Interstellarer Komet „2I/Borisov“ lässt „1I/‘Oumuamua“ noch rätselhafter erscheinen

Hubble-Aufnahme des interstellaren Kometen „2I/Borisov“. Die Aufnahme zeigt das Objekt in einer Distanz von 420 Millionen Kilometern am 12. Oktober 2019. Copyright: NASA, ESA, D. Jewitt (UCLA)
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Hubble-Aufnahme des interstellaren Kometen „2I/Borisov“. Die Aufnahme zeigt das Objekt in einer Distanz von 420 Millionen Kilometern am 12. Oktober 2019. Copyright: NASA, ESA, D. Jewitt (UCLA)

Hubble-Aufnahme des interstellaren Kometen „2I/Borisov“. Die Aufnahme zeigt das Objekt in einer Distanz von 420 Millionen Kilometern am 12. Oktober 2019.
Copyright: NASA, ESA, D. Jewitt (UCLA)

Los Angeles (USA) – Als im Oktober 2017 – mit dem als “’Oumuamua” bezeichneten Objekt, erstmals ein Objekt entdeckt und als Besucher aus einem anderen Sternensystem identifiziert wurde, war dies eine wissenschaftliche Sensation. Fast genau zwei Jahre später wurde dann mit dem Objekt “Borsiov” das zweite Objekt interstellarer Herkunft im Sonnensystem entdeckt. Während „1I/’Oumumamua“ bis heute der Wissenschaft Rätsel über seine genaue Herkunft und Natur aufgibt, konnte „2I/Borisov“ bereits eindeutig als interstellarer Komet identifiziert werden. Doch gerade das lässt seinen Vorgänger “’Oumuamua” noch rätselhafter erscheinen.

Schon kurz nach seiner Entdeckung zeigte „2I/Borsiov“ neben seiner Flugbahn auch sonst derart viele Eigenschaften und Merkmale von Kometen auf, wie wir sie aus unserem eigenen Sonnensystem kennen, dass einige Astronomen sich bereits verwundert gezeigt hatten, dass es sich nicht um einen Kometen handelt, der unserem eigenen Sonnensystem entstammt.

Hintergrund
Seit seiner Entdeckung im Oktober 2017 steht das Objekt „1I/’Oumuamua“ im Zentrum einer hitzigen Kontroverse darüber, um was es sich bei dem ersten und bekannten interstellaren Besucher gehandelt haben könnte. Auslöser der Kontroverse war vornehmlich Professor Abraham (Avi) Loeb, seines Zeichens Vorsitzender des Fachbereichs Astronomie an der Harvard University sowie Direktor des Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics, der die wenigen beobachtbaren Eigenschaften des Objekts weniger mit denen uns bekannter astrophysikalischer Objekte wie Kometen und Asteroiden, dafür aber mit denen eines hypothetischen künstlichen Artefakts – etwa einem gewaltigen ultradünnen Sonnensegel – in Verbindung brachte (…GreWi berichtete). Erwartungsgemäß erntete gerade ein hochangesehener Wissenschaftler wie Loeb für diese exotische Theorie scharfe Kritik von vielen seiner Kollegen und Journalisten, was den Astrophysiker aber bis heute nicht davon abhält, diese weiterhin zu vertreten (…GreWi berichtete).

Auch die jüngsten Aufnahmen des Objekts, die mit dem Weltraumteleskop „Hubble“ gemacht wurden, bestätigen die Identifikation von „2I/Borisov“ als Kometen, wie er sich nicht zuletzt durch den mit zunehmender Nähe zur Sonne entstehenden typischen Schweif ausweist. Teile dieser Ausgasungen konnten bereits zuvor und nun erneut mit Hilfe von „Hubble“ analysiert und ebenfalls als geradezu kometentypisch identifiziert werden (…GreWi berichtete). Die Hubble-Aufahmen (s. Abb. und Video) bestätigen einmal mehr, dass Borisov aus einem zentralen Kern aus konzentriertem Staub und Eis besteht.

„Wo Oumuamua wie ein kahler Felsbrocken erschien, ist Borisov wirklich sehr aktiv – ganz so wie ein gewöhnlicher Komet“, erläutert denn auch David Jewitt von der University of California Los Angeles (UCLA) und Leiter des Hubble-Teams, das den Kometen ins Visier genommen hat. Gerade angesichts dieser Unterschiede gesteht der Wissenschaftler aber auch ein, dass es ein zusätzliches Rätsel sei, warum sich die beiden Objekte derart stark voneinander unterscheiden.

Zu Borisov erläutert sein Amaya Moro-Martin vom „Space Telescope Science Institute“ in Baltimore weiter: “Da sich andere Sternsysteme stark von unserem unterscheiden können, könnte dieser Komet bedeutenden Veränderungen unterworfen gewesen sein, schon bevor er in Richtung unseres Sonnensystem katapultiert wurde. Dennoch gleichen seine Eigenschaften auf erstaunliche Weise denen von Kometen des Sonnensystems. Das ist schon sehr erstaunlich.“

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Ganz so einfach wie Borisov macht es das Objekt „1I/’Oumuamua“ Wissenschaftlern nicht, da es bislang gerade die von Kometen oder Asteroiden erwarteten Eigenschaften wie Ausgasungen, typische Wärmesignaturen und nicht zuletzt die Schweifbildung eben nicht zeigte. Stattdessen entwickelte das Objekt beim Verlassen des Sonnensystems sogar noch einen unerwarteten zusätzlichen Schub, wie er nicht mit den bekannten Gravitationswechselwirkungen erklärt werden konnte (…GreWi berichtete).

Angesichts der jüngsten Beobachtungen von Borisov zeigte sich der Astronom Michal Drahus von der polnischen Uniwersytet Jagielloński in Krakau gegenüber „ScienceNews.org“ geradezu erleichtert: „Es ist fast schon beruhigend, dass wir hier nun etwas sehen, was auch unseren Erwartungen entspricht. Zugleich bestätigt das aber, dass ‚Oumuamua ein wirklich merkwürdiges Objekt war.“

Ähnlich sieht das auch Prof. Avi Loeb und erläutert gegenüber Grenzwissenschaft-Aktuell.de (GreWi):
„2I/Borisov scheint den Kometen unseres eigenen Sonnensystems wirklich sehr ähnlich zu sein. Er ist vergleichsweise Arm an Kohlenstoff, ganz so wie so viele Objekte im Kuiper-Gürtel.“ In einem aktuellen Fachartikel zeige ich gemeinsam mit einem meiner Studenten, Amir Siraj, dass Borisov wahrscheinlich einen Kilometer misst und damit etwa 10 maö größer ist als ‚Oumuamua. 2I/Borisov zeigt ganz klar einen kometenartigen Schweif und das, obwohl er derzeit erst einer 100fach schwächeren Sonneneinstrahlung ausgesetzt ist als ‚Oumuamua es bei seiner dichtesten Sonnenannäherung war.

Die Tatsache, dass 2I/Borisov so normal erscheint, macht ‚Oumuamua aber umso rätselhafter. Wenn wir die Straße entlang gehen und eine merkwürdige Person sehen, der normale Personen folgen, so schlussfolgere ich schließlich auch nicht, dass die erste Person die normale in der Gruppe ist. Stattdessen würde mich eine solche Beobachtung davon überzeugen, dass diese erste Person im Vergleich zu den ihr folgenden Menschen umso merkwürdiger war.“

Während ‚Oumuamua bereits kurz nach seiner Entdeckung auch schon wieder aus der Sichtweite der Astronomen und dem Sonnensystem entschwand, wird Borisov noch viele Wochen in unserem Sonnensystem verweilen und erst am 7. Dezember seinen sonnennächsten Punkt erreichen. Erst Mitte 2020 wird der Komet dann wieder in den interstellaren Raum eintreten und dann erneut wohl mehrere Millionen Jahre unterwegs sein, bevor er ein anderes Sternsystem erreichen wird.

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Quellen: SpaceTelescope.org, ScienceNews.org

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