die beiden Menschenarten Technologie, Lebensweisen und Bestattungsrituale miteinander teilten. „Diese Interaktionen förderten kulturellen Austausch, soziale Komplexität und Verhaltensinnovationen, darunter formale Bestattungspraktiken und die symbolische Nutzung von Ocker zu Dekorationszwecken.“
Kooperation war treibende kulturelle Kraft
Die Forschenden deuten die Ergebnisse dahingehend, dass menschliche Verbindungen – und nicht Isolation – die treibende Kraft hinter technologischen und kulturellen Fortschritten waren. Die Funde unterstreichen damit einmal mehr die Bedeutung der Levante als entscheidenden Knotenpunkt in der frühen Menschheitsgeschichte.
Schon lange gilt die am Ostufer des Wadis Beit Arif, unweit der Stadt Schoham gelegene Tinshemet-Höhle aufgrund ihrer Fülle an archäologischen und anthropologischen Funden als wichtiger Schlüssel zum Verständnis unter anderem der mittleren Altsteinzeit. Hier wurden unter anderem verschiedene menschliche Bestattungen entdeckt – die ersten Bestattungen aus dem mittleren Mittelpaläolithikum, die in den vergangenen fünfzig Jahren gefunden wurden.
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Die Beweise dafür, dass Neandertaler und Homo sapiens in der Region nicht nur nebeneinander lebten, sondern auch Aspekte des täglichen Lebens, der Technologie und der Bestattungssitten teilten zeigen, dass ihre Beziehungen komplexer und möglicherweise sehr viel enger verflochten waren als bisher angenommen.
Anhand der Untersuchungen von vier Schlüsselaspekten – Steinwerkzeugproduktion, Jagdstrategien, symbolisches Verhalten und soziale Komplexität – argumentiert die Studie, dass verschiedene Menschengruppen, darunter Neandertaler, Prä-Neandertaler und Homo sapiens, hier bedeutungsvolle Interaktionen führten. Offenbar waren Neandertaler und modernen Menschen also weniger Konkurrenten um Ressourcen, sondern vielmehr Nachbarn oder sogar friedliche Kooperationspartner.
„Dieser Austausch ermöglichte die Weitergabe von Wissen und führte zur allmählichen kulturellen Angleichung der Bevölkerungen.“ Die Forschenden vermuten weiter, dass diese Interaktionen soziale Komplexität und Verhaltensinnovationen förderten. „So begannen beispielsweise um 110.000 v. Chr. in Israel – zum ersten Mal weltweit – formale Bestattungsrituale, vermutlich als Folge verstärkter sozialer Kontakte.“
Tinshemet-Höhle schlüssel zur mittleren Altseinzeit
Ein bemerkenswerter Fund in der Tinshemet-Höhle ist die extensive Nutzung von Mineralpigmenten, insbesondere Ocker, der möglicherweise für Körperbemalung verwendet wurde. Diese Praxis könnte dazu gedient haben, soziale Identitäten und Unterschiede zwischen Gruppen zu markieren oder aber auch zu verbinden.
Die Anhäufung menschlicher Bestattungen in der Höhle werfe spannende Fragen über ihre gesellschaftliche Rolle auf. „Diente sie als spezieller Bestattungsplatz oder sogar als Friedhof? Falls ja, würde dies auf gemeinsame Rituale und starke Gemeinschaftsbindungen hindeuten. Die Platzierung bedeutender Artefakte – darunter Steinwerkzeuge, Tierknochen und Ockerstücke – in den Grabgruben könnte zudem auf frühe Vorstellungen eines Lebens nach dem Tod hindeuten.“

Copyright: Marion Prévost
Prof. Zaidner beschreibt das heutige Israel als einen „Schmelztiegel“, in dem verschiedene Menschengruppen zusammentrafen, interagierten und sich gemeinsam entwickelten. „Unsere Daten zeigen, dass menschliche Verbindungen und Interaktionen der Populationen schon immer entscheidend für kulturelle und technologische Innovationen waren“, erklärt er.
Die an der Studie beteiligte Dr. Marion Prévost hebt die einzigartige geografische Lage der Region an einem Kreuzungspunkt der menschlichen Migration hervor. „Während des mittleren Mittelpaläolithikums führten klimatische Verbesserungen zu einem Anstieg der Bevölkerungsdichte und intensivierten die Kontakte zwischen verschiedenen Homo-Arten.“
Der ebenfalls beteiligte Prof. Israel Hershkovitz fügt hinzu, dass die vernetzten Lebensweisen verschiedener Menschengruppen in der Levante auf tiefe Beziehungen und gemeinsame Anpassungsstrategien hinweisen. „Diese Funde zeigen ein dynamisches Wechselspiel, das sowohl durch Kooperation als auch durch Konkurrenz geprägt war.“
Von weiteren Ausgrabungen in der Tinshemet-Höhle erhoffen sich die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen noch tiefere Einblicke in die Ursprünge der menschlichen Gesellschaft.
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Recherchequelle: Hebrew University Jerusalem
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