Kontroverse um Misteltherapie bei Krebs: Mediziner fordern „wissenschaftlich hochwertige Debatte“
Berlin (Deutschland) – Im Kampf gegen verschiedene Arten von Krebs, wendet eine Mehrheit der Patienten und Patientinnen – ergänzend zu schulmedizinischen Verfahren – Verfahren aus der Komplementärmedizin an, viele davon die sogenannte Misteltherapie. Nachdem frühere Studien zunächst positive Effekte auf das Überleben und die Lebensqualität der Betroffenen aufgezeigt hatten, kommt ein aktuelles Review der Studien zur gegenteiligen Bewertung. Zahlreiche Mediziner und Forscher haben diesem Review nun widersprochen und fordern, dass in diesem Bereich auf wissenschaftlich hohem Niveau geforscht und bewertet wird.
Die nun von Ärzten und Ärztinnen verschiedener Fachrichtungen formulierte Kritik bezieht sich auf das Review früherer Studien im „Journal of Cancer Research and Clinical Oncology“ (DOI: 10.1007/s00432-018-02837-4) das bereits im Frühjahr 2019 veröffentlicht worden und zu dem Schluss gekommen war, dass ein positiver Effekt der Misteltherapie weder auf das Überleben noch auf die Lebensqualität nachgewiesen werden könne.
Das Review (Freuding et al.) werde den geforderten wissenschaftlichen Ansprüchen nicht gerecht, so die Kritiker einem kritischen Brief an den Herausgeber („Letter-to-the-Editor“) unmittelbar nach Erscheinen des Review. Nun liegt eine ausführliche Überprüfung (veröffentlicht in der Peer-Review-Fachzeitschrift „Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine“) zum Review vor (DOI: 10.1155/2020/7091039), in dem die Forscher und Forscherinnen ihre Kritik wissenschaftlich untermauern und diverse Mängel benennen.
Wie die Pressemitteilung des Dachverbandes Anthroposophische Medizin in Deutschland (DAMiD) berichtet, gehören zu den Kritikpunkten der Autoren: „Unvollständigkeiten (z.B. Ausschluss von Studien), Intransparenz der Methodik (z.B. zur Auswahl der einbezogenen Literatur), fehlende Durchführung einer Meta-Analyse trotz ausreichender Studien sowie eine fehlerhafte und unzureichende Bewertung des Risikos von Verzerrungen. Auch die Schlussfolgerungen selbst überraschen: Obwohl in 14 Studien eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität, in zwei Studien ein positiver Trend und nur in einer Studie kein Effekt nachgewiesen wurde, kommen die Review-AutorInnen (Freuding et al.) zu dem Schluss, dass eine Misteltherapie keinen Einfluss auf die Lebensqualität habe.“
Hintergrund
Die Misteltherapie ist das am besten erforschte und am häufigsten eingesetzte komplementärmedizinische Arzneimittel in der Integrativen Krebstherapie. Sie wird in der Regel ergänzend zu konventionellen Verfahren eingesetzt. Die Misteltherapie ist heute gut bis sehr gut erforscht, es existieren mittlerweile über 3.000 wissenschaftliche Artikel zu Mistelextrakten und ihren Wirkprinzipien sowie über 150 klinische Studien. (Quelle: DAMiD)
Zum Thema
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund dieser Kritik fordern die Autoren und Autorinnen um Prof. Dr. med. Harald Matthes, Ärztlicher Leiter des Gemeinschaftskrankenhauses Havelhöhe und Inhaber der Stiftungsprofessur an der Charité Universitätsmedizin Berlin, nun erneut, „die immer wieder kontrovers geführte Debatte um die Wirksamkeit der Misteltherapie auf Daten stützen, die wissenschaftlichen Standards entsprechen.“ Dies sei jedoch bei dem kritisierten Review jedoch nicht der Fall, so dass aus der Arbeit keine aussagekräftigen Schlussfolgerungen gezogen werden könnten.
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Dabei wären qualitativ hochwertige Forschungsarbeiten zur Misteltherapie gerade jetzt besonders wichtig, da in diesem Jahr die Veröffentlichung einer erstmaligen S3-Leitlinie zu integrativen Therapien in der Onkologie ansteht: „Die Entscheidung, ob die Misteltherapie aufgenommen wird, hängt natürlich von der wissenschaftlichen Bewertung zu dieser Therapieoption ab“, ergänzt Dr. med. Friedemann Schad, Leiter des zertifizierten Onkologischen Zentrums am Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe und führt dazu weiter aus: „Wir haben angeregt, dass das Review überarbeitet wird, da die Arbeit den Kriterien eines systematischen Reviews nicht ausreichend entspricht. Das Ziel muss ja sein, ÄrztInnen und Gesundheitsfachleuten Daten zur Verfügung zu stellen, mit denen sie die richtigen Entscheidungen auf dem Boden evidenz-basierter Empfehlungen treffen können.“
Untermauert wird die Kritik am Freuding-Review auch durch zwei neue Publikationen – ein wissenschaftliches Review (Ostermann et al.) sowie eine Metaanlyse (Loef M, Walach H) – aus diesem Jahr, die zu gänzlich anderen und positiven Ergebnissen für die Misteltherapie kommen. Trotz dieser neuen Ergebnisse und der inzwischen wissenschaftlich publizierten Kritik ist allerdings noch keine inhaltliche Überarbeitung durch die AutorInnen des Reviews erfolgt.
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Quelle: DAMiD
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