GreWi Exklusiv: Fachartikel kritisiert Genom-Analyse der Atacama-Mumie als „fehlerhaft und unethisch“
Die aufgrund ihres Fundortes in der Atacamawüste als “Ata” bezeichnete, grade einmal knapp 13 Zentimeter große Trockenmumie.
Copyright/Quelle: Emery Smith, med.standford.edu, Nolan et al., Genome Research (2018)
Dunedin (Neuseeland) – Im vergangenen März setzte die Fachpublikation der Genom-Analyse einer ungewöhnlich kleinen und stark deformierten menschlichen Trockenmumie aus der chilenischen Atacamawüste, jeglichen Spekulationen über deren mögliche nicht-irdische Herkunft ein wissenschaftlich fundiertes Ende (…GreWi berichtete). Jetzt jedoch erhebt ein neuer Fachartikel schwere Vorwürfe gegen die Autoren und unterstellt der Studie nicht nur, diese sei voller Fehler, sondern den untersuchenden Genetikern sogar „unethisches Vorgehen“. Grenzwissenschaft-Aktuell.de hat den Hauptautor der kritisierten Studie, Dr. Garry Nolan von der Stanford University zu den Vorwürfen befragt. Seine Antwort fällt ebenso klar wie kurz aus.
Bereits seit einigen Jahren sorgt eine gerade einmal knapp 13 Zentimeter große Trockenmumie, die 2002 in der chilenischen Atacamawüste gefunden wurde, für Rätselraten unter Laienforschern wie Wissenschaftlern – zeigt der humanoide Körper doch derart viele Sonderheiten und Abweichungen vom gewohnten menschlichen Erscheinungsbild auf, dass nicht zuletzt auch schon darüber spekuliert wurde, ob es sich um den Leichnam eines Außerirdischen handeln könnte. Seit 2012 hat einer der führenden Humangenetiker, Prof. Dr. Garry Nolan von der Stanford University School of Medicine den Körper untersucht, und nun gemeinsam mit Kollegen seinen Abschlussbericht zur vollständigen Sequenzierung des Genoms der Mumie vorgelegt. Entgegen früheren Spekulationen fiel das im März 2018 im anerkannten Fachjournal “Genome Research” (DOI: 10.1101/gr.223693.117) publizierte Ergebnis eindeutig aus.
Wie Nolan gemeinsam mit dem Direktor des Institute for Computational Health Sciences an der University of California San Francisco (UCSF), Prof. Dr. Atul Butte und Dr. Sanchita Bhattacharya (ebenfalls UCSF) berichtet, bereinigen die Analysen nun auch die letzten Zweifel an der vollständig menschlichen und damit irdischen Herkunft und Identität des Körpers, der offenbar von einer seltenen und bislang weder bekannten noch wissenschaftlich beschriebenen Kombination genetischer Mutationen betroffen war.
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Dabei handele es sich um Mutationen nicht nur in einem sondern gleich mehreren für die Knochenentwicklung verantwortlichen Gene, wie sie teilweise so noch nie zuvor beschrieben wurden (…GreWi berichtete).
Nur wenige Tage nach der Veröffentlichung der Studie zeigten sich chilenische Wissenschaftler unter der Schirmherrschaft der chilenischen Kultur- und Altertumsbehörde (Consejo de Monumentos Nacionales) empört über die Untersuchungen. Die Behörde erklärte, man habe bereits eine Untersuchung in der Frage eingeleitet, ob die Leiche des kleinen Mädchens möglicherweise sogar illegal exhumiert und außer Landes geschmuggelt wurde. Laut der Behörde sei das Grab 2003 geplündert und das mumifizierte Skelett gestohlen worden, wodurch zahlreiche chilenische Gesetze gebrochen wurden: „Es ist beschämend. Beschämend für das Mädchen selbst, für seine Familie und für das kulturelle Erbe Chiles“, erklärte federführend die Anthropologin Francisca Santana-Sagredo von den Universitäten Antofagasta und Oxford (…GreWi berichtete). Einige chilenische Wissenschaftler forderten sogar, dass der Fachartikel vom publizierenden Journal zurückgezogen werden solle – was bis heute jedoch nicht geschehen ist.
Vier Monate später hat nun ein Team internationaler Wissenschaftler unter Prof. Dr. Sian Halcrow von der neuseeländischen University of Otago ebenfalls eine scharfe Kritik an der Nolan-Butte-Bhattacharya-Studie im ebenfalls angesehen „International Journal of Paleopathology“ (DOI: 10.1016/j.ijpp.2018.06.007) veröffentlicht.
Dr. Sian Halcrow
Copyright/Quelle: Otago.ac.nz
In ihrem kritischen Kommentar erklärt das Autorenteam, die Studie von Nolan, Butte und Bhattacharya sei „voller Fehler und Fehlinterpretationen“ und dass eine genetische Analyse schon von Anfang an überhaupt nicht notwendig gewesen sei.
So erklären Halcrow und Kollegen, es gäbe keine fachlich gerechtfertigten Beweise dafür, dass der Körper überhaupt jene Skelett-Anomalien aufzeige, wie sie in der Studie beschrieben werden. Sämtliche von Nolan, Butte und Bhattacharya als abnorm beschriebenen Eigenschaften der Mumie stimmten demnach mit der gewöhnlichen und bekannten fötalen Skeletentwicklung überein.
So erklärte etwa die Bioarchäologin Kristina Killgrove von der University of North Carolina und Mitautorin der Kritik gegenüber Gizmodo: „Wir sind Experten auf den Gebieten der Humananatomie, Archäologie und Mumienforschung. Diese Mumie erscheint ganz normal für einen Fötus in der 15-16. Schwangerschaftswoche. (…) Ich kann verstehen, dass diese Mumie für einen Laien wirklich sehr merkwürdig aussehen mag. Das liegt aber daran, dass die wenigsten Normalbürger jemals einen sich entwickelnden menschlichen Fötus überhaupt zu Gesicht bekommen.“
Man sehe beispielsweise keine Beweise für jene, in der Studie beschriebenen Knochenanbnormitäten und auch keine Belege dafür, dass die Knochen der knapp 13 Zentimeter großen Mumie zunächst den Eindruck eines Kindes im Alter von sechs bis acht Jahren erwecken. Auch die fehlenden 11. und 12. Rippen seien ganz normal für einen Fötus diesen Alters, da sich der Rippenkäfig zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig ausgebildet habe, so die Kritiker.
GreWi-Anmerkung 12.08.2018, 12:30h: In ihrer Kritik unterstellen die Autoren Nolan und Kollegen, diese hätten keine wirkliche Expertise zur fötalen Entwicklung Skelettfehlbildungen eingeholt. Wie GreWi schon am 27. Februar und ausführlich am 23. April 2013 (!) berichtete, waren neben dem anerkannten Genetiker Prof. Garry Nolan von der Standford University selbst schon von Beginn der Untersuchungen 2012/13 an u.a. auch Dr. Ralph Lachman an deren Begutachtung und Bewertung beteiligt. Lachman ist Gastdozent und -professor in Stanford, Autor des Stadardwerks über “Radiology of Syndromes, Metabolic Disorders and Skeletal Dysplasias“ und gilt so als einer der weltweit führenden Experten für Skelettfehlbildungen und der Analyse von Abnormitäten anhand von Röntgen und Computertomografieaufnahmen.
– Ausführliche GreWi-Meldungen dazu finden u.a. HIER, HIER und HIER
Den deformierten Schädel erklären Halcrow und Kollegen mit einer Vielzahl möglicher Erklärungen, darunter dem Prozess der sog. plastischen Deformation, wenn der noch leicht formbare weiche Schädel sich durch Wärmedruck verformt – etwa dann, wenn er vergraben werde. Es sei jedoch noch wahrscheinlicher, dass die Schädelknochen schon während des Abgangs im Gebärmutterhals der Mutter verformt wurden. Dies sei gerade bei Frühgeburten nicht ungewöhnlich.
Entsprechend fanden die Kritiker denn auch keine Beweise für die von Nolan und Kollegen beschriebenen genetischen Erkrankungen und Mutationen, mit denen Letztere die beschriebenen Eigenschaften des Körpers erklären.
Detailansicht des Oberkörpers der Ata-Mumie.
Copyright/Quelle: Emery Smith, med.standford.edu, Nolan et al., Genome Research (2018)
„Aus wissenschaftlicher Sicht gab es also leider auch überhaupt keinen rationalen Grund, eine Genomanalyse der Mumie durchzuführen, da das Skelett völlig normal war und die identifizierten genetischen Mutationen wahrscheinlich also rein zufällig vorhanden waren“, erklärt Halcrow in einem von Gizmodo zitierten Statement und führt dazu weiter aus: „Keine der beschriebenen genetischen Mutationen sind bislang dafür bekannt, mit skelettaler Pathologie derart stark in Zusammenhang zu stehen, dass sie ein so junges Skelett derart beeinflussen würden.“
Die „fehlerhafte Natur“ der im Genome Research veröffentlichten Studie offenbare zudem die Notwendigkeit interdisziplinärer Ansätze, wie sie im Falle der Analyse der Atacama-Mumie (ATA) Experten auf den Gebieten der Osteologie, Medizin, Archäologie, Geschichte und Genetik hätten miteinbeziehen sollte: „Eine nuancierte Kenntnis skelettbiologischer Vorgänge und des kulturellen Kontext ist für eine akkurate wissenschaftliche Interpretation und ein ethisches und legales Vorgehen bei solchen Studien absolut notwendig“, so Halcrow weiter.
Auch ihr Kollege und Mitautor Bernardo Arriaza, von der chilenischen University of Tarapacá stimmt darin überein, dass Nolan und Kollegen den archäologischen Zusammenhang hätten berücksichtigen müssen, innerhalb dessen die Mumie gefunden wurde. Tatsächlich sei es sogar möglich, dass die Mumie der Körper einer erst relativ kürzlichen Fehlgeburt sei. Vor diesem möglichen Hintergrund fehle der Studie zudem jegliches ethische Statement über archäologische Genehmigungen einer Untersuchung der Mumie. „Vor dem Hintergrund, dass es sich ganz klar um einen mumifizierten menschlichen Fötus handelt, wäre eine weitere genetische Analyse zur Beantwortung der Identitätsfrage überhaupt nicht notwendig gewesen.“ Als noch problematischer bezeichnen die Kritiker um Halcrow zudem den Umstand, dass Nolan und Kollegen ihre genetischen Analysen nicht spätestens zu jenem Zeitpunkt eingestellt hatten, als klar wurde, dass auch diese die menschliche Natur der Mumie bestätigten. „Hätte man schon von Beginn an einen Spezialisten für Skelettentwicklung hinzugezogen, so hätten viele dieser Anfängerfehler vermieden werden können“, so die Kritiker.
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Tatsächlich hatten Nolan, Butte und Bhattacharya aber schon in ihrem eigenen Fachartikel und angesichts der Vorwürfe der chilenischen Behörden erklärt, dass man die Traditionen anderer Kulturen bezüglich genomischer Analysen respektiert habe. „Wir hatten schon zuvor erklärt, dass die Überreste dieses Fötus in sein Herkunftsland zurücküberführt werden sollten. (…) Unsere Studie klärt eine schon seit langer Zeit in der Öffentlichkeit sensationalisierte Frage (um die Natur und Herkunft dieser Mumie) und es war unsere Absicht, diesem Skelett wieder etwas Menschlichkeit und Würde zurück zu geben.“ Zudem erklärten die Genetiker, dass sich der Körper selbst nie in ihrem Besitz oder dem der Universität befunden habe und dass man selbst nichts mit dessen Fund, Verbringung vom Fundort oder Erwerb zu tun gehabt habe. „Als unsere Arbeiten begannen, war nicht bekannt, ob es sich bei dem Skelett um das eines Menschen handelt oder nicht und es gab auch keine Hinweise auf überlebende Individuen, anhand derer Gesetze zur Anwendung hätten kommen und wie sie die Grundlagen für Analysen an menschlichen Proben und deren Schutz hätten bilden können. (…) Es war schon jahrelang bekannt, dass diese Mumie existiert und sich in spanischem Privatbesitz befindet. (Anm. GreWi: Tatsächlich wurde die Mumie bereits 2005 im Rahmen der „Unsolved Mysteries“-Ausstellung in Berlin gezeigt, s. Abb.)
Die als „Atacama Homanoid“ (Ata) bekannt gewordene Mumie. (Hier als Teil der „Unsolved Mysteries“-Ausstellung in Berlin, 2005.)
Copyright: André Kramer
Diese ganzen Jahre lang hatte sich niemand dafür interessiert und es gab auch keine Anklagen bezüglich eines kriminellen Vorgehens der daran Beteiligten.“ (HINWEIS: Die vollständige Historie der Hintergründe zur Genom-Analyse finden sie in der abschließenden Linkliste am Ende dieses Artikels.) Aus diesem Grund habe man keine Zweifel daran gehabt, dass die Mumie ursprünglich legal erworben worden sei. Zudem sei es zu Beginn eben nicht so eindeutig gewesen, dass man es mit einem Menschen zu tun habe. Aus diesen Gründen habe es auch keinen Grund gegeben, von der Universität eine Erlaubnis zur Untersuchung eines Skeletts einzuholen, dass möglicherweise zu einer nicht-menschlichen Primatenart gehören konnte.“
“Einige dieser Mutationen wurden, obwohl sie zwar teilweise schon zuvor als Auslöser von Krankheiten bekannt waren, noch nie zuvor mit Knochenfehlbildungen, Wachstums- und Entwicklungsstörungen assoziiert”, erklärte Nolan schon im vergangenen März gegenüber Grenzwissenschaft-Aktuell.de die Entscheidung für die Erstellung einer vollständigen Genom-Analyse, und hebt damit die Bedeutung der DNA-Analyse der Ata-Mumie auch über die reine Herkunftsbestimmung des vermeintlichen “Aliens” hinaus hervor. “Diese neuen Mutationsvarianten nun zu kennen, könnte sich als sehr nützlich für die Identifizierung und Behandlung auch schon bekannter Mutationen erweisen.”
Dr. Garry Nolan.
Copyright: G.Nolan, Stanford.edu
“Für uns ist das Ergebnis unserer Studie auch deshalb so wichtig, weil es zeigt, dass wir nie aufhören sollten, uns Fragen zu stellen und zu forschen, nur weil wir bereits glauben, ein Gen gefunden haben, das ein Symptom erklärt”, so Butte und Nolan abschließend. “Wie man sieht, könnte es multiple Vorgänge geben und es ist wichtig, eine umfassende Erklärung zu finden – gerade, da wir immer schneller auf die praktische Anwendung von Gen-Therapien zusteuern. Vielleicht können wir eines Tages zumindest einige dieser Störungen und Krankheiten heilen. Dann wollen wir aber auch sicher sein, dass wir die Mutationen auch wirklich kennen, nicht andere übersehen und genau wissen, was wir da tun.“
Auch aktuell Grenzwissenschaft-Aktuell.de hat Dr. Garry Nolan um ein Statement bezüglich des kritischen Artikels gebeten. Seine Antwort fällt kurz aus: „Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Wir stimmen über die kritisierten Punkte schlichtweg nicht überein. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“
GreWi-Dossier: Die Geschichte der Atacama-Mumie
Als einziges deutschsprachigen Nachrichtenprotal hat Grenzwissenschaft-Aktuell.de die Geschichte der Untersuchung der Atacama-Mumie ergebnisoffen begleitet. Alle diese Artikel und Meldungen finden Sie in der folgenden Linkliste chronologisch von 2012 bis zur aktuellsten Meldung geordnet vor.– Sind Wissenschaftler im Besitz des Körpers eines Außerirdischen? 6. August 2012
– Weitere Informationen über die Untersuchungen eines angeblichen Alien-Körpers 21. Oktober 2012
– Neue Informationen über die Untersuchungsergebnisse eines möglicherweise außerirdischen Leichnams: Körper ist kein fehlgebildeter Fötus 27. Januar 2013
– Zur Premiere von „Sirius“ veröffentlicht Greer neue Detailaufnahmen des angeblich außerirdischen Leichnams 10. April 2013
– Dokumentarfilm „Sirius“: Weitere Informationen zu Alter und Geschlecht der mysteriösen Mumie 18. April 2013
– Untersuchungen an der Stanford University belegen unbekannte Identität und Herkunft der Mumie des „Atacama Humanoiden“ 23. April 2013
– Richtigstellung von Falschinformationen zur Mumie des „Atacama Humanoiden“ in einigen Medien 25. April 2013
– GreWi-Interview Exklusiv: Stanford-Genetiker Garry Nolan zum Stand der Untersuchungen der Atacama-Mumie 12. Juni 2013
– “Ohne Zweifel ein Mensch” – Abschlussbericht erklärt Anomalien der Atacama-Mumie 22. März 2018
– Chilenische Wissenschaftler empört über Studie an „Atacama-Mumie“ 29. März 2018
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