GJ 1214 b: Weltraumteleskop Webb untersucht erstmals Atmosphäre eines Mini-Neptuns
Testudo (USA) – Mit dem Weltraumteleskop James Webb ist es erstmals gelungen, einige der Eigenschaften der Atmosphäre des knapp 50 Lichtjahre entfernten Exoplaneten „GJ 1214 b“ anhand dessen Infrarotabstrahlung spektrografisch zu ermitteln. Es handelt sich vermutlich um eine Wasserwelt.
Wie das internationale Team um Professorin Eliza Kempton, von der University of Maryland, an dem auch eine Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für Astronomie (MPIA) beteiligt war, aktuell im Fachjournal „Nature“ (DOI: 10.1038/s41586-023-06159-5) berichtet, deuten die Modellumsetzungen der Daten daraufhin, dass der Planet von einem ungewöhnlich stark reflektierenden, dichten Dunstschleier in dessen Hochatmosphäre umgeben ist. Zudem finden sich Hinweise auf Wasserdampf und organische Verbindungen wie Methan.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Dunstschicht von GJ 1214 b anders zusammengesetzt sein muss, als wir es von den uns bekannten Himmelskörpern kennen“, sagt die MIPA-Astronomin Maria Steinrück.
Die Forschenden gehen von einer Schicht in der oberen Atmosphäre des Planeten aus, die die Strahlung seines Zentralgestirns, den der Planet einmal alle 38 Stunden umkreist, ungewöhnlich stark reflektiert. Allerdings sei noch unklar, woraus diese Schicht besteht. Anhand der neuen Daten können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die bisherigen gängigen Kandidaten, mit denen die Atmosphäre erklärt werden sollte, ausschließen: „Weder Rußteilchen noch sogenannte Tholine reflektieren die Strahlung des Sterns ausreichend stark“, so Steinrück fest. (Der Begriff „Tholine“ wurde vom Planetenforscher Carl Sagan geprägt, und beschreibt eine variable Mischung aus Kohlenwasserstoffen, die auf dem Saturnmond Titan und anderen Körpern des Sonnensystems zu finden ist. Vermutlich bestand die Atmosphäre der Ur-Erde ebenfalls zum Teil aus Tholinen.)
Ähnlich wie auf der Erde die Ozonschicht mit der UV-Strahlung der Sonne reagiert, könnten vergleichbare Prozesse auch für die Produktion der chemischen Verbindungen des Dunstes verantwortlich sein, die in der Hochatmosphäre von GJ 1214 b und vielleicht vieler Mini-Neptune zu finden sind, erläutert die Pressemitteilung des MPIA. Derzeit wird in verschiedenen Laboren intensiv danach geforscht, welche Stoffe das sein könnten. Organische Verbindungen sind derzeit die heißesten Kandidaten.
Erstmals belegen nun die neuen Beobachtungen mit dem Instrument „MIrI“ (Mid-Infrared Instrument) des James Webb Teleskops und die darauf basierenden Modellberechnungen auch, dass die Atmosphäre jenseits von Wasserstoff und Helium auch einen hohen Anteil an schweren Elementen beinhalten muss. Mit diesen Daten konnten die Forschenden die gemessenen Helligkeitsvariationen während eines vollständigen Umlaufs des vom Planeten veränderten Sternlichts rekonstruieren und somit erstmals die Oberfläche eines Mini-Neptuns von allen Seiten vermessen.
Schon jetzt erlauben die Messdaten erste Rückschlüsse auf die Zusammensetzung der Atmosphäre. Wie schon zuvor vermutet, gibt es „GJ 1214 b“ wahrscheinlich Wasser in Form von gasförmigem Dampf – es könnte sich also um eine Wasserwelt handeln. Allerdings könnten die Merkmale auch auf Methangas hindeuten. Auch eine Mischung aus beiden sei ebenfalls denkbar. Um diese Frage zu klären, seien nun weitere Beobachtungen notwendig.
Hintergrund
Schon anhand der Entdeckungsdaten des Planeten von 2009 konnte dessen Größe mit etwa drei Erddurchmessern und eine Masse von rund sieben Erdmassen bestimmt werden. Es handelt sich also bei „GJ 1214 b“ um einen sogenannten Mini-Neptun – die häufigste bislang entdeckte Art von Exoplaneten. In unserem eigenen Sonnensystem gibt es solche Planeten allerdings nicht. Das ist ein Grund dafür, dass ihre Beschaffenheit kaum bekannt ist.„GJ 1214 b“ umkreist seinen Zentralstern „GJ 1214“ in einer Distanz, die etwa einem Siebzigstel der Distanz zwischen der Erde und der Sonne entspricht. Damit befindet sich der Planet in einer sogenannten gebundenen Rotation: Eine Umkreisung dauert also genauso lange wie eine Rotation um die eigene Achse. Wie der Mond der Erde, so weist also auch dieser Planet immer die gleiche Seite seinem Stern zu. Auf diese Weise wird immer dieselbe Seite des Planeten aufgeheizt. Winde tragen die Luftschichten auf die gegenüberliegende Hemisphäre, wo sie in ewiger Nacht abkühlen.
„Wie beim globalen Erdklima hängt auch hier die Temperatur auf GJ 1214 b von verschiedenen Einflüssen ab“, erläutert die MIPA-Pressemitteilung. „Die Leuchtkraft und die Temperatur des Sterns, der Abstand des Planeten vom Stern und die Eigenschaften der Atmosphäre. Daraus ergibt sich eine charakteristische Wärmestrahlung des Planeten, welche die Forschenden mit den Miri-Beobachtungen aufnahmen. Diese bestehen aus Spektren, welche die verschiedenen Anteile der Infrarotstrahlung entsprechend ihrer Wellenlänge aufspalten. Daraus schließen die Astronominnen und Astronomen, dass die Hälfte der Einstrahlung durch den Zentralstern von der Dunstschicht reflektiert wird und zur Erwärmung der Atmosphäre nicht beiträgt. Die Berechnungen ergeben somit, dass GJ 1214 b eine mittlere, globale Temperatur von etwa 230 Grad Celsius (500 Kelvin) besitzt, die zwischen Tag und Nacht um etwa 115 Grad variiert.“
Schon mehrfach zuvor hatten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler versucht, die Zusammensetzung der Atmosphäre von „GJ 1214 b“ zu bestimmen, indem sie das Sternlicht analysierten, das bei jeder Bedeckung dessen Luftschichten durchdringt. Dabei prägen sich gewöhnlich eindeutige Merkmale der Gase auf das Licht auf. Die bisherigen Beobachtungen zeigten jedoch nichts. Das James Webb Weltraumteleskop hat nun ein neues Kapitel aufgeschlagen.
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„GJ 1214b war der weiße Wal der Bestimmung von Exoplanetenatmosphären. Die gesamte Forschungsgemeinschaft war lange Zeit hinter ihm her. Es ist wunderbar, dass endlich einige seiner Geheimnisse gelüftet werden“, freut sich Laura Kreidberg, die Direktorin am Max-Planck-Institut für Astronomie und leitet die Abteilung Atmosphärenphysik der Exoplaneten.
„Diese Ergebnisse stellen einen Durchbruch in der Planetenforschung dar. Sie steigern die Hoffnung, dass nun ein Werkzeug gefunden wurde, mit dem die häufigste Klasse von Exoplaneten systematisch untersucht werden kann.“
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Recherchequelle: MPIA
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