Hellhörigkeit: Studie untersucht Menschen, die die Toten hören
Durham (Großbritannien) – Neben der Hellsichtigkeit, gehören auch Hellfühligkeit und dass Hellhören zu den bekannten Ausprägungen spiritistischer Phänomene, wenn Medien erklären, die Stimmen Verstorbener ohne direkten externen akustischen Reiz hören zu können. Britische Wissenschaftler haben nun derart hellhörige spiritistische Medien untersucht. Laut dem Studienergebnis sind diese Personen möglicherweise anfälliger für immersive mentale Aktivitäten und ungewöhnliche Hörerfahrungen schon in jungen Jahren.
Wie der Religionswissenschaftler Dr. Adam Powell von der der Durham University und Dr. Peter Moseley von der Northumbria University aktuell im Fachjournal „Mental Health, Religion and Culture“ (DOI: 10.1080/13674676.2020.1793310) berichten, könnten die im Rahmen des Forschungsprojekts „Hearing the Voice“ gemachten Beobachtungen auch erklären, warum manche Menschen letztendlich spirituelle Überzeugungen annehmen und sich auf die Praxis des „Hörens der Toten“ einlassen, andere wiederum nicht.
Für ihre Studie führten Powell und Kollegen eine Umfrage unter 65 hellhörigen spirituellen Medien der britischen „Spiritualists‘ National Union“ (SNU) und 143 Mitgliedern der allgemeinen Bevölkerung als Kontrollgruppe durch. Damit ist die Studie die bislang größte wissenschaftliche Studie zu den Erfahrungen hellhöriger Medien.
Wie die Forscher berichten, hat die Mehrheit der untersuchten Medien eine Neigung zur sog. Absorption und damit zu einer Eigenschaft, die mit dem Eintauchen in mentale oder imaginative Aktivitäten oder dem Erleben veränderter Bewusstseinszustände assoziiert wird.
Eine Mehrheit der befragten Medien berichteten demnach häufiger über Erfahrungen mit ungewöhnlichen Hörphänomenen, wie etwa dem Hören von Stimmen, die meist schon in jungen Lebensjahren auftreten. „Viele, die Absorption erfahren oder Stimmen hören, begegnen spirituellen Überzeugungen, wenn sie nach der Bedeutung oder übernatürlichen Bedeutung ihrer ungewöhnlichen Erfahrungen suchen“, erläutern die Autoren der Studie.
Hintergrund
Der Spiritismus ist eine (teilweise religiöse) Bewegung, die auf der Idee basiert, dass die menschliche Seele nach dem Tod nicht nur weiter existiert, sondern diese „Geister“ (Spirits) auch über ein Medium mit den Lebenden kommunizieren können.
Seinen Höhepunkt erlebte der Spiritismus im 19. Jahrhunderts in Folge zahlreicher Kriege. Die bekanntesten Varianten des Spiritismus sind klassische Geisterbeschwörungen und spiritistische Zirkel, über die die Toten angeblich kommunizieren bis hin zum materiellen Spiritismus, in dem es zu physikalischen Phänomenen wie das Bewegen oder gar Schweben von Gegenständen und Möbeln, dem Berühren der Teilnehmer durch die Geister sowie Materialisationsphänomenen „von Material (Ektoplasma) und Objekten (Abborten) aus dem Nichts“ kommen soll. Trotz immerwährender skeptischer Kritik, Schwindelvorwürfen und tatsächlich nachgewiesenen Fällen von Schwindel nimmt auch in den vergangenen Jahren das Interesse am Spiritismus nicht nur in Großbritannien wieder zu. Alleine die SNU weist rund 11.000 Mitglieder zu haben.
Während ihrer Studie sammelten die Forscher detaillierte Beschreibungen der Art und Weise, wie die befragten Medien Geiststimmen erfahren und verglichen Absorptionsgrade, Halluzinationsneigung, Identitätsaspekte und den Glauben an das Paranormale.
Das Ergebnis zeigt, dass 44,6 Prozent der teilnehmenden Medien angaben, täglich die Stimmen von Verstorbenen zu hören. 33,8 Prozent gaben an, noch am Tag zuvor Hellhörigkeit erlebt zu haben. Eine große Mehrheit von 79 Prozent gab an, dass Erfahrungen mit auditorischer spiritistischer Kommunikation Teil ihres Alltags seien und diese sowohl alleine als auch als Medium oder beim Besuch einer spiritistisch geprägten Kirche stattfinden. Obwohl die Geister in den meisten Fällen (65,1 Prozent) hauptsächlich „im Kopf“ gehört werden, berichteten 31,7 Prozent der spiritistischen Medien, die Geisterstimmen sowohl innerhalb als auch außerhalb des Kopfes wahrzunehmen.
Erwartungsgemäß erreichten die befragten Spiritisten in Bezug auf die Absorptionsskala und der Stärke des Glaubens das sog. Paranormale eine viel höhere Punktzahl als Mitglieder der allgemeinen Bevölkerung. Spiritisten kümmern sich zudem weniger darum, was andere über sie dachten, als Menschen im Allgemeinen, und sie erzielten auch eine höhere Punktzahl für die Anfälligkeit für ungewöhnliche halluzinationsähnliche Hörerlebnisse.
Sowohl ein hohes Maß an Absorption als auch die Anfälligkeit für solche Hörphänomene waren den Ergebnissen zufolge mit Berichten über häufigere hellhörige Kommunikationen verbunden. Für die allgemeine Bevölkerung war die Absorption mit dem Grad des Glaubens an das Paranormale verbunden, aber es gab keinen signifikanten entsprechenden Zusammenhang zwischen dem Glauben und der Neigung zur Halluzination. Auch gab es keinen Unterschied in der Anteil abergläubischen Glaubens oder der Neigung zu visuellen Halluzinationen zwischen spiritistischen und nicht-spiritistischen Teilnehmern.
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Die meisten Spiritisten berichteten zudem, dass sie zum ersten Mal Hellhörigkeit im Durchschnittsalter von 21,7 Jahren erlebten. 18 Prozent gaben jedoch an, hellhörige Erfahrungen gemacht zu haben, „solange sie sich erinnern können“. 71 Prozent hatten den Spiritismus vor ihren ersten Erfahrungen nicht als religiöse Bewegung erlebt.
Laut den Autoren der Studie legen ihre Ergebnisse nahe, dass es weder sozialer Druck, besondere Erwartungen oder ein bestimmter Grad des Glaubens an das Paranormale sind, die zu Erfahrungen mit spiritistischer Kommunikation führen: „Stattdessen scheinen einige Menschen in einzigartiger Weise für Absorption prädisponiert zu sein und berichten eher über ungewöhnliche Hörerfahrungen, die schon früh im Leben auftreten. Viele dieser Personen nehmen sodann spirituelle Überzeugungen an, weil sie in sinnvoller Weise mit diesen einzigartigen persönlichen Erfahrungen übereinzustimmen scheinen.
„Unsere Ergebnisse sagen viel über ‚Lernen und Sehnsucht‘ aus“, so Powell und führt dazu weiter aus: „Für unsere Teilnehmer scheinen die Grundsätze des Spiritismus mit den außergewöhnlichen Kindheitserfahrungen, als auch mit den häufig erlebten Hörphänomene übereinzustimmen. Aber alle diese Erfahrungen scheinen eher bestimmten Tendenzen oder früh erlebten Fähigkeiten, als lediglich dem reinen Glauben an die Möglichkeit einer Kommunikation mit den Toten zu entspringen.“
Dr. Peter Moseley kommentiert abschließend: „Spiritisten berichten in der Regel über ungewöhnliche Hörerfahrungen, die positiv sind, früh im Leben beginnen und die sie dann oft auch kontrollieren können. Es ist wichtig zu verstehen, wie sich diese entwickeln, da dies uns helfen könnte, auch mehr über belastende oder nicht kontrollierbare Erfahrungen mit dem Hören von Stimmen zu verstehen.“
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Quellen: Hearing The Voice, Mental Health, Religion & Culture
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