Fragen zu „Deutschlands historischen UFO-Akten“
Saarbrücken (Deutschland) – In seinem gerade neu erschienenen Buch „Deutschlands historische UFO-Akten“ widmet sich GreWi-Herausgeber Andreas Müller „Schilderungen unidentifizierter Flugobjekte und Phänomene in historischen Aufzeichnungen und Archivalien aus Deutschland …mit Beispielen auch aus Österreich und der Schweiz“. Im Interview berichtet Müller nun von und über seine Arbeit und den Inhalt seines Buches.
– Die Fragen stellte Dr. Andreas Anton vom Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP)
– Weitere Informationen zum neuen Buch „Deutschlands historische UFO-Akten“ finden Sie HIER
Andreas Anton: Wie kommt man überhaupt an historische Dokumente zum UFO-Thema? Wie geht man bei der Recherche vor?
Inhalt
Andreas Müller: Tatsächlich waren es die Bücher von Charles Fort, vor allem aber das Buch „Wonders in the Sky“ von Jaques Vallée und Christ Aubek, die mich dazu inspirierten, historische Fälle aus dem deutschsprachigen Raum gezielt anhand der Originalquellen zu recherchieren, erneut zu betrachten, auszusortieren und dann dazustellen.
Wenn man Fort, Aubek und Vallée liest, so finden sich schon dort einige Fälle aus dem deutschsprachigen Raum. Aber so grundlegend diese Arbeiten auch sind, es finden sich darin auch zahlreiche falsche Angaben. Vermutlich gehen die meisten auf Missverständnisse durch Verständnis- und Übersetzungsfehler dieser englischsprachigen Autoren anhand der deutschsprachigen Quellen zurück. Diese habe ich in meinem Buch versucht, so weit wie möglich zu korrigieren. Quellenarbeit war mir schon im ersten Buch sehr wichtig, so auch jetzt.
Einige Fälle, wie etwa die Ereignisse, die in den bekannten Flugblättern von Nürnberg und Basel aus dem 16. Jahrhundert geschildert werden, sind ja bereits hinlänglich bekannt, andere weniger und wiederum andere, die ich bei meinen Nachforschungen gefunden habe, waren bislang gar nicht bekannt. Schon in meinem ersten UFO-Buch „Deutschlands UFO-Akten“ (2021) habe ich ja historische Fälle diskutiert: Die besagten Flugblätter von Basel und Nürnberg oder die erste amtliche UFO-Akte überhaupt von 1826 hier vom Saarbrücker Rastpfuhl.
Neben guten Kontakten zu einigen erfahrenden Historikern und Archivaren habe ich mich aber natürlich auch selbst auf die Suche gemacht. Das geht heute durch die Digitalisierung wirklich vieler Bestände natürlich sehr viel einfacher als noch vor 10 Jahren. Zudem war ich ja auch nicht der erste UFO-interessierte Journalist und Forscher, der sich mit alten Sichtungen beschäftig hatte. Nachdem ich also zunächst einmal zusammengetragen habe, ging es ans Aussortieren der Fälle, denn nicht alles, was zunächst nach UFO klingt, hält einer Überprüfung auch stand – eine der vielen Parallelen zwischen früher und heute, wenn es um UFO-Sichtungen geht.
Am Ende blieben dann jene Fälle übrig, für die es (zumindest meiner Meinung nach) wirklich schwer ist, eine rationale Erklärung zu finden. Und um diese Fälle geht es in meinem neuen Buch. Es sind 34 Fälle im Buch. Das bedeutet aber nicht, dass diese Auswahl final und unumstößlich ist. Es gibt ganz sicher auch andere Ansichten zu dem ein oder anderen Fall und es werden sicherlich noch weitere interessante Fälle entdeckt werden. Eine solche Arbeit kann nicht den Anspruch auf Vollständigkeit haben oder vorgeben, alles besser zu wissen. Eine solche Arbeit ist immer „work in progress“.
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Anton: Welcher Fall geht geschichtlich am weitesten zurück?
Müller: In meinem Buch, das sich ja ausschließlich auf den deutschsprachigen Raum beschränkt, ist das der Fall zweier roter fliegender Schilde“, die angeblich über dem Heer Karls des Großen beim Kampf um die Syburg nahe Dortmund im Jahre 776 erschienenen.
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Anton: Welche Fälle erscheinen aus heutiger Sicht besonders interessant oder verblüffend?
Müller: Eine solche Auswahl zu treffen, ist natürlich immer schwierig, zumal das Buch selbst ja schon eine strenge Auswahl an Fällen aus Hunderten ähnlicher Berichte darstellt.
Besonders interessant ist sicher der besagte Fall der „fliegenden Schilde“ über dem Heer Karls des Großen (Ereignis 1, S. 31). Dann natürlich die UFO-Sichtung des Tübinger Professors und Erfinders der ersten mechanischen Rechenmaschine, Wilhelm Schickard. Er war 1630 vermutlich der erste Akademiker überhaupt, der das, was wir heute als UFO-Sichtung bezeichnen würden, präzise aufgezeichnet und beschrieben hatte (Ereignis 18, S. 113). Deutschlands erster UFO-Forscher sozusagen. Interessanterweise erfuhr er schon damals Gegenwind für seine Bemühungen einer ordentlichen und ausführlichen Dokumentation. Trotzdem veröffentlichte er seine Aufzeichnungen in Form eines immerhin 33 Seiten starken Drucks.
1623 gab es einen spannenden Vorfall in Wien, als kugelförmige Objekte die Stadt und die dortigen Kirchen überflogen, zwei davon den Stephansdom beschädigten, eine dieser Kugeln zu Boden fiel, gewogen und zum Kaiser gebracht wurde, während die andere wieder empor und davon flog (Ereignis 16b, S. 254).
Die Sichtung eines „Tellers“ über Stralsund anno 1665 ist nicht zuletzt deshalb so eindrucksvoll und wichtig, weil es die erste gezielte bildliche Darstellung eines „UFOs“ (was auch immer es damals war) im deutschsprachigen Raum, vielleicht sogar international (?) darstellt (Ereignis 19, S. 125). Es gibt zwar schon wesentlich ältere UFO-artige Darstellungen in der Kunst, doch ist meist nicht klar, was der Künstler wirklich abbilden wollte. Hier stellt sich diese Frage nicht und heute würden wir vermutlich von einer klassischen UFO-Scheibe sprechen. Einmal mehr sind die Parallelen offenkundig.
1697 sahen angeblich „tausende“ Zeugen zwei kugelförmige Objekte am Himmel nahe Lübeck (Ereignis 21, S. 155). Zwar ist auch zu vermuten, dass auch die sog. Himmelsspektakel von Basel und Nürnberg von sehr vielen Bewohnern dieser Stätte gesehen wurden, doch hier haben wir erstmals eine recht konkrete Angabe über die unzähligen Zeugen der Ereignisse. Es könnte somit die erste wirkliche Massensichtung gewesen sein.
1772 beschreibt der Kommandant der Festung Wilhelmstein in einem Brief an den Grafen zu Schaumburg-Lippe eine hell leuchtende „Rakete“, die das sog. Steinhuder Meer langsam und in einem Zickzackkurs überflog und das noch, bevor man in der frühen proto Science-Fiction Raketen als Mittel der Raumfahrt andachte (Ereignis 26, S. 187). Die älteste wirklich amtliche Akte über eine „UFO-Sichtung“ stammt dann von 1826 aus Saarbrücken (Ereignis 29, S. 211).
Anton: Welche Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede gibt es zwischen historischen und modernen UFO-Fällen?
Müller: Erstaunlicherweise gibt es mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Schon beim Schreiben bin ich immer wieder auf diese vielen Parallelen gestoßen und UFO-kundige Leserinnen und Leser wird es beim Lesen des Buches sicherlich ähnlich ergehen. Im Buch gibt es auch immer wieder bildhafte Querverweise zu modernen UFO-Fällen und Ereignissen, wie etwa dem Umstand, dass auch die neue US-UFO-Untersuchungsbehörde AARO mehrheitlich kugelförmige unidentifizierte Flugobjekte detektiert (…GreWi berichtete 1, 2) und auch die meisten der historischen Fälle von Kugeln berichten.
Der größte und wichtigste Unterschied zu heute liegt angesichts der historischen Fälle sicher darin, dass wir heute ein viel größeres und genaueres Verständnis natürlicher und astronomischer Phänomene haben, weshalb sich wirklich sehr viele historische Berichte, die zunächst nach einem UFO klingen, mit diesem heutigen Wissen recht gut und befriedigend auch so erklären lassen. Aber eben nicht alle. Und da beginnen dann die Parallelen zu heute. Auch und gerade in der Problematik der Deutung, Interpretation und Auswertung. Angesichts der alten Berichte haben wir nahezu in jedem Fall das Problem, dass wir außer den Berichten (die oft noch nicht einmal von den Augenzeugen selbst aufgeschrieben wurden), es ausschließlich mit anekdotischen Beweisen zu tun haben und uns leider keine unabhängigen Daten, noch nicht einmal Fotos oder Videoaufnahmen dazu vorliegen. Das erschwert die Deutung dieser Fälle natürlich ungemein. Sie deswegen aber als für saubere Wissenschaft wertlos zu betrachten oder sie nur, weil wir sie nicht erklären können und verstehen, als Überzeichnungen, Missverständnisse oder Metaphern abtun, halte ich für fraglich. In Fällen, in denen wir in den Schilderungen etwa einen Kometen oder Nebensonnen erkennen, tun wir das ja auch nicht, sondern akzeptieren solche Flugschriften dann als historische Belege für diese Phänomene. Die meiste Literatur ist da gerne blind – sowohl in die eine wie auch in die andere Richtung. Denn es ist oft ebenso fraglich, jede historische Schilderung von Dingen am Himmel in ein modernes UFO- oder gar Alien-Raster zu zwängen. Ich denke, hier braucht es einen interessierten und ergebnisoffenen Mittelweg.
Anton: Wie wurden die für das Buch gesammelten Fälle in ihrer jeweiligen Zeit gedeutet oder erklärt? Welche Rolle spielen generell religiöse Überzeugungen und Motive in Bezug auf das Thema?
Müller: Oft wurden diese Erscheinungen, wie auch uns heute bekannte meteorologische und/oder astronomische Phänomene als Zeichen Gottes, Wunderzeichen und Vorhersehungen, sog. Prodigien gedeutet. Hierzu muss man verstehen, dass eine Vielzahl dieser Schilderungen zwar schon nicht mehr aus dem Mittelalter, sondern der Renaissance, dem Barock oder der Neuzeit und Aufklärung stammt, dass die meisten Menschen – also jene Menschen, die diese Dinge sahen und dann auch zu deuten versuchten, – aber auch viele der frühen zeitgenössischen Wissenschaftler noch immer in den Bilderwelten und Denkmustern des religiös geprägten Mittelalters oder gar der Antike verhaftet waren. Gerade der Himmel war noch immer eine Art Leinwand Gottes, über die und deren Wunderzeichen Gott selbst sich den Menschen mitteilte, deren Sünden tadelte und mit Omen bevorstehende Kriege und Katastrophen ankündigte. Weltuntergangsängste und -Szenarien waren weit verbreitet. Das darf bei aller Faszination für das UFO-Thema anhand dieser Schilderungen nicht vergessen werden, gerade wenn man darum bemüht ist, zu verstehen, was da geschildert wurde und Unbekanntes von Bekanntem zu unterscheiden. Wie gesagt: Dieser Prozess ist sicherlich auch mit meinem Buch noch nicht abgeschlossen.
Anton: Gibt es Fälle, die heute als UFO-Sichtungen interpretiert werden, sich durch die Berücksichtigung des historischen Kontextes aber anders erklären lassen?
Müller: Ja, die gibt es viele. Aber diese habe ich schon vorweg eigentlich aussortiert. Einige diskutiere ich aber dennoch auch im Buch, etwa die Sichtung und Beschreibung Keplers im Jahre 1604, als er kein UFO, sondern die „Supernova SN1604“ beobachtete. Im Anhang gibt es ein ganzes Kapitel über historische UFO-Gerüchte, also Schilderungen, die bis heute von einigen Autoren als UFOs kolportiert werden, obwohl eine Überprüfung zeigt, dass es ein bekanntes Phänomen oder sogar eine gänzlich ausgedachte Geschichte war. So hat beispielsweise Humboldt nie eine spiegelnde Scheibe über dem Orinoko gesehen, obwohl es im Weltbestseller „Die Vermessung der Welt“ wunderbar geschildert wird. Die Hintergründe erläutere ich in diesem Kapitel gemeinsam und in Austausch mit dem Schriftsteller Daniel Kehlmann.
Anton: Tauchte bei den historischen UFO-Fällen auch schon einmal die Deutung auf, dass es sich dabei um Luftfahrzeuge außerirdischer Wesen handeln könnte?
Müller: In den mir bekannten Fällen aus dem deutschsprachigen Raum und jenen, die meinem Buch diskutiert werden, ist das nicht der. Das ist schon interessant und auch Inhalt von Diskussionen. Denn die Idee, dass es außerirdisches Leben geben könnte und andere Welten sogar von intelligentem Leben bevölkert sind, ist teilweise älter als die meisten Berichte im Buch. Dennoch dauerte es eigentlich bis ins 20. Jahrhundert, bis UFOs bzw. jene Phänomene in früheren Zeiten, die wir heute wohl UFOs oder UAP nennen würden, als außerirdische Vehikel gedeutet wurden. Schon unter Philosophen der Antike galten Außerirdische zwar für möglich oder gar wahrscheinlich, doch galten diese dann aber uns Menschen derart überlegen, dass man sich gar nicht vorstellen wollte und konnte, warum diese die Erde und uns Menschen überhaupt besuchen, geschweige denn mit uns Kontakt aufnehmen sollten.
In meinem Buch geht es aber tatsächlich nicht um die konkrete Deutung oder gar die Frage nach der Herkunft dieser Phänomene. Mir ging es unter anderem darum, zu zeigen, dass UFOs nicht nur in den USA gesehen werden, dass das Phänomen sehr viel älter sind, als meist vermutet wird und den Umstand, dass diese Erscheinungen einen starken kulturhistorisch prägenden Einfluss auf uns Menschen hatten.
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Über den Autor
Andreas Müller, geboren 1976, studierte Kommunikationsdesign an der Hochschule der Bildenden Künste Saar. Schon während des Studiums begann er mit seinen wissenschaftsjournalistischen Arbeiten, bei denen er sich auf wissenschaftliche Grenzgebiete und Anomalistik konzentriert. Seine beiden Bücher über die wissenschaftlichen Hintergründe und die Erforschung des Kornkreisphänomens gehören zu den deutschsprachigen Standardwerken zum Thema. In England ko-kuratierte Müller 2014 die erste Ausstellung zum Thema in einem kulturhistorischen Museum.Seit 2007 betreibt er mit www.GrenzWissenschaft-aktuell.de (GreWi) das meistgelesene deutschsprachige, tagesaktuelle Nachrichtenportal zum grenzwissenschaftlichen Themenspektrum und Anomalistik. 2014 gelang es ihm als erstem Journalisten Einsicht in die kaum bekannte UFO-Akte des BND zu nehmen und berichtete dazu exklusiv.
Im Herbst 2021 erschien sein „Buch Deutschlands UFO-Akten – Über den politischen Umgang mit dem UFO-Phänomen in Deutschland“.
Müller ist assoziiertes Mitglied am Interdisziplinären Forschungszentrum für Extraterrestrik (IFEX) an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und Mitglied der Society for UAP Studies (www.SocietyForUAPstudies.org).
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