War Halleys Komet doch der Stern von Bethlehem?

Lesezeit: ca. 11 Minuten

04489Der Besuch der Weisen Männer, Postkarte von Heinrich Ferdinand Hofmann um 1900
Copyright: Gemeinfrei

Berlin (Deutschland) – Unter den biblischen Geschichten, die die Geburt Christi behandeln, ist eine der bekanntesten die über den Stern von Bethlehem aus dem 2. Kapitel des Matthäus-Evangeliums, und der kometenähnliche Himmelskörper ist heute neben dem Tannenbaum das wohl populärste Weihnachtssymbol. Seit Mitte des 3. Jahrhunderts bemühten sich weise Männer darum, Herkunft und Natur des Sterns zu ergründen, ohne ein allseits akzeptiertes Resultat zu finden. Der Wissenschafts- und Technik-Journalist Ralf Bülow hat Argumente dafür zusammengetragen, dass es sich beim Stern von Bethlehem nicht um die populäre Jupiter-Saturn-Konjunktion sondern um den Halleyschen Kometen gehandelt hatte.

– Bei diesem Artikel handelt es sich um einen Gastbeitrag von Ralf Bülow und zugleich um eine umfassend überarbeitete Form der ursprünglichen Version, wie sie 2014 erstmals auf ufo-information.de veröffentlicht wurde.

Die Hauptpersonen der Geschichte sind bekannt: Maria, Josef und das Jesuskind, die Magoi, die dem Stern aus ihrer Heimat nach Judäa folgen, und der in Jerusalem residierende König Herodes, der von 37 bis 4 v.Chr. an der Macht war. Die Einheitsübersetzung des Neuen Testaments verdeutscht Magoi mit Sterndeuter und schildert ihre Ankunft aus dem Osten und ihre Frage: „Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihm zu huldigen.“ Sie treffen König Herodes, der sie ins südlich von Jerusalem gelegene Dorf Bethlehem schickt. „Und der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, zog vor ihnen her bis zu dem Ort, wo das Kind war; dort blieb er stehen.“ Die Sterndeuter freuen sich, gehen ins Haus, huldigen dem Kind, überreichen ihre Geschenke und ziehen auf einem anderen Weg zurück in ihr Land.

www.grenzwissenschaft-aktuell.de
+ HIER können Sie den täglichen GreWi-Newsletter bestellen +

Die knappen Sätze des Matthäus bewogen eine Vielzahl von Autoren dazu, lange Recherchen anzustellen und teilweise bücherfüllende Theorien niederzuschreiben. Die Königin der Stern-von-Bethlehem-Erklärungen ist die dreifache Annäherung von Jupiter und Saturn im Sternbild der Fische von Mitte Mai bis Mitte Dezember 7 v.Chr., die auch Papst Benedikt XVI. wohlwollend kommentierte: „Das Sternbild konnte ein Anstoß, ein erstes Signal für den äußeren und inneren Aufbruch sein.“ Die Erklärer nehmen dabei eine Herkunft der Sterndeuter aus Babylon oder Persien an und sehen den Jupiter als Königssterns, während der Saturn und die Konstellation der Fische mit den Juden und ihrem Land verknüpft werden.

Der Erste, der die Jupiter-Saturn-Konjunktion, die auch die Große genannt wird, mit dem biblischen Stern gleichsetzte, war der deutsch-dänische Theologe, Historiker und Bischof Friedrich Münter (1761-1830). Seit Beginn der 1820er Jahre machte er die Idee unter seinen Gelehrtenfreunden bekannt, eher er sie 1827 im Buch „Der Stern der Weisen. Untersuchungen über das Geburtsjahr Christ“ publizierte. Ein Jahr zuvor hatte der Berliner Astronom Ludwig Ideler (1766-1846) im 2. Band vom „Handbuch der mathematischen und technischen Chronologie“ einen ähnlichen Gedanken formuliert.

Die Verehrung der Großen Konjunktion – noch ohne Weihnachtsstern – wurzelt in der arabischen und jüdischen Astrologie des Mittelalters. Münter zitiert in seinem Buch den portugiesischen Gelehrten und Finanzmann Isaac ben Judah Abrabanel (1437–1508), der aus der Begegnung von Jupiter und Saturn in den Fischen auf die baldige Geburt des jüdischen Messias schloss. Der berühmte deutsche Astronom Johannes Kepler (1571-1630) wusste ebenfalls von solchen Planetentreffen. Aus der Jupiter-Saturn-Begegnung von 1603 und der Supernova von 1604 folgerte er, dass sich auch nach der Konjunktion von 7 v. Chr. ein neues Licht am Himmel zeigte, das die Weisen aus dem Morgenland nach Jerusalem brachte.

Nach den Publikationen von Münter und Ideler tat sich lange nichts in Sachen Weihnachtsstern, doch im frühen 20. Jahrhundert erschienen mehrere neue Bücher. Der Astronom Hans-Hermann Kritzinger (1887-1968) vertrat 1911 die traditionelle Jupiter-Saturn-Theorie, während der Theologe Heinrich G. Voigt (1860-1933) einen neuen Ansatz wählte. Er berechnete aus dem „Tetrabiblos“, dem astrologischen Hauptwerk des Claudius Ptolemäus (ca. 100-ca. 180), einen günstigen Tag für die Empfängnis von Jesus, mit einer Planetenstellung am Himmel, die zukünftiges Königtum verheißt. Aus dem Empfängnisdatum 17. April 6 v. Chr. leitete Voigt dann eine Geburt im Januar des Folgejahres ab.

Mitte der 1960er Jahre zeigte das Planetarium Wien ein Weihnachtsprogramm, das die Große Konjunktion von 7 v. Chr. als den wahren Stern von Bethlehem präsentierte. Die wissenschaftliche Vorarbeit und der vom Tonband ablaufende Begleittext kamen von Konradin Ferrari d’Occhieppo (1907-2007), Ordinarius für theoretische Astronomie an der Wiener Universität und begeisterter Astronomiehistoriker. Nach drei Fachartikeln veröffentlichte er 1969 das Buch „Der Stern der Weisen. Geschichte oder Legende?“, das die alte Theorie gut lesbar und vor dem Hintergrund der babylonischen Sternkunde präsentierte. Das Planetariumsprogramm und Ferrari d’Ochieppos Ideen verbreiteten sich schnell, und seit den 1970er Jahren galt die Jupiter-Saturn-Theorie in Presse und Öffentlichkeit als die gültige Erklärung des Weihnachtssterns. Das Dreifach-Treffen der beiden Planeten in einem begrenzten Teil des Himmels war ein idealer Einsatz für die klassische analoge Projektionstechnik und die beste Wahl für einen Planetariumsdirektor, der eine Show für den Dezember suchte. Dieter B. Herrmann, Physiker, Astronom und früherer Chef des Zeiss-Großplanetariums Berlin, lag also nicht falsch, als er 1997 in einem Stern-von-Bethlehem-Buch schrieb: „Zur Verbreitung der Theorie von der Jupiter-Saturn-Konjunktion haben vor allem die großen Planetarien in der (christlichen) Welt beigetragen.“

Schon 1995 gab es eine fachliche Kritik der Konjunktionsdeutung. Die Schrift „Das Zeichen des Messias. Ein Wissenschaftler identifiziert den Stern von Bethlehem“ erschien in einem frommen Verlag, der CLV-Christliche Literatur-Verbreitung e.V. Bielefeld, ihr Autor Werner Papke kannte sich jedoch in der babylonischen Astronomie und Astrologie aus und demontierte die Argumente von Ferrari d’Occhieppo, bis nichts mehr von ihnen übrig blieb. Papke erklärte den Stern stattdessen durch eine Supernova im Sternbild der Jungfrau im August des Jahres 2 v. Chr. Die schlechte Nachricht ist, dass in dieser Himmelsregion keine Überreste eines derartigen Ereignisses existieren.

Im englischsprachigen Ausland wurde ab 1977 eine andere Theorie diskutiert, die man den Stern von 5 v. Chr. nennen könnte. Chinesische und koreanische Quellen berichten von einem Kometen oder „Besenstern“, der in jenem Frühjahr 70 Tage lang im Sternbild Steinbock leuchtete. 1999 verfasste der englische Astronom Mark Kidger das Buch „The Star of Bethlehem“, das diesen mit dem fernöstlichen Stern gleichsetzte, den Kidger nicht für einen Kometen, sondern für eine helle Nova im Sternbild Adler hielt. Im Unterschied zur Supernova, bei der ein Stern explodiert, wird bei einer Nova nur die Oberfläche des Sterns – in der Regel eines Weißen Zwerges – weggesprengt. 1999 erschien ein weiteres Buch, „The Star of Bethlehem: The Legacy of the Magi“, verfasst von Michael Molnar. Der amerikanische Astronom holte die Tetrabiblos-Theorie von Heinrich G. Voigt wieder hervor, nach der die Aufreihung von Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn plus Sonne und Mond im April 6 v. Chr. spätere Herrschaft signalisieren soll. Während Voigt für den betreffenden Tag die Empfängnis Jesu annahm, dachte Molnar an die Geburt, wobei Jupiter die Rolle des eigentlichen Sterns von Bethlehem spielte.

So weit die Theorien bis heute. Wir möchten nun eine Deutung vorschlagen, die nicht so populär ist, aber bei genauer Prüfung am besten zum Bibeltext und zur Astronomiegeschichte passt. Im Klartext: Der Stern von Bethlehem, wie ihn Matthäus beschreibt, geht auf das Erscheinen des Kometen Halley im Spätsommer und Herbst des Jahres 12 v.Chr. zurück, als er als Morgenstern am Osthimmel stand. Dabei mag es zu einem Treffen von König Herodes mit sternenkundigen Experten aus dem Zweistromland gekommen sein. Das soll nicht heißen, dass damals Jesus geboren wurde; hier glauben wir eher an ein Datum am Ende von Herodes‘ Regierungszeit, also zwischen 7 und 4 v.Chr. Es spricht aber einiges dafür, dass der Evangelist eine in Umlauf befindliche Erzählung zum Kometen mit einigen Erweiterungen in seine Geburtsgeschichte einbaute. Und damit kommen wir zu unseren Belegen.

04490
Weihnachtskomet Lovejoy am 22.12.2011 über Santiago de Chile

Copyright: Y. Beletsky/ESO

Ein Komet besitzt bekanntlich einen Kometenschweif, der sich entwickelt, wenn er das innere Sonnensystem durchquert. Ursachen sind die Strahlung der Sonne und die Partikel des Sonnenwinds, die den Schweif vom Kern des Kometen wegblasen. Am besten sichtbar ist ein Komet, der von der Erde aus um die Sonne herumfliegt. Dabei geht er zunächst in den frühen Morgenstunden am Osthimmel vor der Sonne auf; danach verschwindet er einige Tage hinter Sonne, ist also nicht von der Erde sichtbar. Nach dem Wiedererscheinen geht der Komet bei Einbruch der Dunkelheit nach der Sonne am Westhimmel unter. In beiden Fällen zeigt der Kometenkern nach unten zur Sonne und der Schweif nach oben. In südlichen Ländern scheint der Komet über dem Horizont zu stehen.

Es ist also kein astrologischer Gedankengang, der die Botschaft des Kometen ausmacht, sondern der einfache Charakter des nächtlichen Zeigestocks, der auch in Jerusalem zu erkennen war. Der Schluss, dass etwas Wichtiges bevorstand, am ehesten die Geburt eines Thronfolgers, lag auf der Hand, und die besten Himmelsbeobachter waren die gelehrten Magoi, die möglicherweise an den Königshof in Jerusalem geholt und befragt wurde. Ob Magoi oder nicht, der entscheidende Bibelspruch Matthäus Kapitel 2, Vers 2 wird ihnen in den Mund gelegt: „Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen.“ Das griechische Original sagt wörtlich „im Aufgang (en têi anatolêi) gesehen“, was primär den Osten meint und bereits einen Vers zuvor die Herkunft der Magoi beschrieb. Dass die Sterndeuter den Stern später im Westen sahen, wird im Text nicht explizit gesagt, doch der Evangelist Matthäus hat es wahrscheinlich angenommen, und es gibt keine bessere Erklärung für den Israel-Bezug.

Für einen Kometen spricht ebenso der nächste Vers im Text: „Als König Herodes das hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem.“ Dieser Vers ist aus dem Kontext nur schwer zu erklären (warum ganz Jerusalem?), wohl aber als Teil einer älteren Kometengeschichte, die auf die Ängste in der Bevölkerung Bezug nahm – „Als der Stern über der Stadt stand, erschrak…“. Unsere Deutung wird durch zwei bemerkenswerte Dokumente gestützt. Das erste ist die Schrift „Gegen Celsus“, die im Jahr 248 der aus Ägypten stammende Theologe Origenes (185 – um 254) verfasste. Mit ihr suchte er eine Arbeit zu widerlegen, mit der jener Celsus – oder Kelsos in griechischer Sprache – 70 Jahre zuvor das Christentum kritisiert hatte. Im 58. Kapitel des 1. Buchs von „Gegen Celsus“ finden wir die erste wissenschaftliche Analyse des Weihnachtssterns überhaupt. Origenes hält ihn weder für einen „gewöhnlichen“ Stern – damit sind vermutlich Planeten gemeint – noch für einen Fixstern, er glaubt, „dass er vielmehr jener Art von Sternen angehörte, die von Zeit zu Zeit erscheinen und Kometen oder Schweifsterne oder Bartsterne oder Fasssterne heißen, oder wie nur immer die Griechen ihre verschiedene Gestalt zu bezeichnen pflegen.“

Im 59. Kapitel bemerkt der Theologe, „dass bei dem Eintritt großer Ereignisse und gewaltiger Veränderungen auf Erden solche Sterne erscheinen“, und verweist auf einen Forscher des 1. Jahrhunderts: „In der Abhandlung des Stoikers Chairemon ‚Über die Kometen‘ haben wir aber gelesen, wie die Kometen manchmal auch bei dem Eintritt glücklicher Ereignisse erschienen seien; für diese Behauptung legt er auch den Bericht über diese Ereignisse vor.“ Daraus zieht Origenes den Schluss: „Wenn nun beim Entstehen neuer Reiche oder anderen wichtigen Begebenheiten auf Erden Kometen oder andere Sterne ähnlicher Art erscheinen, wen darf es dann wundernehmen, wenn die Erscheinung eines Sternes die Geburt desjenigen begleitete, der in dem Menschengeschlechte eine Neugestaltung vollziehen und seine Lehre nicht bloß den Juden, sondern auch den Griechen und vielen barbarischen Völkern kundmachen sollte?“

Kometenfreundlich äußerte sich auch der syrische Kirchenvater Johannes von Damaskus (nach 650 – um 750), der im hohen Alter eine „Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens“ verfasste, die den dritten Teil seines Hauptwerks „Quelle der Erkenntnis“ ausmacht. Im astronomischen Teil der Schrift heißt es: „Es erscheinen aber oft auch Kometen, gewisse Zeichen, die den Tod von Königen ankündigen. Diese gehören nicht zu den von Anfang geschaffenen Gestirnen [Urgestirnen], sondern sie entstehen durch den göttlichen Befehl genau zur festgesetzten Zeit und lösen sich wieder auf. Es befand sich ja auch der Stern, der zur Zeit der unsertwegen im Fleische erfolgten, menschenfreundlichen und heilbringenden Geburt des Herrn von den Magiern gesehen ward , nicht unter den am Anfang geschaffenen Gestirnen. Das erhellt daraus, dass (sic.) er seinen Lauf bald von Aufgang nach Untergang, bald von Norden nach Süden nahm, daß er bald sich verbarg, bald sich zeigte. Denn das liegt nicht in der Ordnung oder Natur der Gestirne.“ Das Umschwenken von Nord nach Süd bezieht sich natürlich auf die Geschehnisse nach der Ankunft der Magier, die nicht unbedingt auf die ursprüngliche Kometengeschichte zurückgehen. Wie es in der Bibel heißt, führte der Stern sie von Jerusalem ins weiter südlich gelegene Bethlehem und direkt zum Haus der Heiligen Familie.

04491
Der Halleysche Komet am (1P/Halley) im März 1986

Copyright: NSSDC’s Photo Gallery (NASA)

Als Fazit können wir sagen, dass Matthäus einen bereits existierenden Bericht über den Kometen Halley zur Geschichte des Sterns von Bethlehem erweiterte. Ob er die Magoi im Urtext vorfand, wissen wir nicht; falls ja, hat er ihre Aktionen sicher erheblich verändert. Es bleibt noch die Frage zu klären, ob sich zur Zeit von Jesu Geburt etwas Besonderes am Himmel ereignete, das nichts mit dem Halleyschen Kometen zu tun hatte. Ein Hinweis liefert ein Text, der Experten bekannt ist, von dem aber die Öffentlichkeit nur wenig weiß, der Brief des Kirchenvaters Ignatius von Antiochien an die Epheser aus dem frühen 2. Jahrhundert n. Chr. Ignatius wurde damals von seiner kleinasiatischen Heimat nach Rom überführt, wo er gegen Ende der Herrschaft des Kaisers Trajan (98 – 117 n.Chr.) den Märtyrertod starb.

Ein Stern erstrahlte am Himmel,
heller als alle Sterne,
und sein Licht war unaussprechlich,
und seine Neuheit erregte Befremden;
alle übrigen Sterne aber samt Sonne und Mond
umgaben den Stern im Reigen,
er selbst übertraf durch sein Licht alle;
und Verwirrung herrschte, woher die neue,
ihnen ungleichartige Erscheinung wäre.

Der Herausgeber und Übersetzer Joseph A. Fischer bemerkt in einer Fußnote: „Der Text des Kap. ist ab hier rhetorisch stilisiert und hört sich fast hymnusartig an.“ Mit anderen Worten, Ignatius kannte und zitierte eine ältere Überlieferung. Diese beschränkt sich auf die Himmelserscheinung und kommt ohne Magoi aus, und im nächsten Satz wendete sich Ignatius explizit gegen allen Aberglauben: „Die Folge davon war die Auflösung aller Zauberei“ oder auf Griechisch: mageia. Wäre es möglich, dass obige Passage durch einen hellen und plötzlich aufleuchtenden Meteor inspiriert wurde ähnlich dem, der am 15. Februar 2013 über die russische Stadt Tscheljabinsk hinweg zog, mit dem Unterschied, dass er nicht vormittags, sondern in dunkler Nacht und höher in der Erdatmosphäre erschien? Meteore und ihre größeren Schwestern, die Boliden oder Feuerkugeln, werden in der antiken Literatur mehrmals erwähnt, so im 1. Buch der „Naturales quaestiones“, die Lucius Annaeus Seneca (1 n.Chr. – 65 n.Chr.) kurz vor seinem erzwungenen Selbstmord schrieb: „Auch wir selbst sahen mehr als einmal einen Feuerschein in Form eines riesigen Balles, der freilich mitten im Flug zerstob. Auch sahen wir beim Hinscheiden des vergöttlichten Augustus ein ähnliches Wunderzeichen, sahen eines beim Untergang des Seianus, und auch der Tod des Germanicus blieb nicht ohne solche Ankündigung.“ Als Ursache nahm Seneca eine „besonders heftige Reibung der Luft“ und einen „Kampf der Luftmassen“ an.

Ein solcher heller Meteor könnte dann in die Weihnachtsgeschichte des Lukas eingegangen sein. Zwar ist nirgends von einem Stern die Rede, doch finden wir im 2. Kapitel des Evangeliums astronomische Anklänge: „In jener Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde. Da trat der Engel des Herrn zu ihnen, und der Glanz des Herrn umstrahlte sie. […] Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Heer, das Gott lobte und sprach: Verherrlicht ist Gott in der Höhe,…“

Hinter dem Glanz und dem Verherrlichen steckt das griechische Wort „doxa“, das die Ausstrahlung Gottes bezeichnet; die lateinische Bibel setzt „gloria“. Das himmlische Heer, „stratia ouranios“ in der griechischer Urform, ist sowohl die Menge der Sterne am Himmel als auch die Schar der Engel, die sie bewegen. Zu beachten ist dabei, dass Sterne eine eigene Seele besaßen, wie das alttestamentarische Buch Baruch, Kapitel 3, Vers 34/35, aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. beweist: „Froh leuchten die Sterne auf ihren Posten. Ruft er sie, so antworten sie: Hier sind wir. Sie leuchten mit Freude für ihren Schöpfer.“ Denken wir uns einen hellen Stern, der übers Firmament fliegt, von dem sich Teile ablösen und der am Ende seiner Fahrt zerspringt. Die Bruchstücke scheinen auf der nächtlichen Erde zu landen. Von dieser Annahme ist es in der Volksfrömmigkeit nur ein kleiner Schritt zum Engel und dem ihn begleitenden Heer.

Wir fassen unsere Argumente noch einmal zusammen:

  • 12 v. Chr. erscheint der Halleysche Komet am Himmel und ängstigt die Menschen. König Herodes trifft sich möglicherweise mit Sternenkundlern aus östlich gelegenen Regionen, die an die Geburt eines Thronfolgers glauben.
  • Um die Mitte des 1. Jahrzehnts v. Chr., kurz vor dem Tod von König Herodes, leuchtet eines Nachts ein heller Meteor über Israel, der kurzzeitig das Licht des Mondes und aller sichtbaren Sterne überstrahlt.
  • Ein Bericht über den Meteor inspiriert in den 80er Jahren des 1. Jahrhunderts die Geschichte der Geburt Jesu im Lukas-Evangelium. Der Evangelist leitet einen Engel und die ihn begleitende himmlische Heerschar ab.
  • Eine Erzählung zum Halleyschen Kometen regt zur gleichen Zeit den Evangelisten Matthäus zur Legende des Sterns von Bethlehem an, wobei er Sterndeuter aus Babylon oder Persien als Beobachter beschreibt (oder hinzuerfindet).
  • Der Bericht des Lukas-Meteors geht als Hymnus in einen Brief des Kirchenvaters Ignatius von Antiochien ein, den er vor seinem Märtyrertod, der im/vor dem Jahr 117 stattfindet, an die Gemeinde von Ephesos schickt.
  • Im Jahr 248 identifiziert der christliche Theologe Origenes den Stern von Bethlehem mit einem Kometen. Er nimmt an, dass sie auch glückliche Ereignisse anzeigen.
  • Wenige Jahre vor seinem Tod um 750 unterstützt der syrische Kirchenvater Johannes von Damaskus ebenfalls die Kometentheorie

© Ralf Bülow

Über den Autor
Ralf Bülow, geboren 1953, studierte Informatik, Mathematik und Philosophie an der Universität Bonn. Er ist Diplom-Informatiker und promovierte in mathematischer Logik. Von 2009 bis 2011 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Kultur- und Wissenschafts-kommunikation der FH Kiel. Während der 1980er Jahre arbeitete Ralf Bülow am Deutschen Museum und dessen Forschungsinstitut in München, zu Anfang der 1990er Jahre als Wissenschafts- und Technik-Journalist. Seit 1996 war er an zahlreichen Ausstellungen zu den Themen Computer, Weltraumfahrt, Astronomie und Physik beteiligt, darunter an „Einstein begreifen“ des Technoseum Mannheim. 2014 wirkte er bei einem Projekt für ein Spionage- und Geheimdienstmuseum in Berlin mit.