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Kontroverse um ‘Oumuamua dauert an: War erstes interstellares Objekt im Sonnensystem Teil eines fernen, Pluto-artigen Planeten?

Diagramm der Geschichte ʻOumuamuas nach Desch und Jackson: Diese begann vor rund 0,4 Milliarden Jahren in einem fernen Sonnen- bzw. Planetensystem. Durch kosmische Strahlen begann die Erosion des Objekts, die sich bei Eintreten ins Sonnensystem und der Annäherung an die Sonne fortsetzte und dem Objekt so zusehends seine vermutlich Splitter-artige Form verlieh. Copyright/Quelle: S. Selkirk/ASU / AGU
Diagramm der Geschichte ʻOumuamuas nach Desch und Jackson: Diese begann vor rund 0,4 Milliarden Jahren in einem fernen Sonnen- bzw. Planetensystem. Durch kosmische Strahlen begann die Erosion des Objekts, die sich bei Eintreten ins Sonnensystem und der Annäherung an die Sonne fortsetzte und dem Objekt so zusehends seine vermutlich Splitter-artige Form verlieh.
Copyright/Quelle: S. Selkirk/ASU / AGU

Tucson (USA) – 2017 durchflog ein Objekt aus dem interstellaren Raum das Sonnensystem. Seither sorgt das als 1IʻOumuamua bezeichnete Objekt für ebenso hitzige wie kontroverse Diskussionen darüber, um was es sich dabei gehandelt hatte. Nachdem der Haravard-Professor Avi Loeb in den Merkmalen des Objekts die eines technologischen Artefakts sieht, wiedersprechen immer wieder andere Astronomen dieser kontroversen These. So auch eine aktuelle Studie, die in ‘Oumuamua nun ein Fragment eines Pluto-artigen Exoplaneten vermuten. Gegenüber Grenzwissenschaft-Aktuell.de hat Avi Loeb die Schlussfolgerungen der neuen Studie exklusiv kommentiert.

In ihrer aktuell im “Journal of Geophysical Research: Planets” der „American Geogological Union“ (AGU) veröffentlichten Studie erläutern der Astrophysiker Steven Desch und der Astronom Alan Jackson von der Arizona State University ihre Schlussfolgerungen der bisherigen Beobachtungsdaten zu ʻOumuamua derart, dass es sich bei dem Objekt vermutlich um ein Fragment eines Pluto-artigen Exoplaneten gehandelt habe und sehen darin zugleich eine Antwort auf die Frage, ob es auch um ferne Sterne Pluto-artige Planeten gibt.

Demnach wäre ʻOumuamua ein Fragment der Planetenkruste dieses Planeten gewesen und hätte dann aus festem Stickstoff bestanden. „Dieses Fragment wurde vermutlich durch einen Einschlag vor etwa einer halbe Milliarde Jahren aus der Oberfläche dieses Planeten herausgeschlagen und aus seinem Planetensystem hinauskatapultiert.“

Laut den Autoren der Studie war ʻOumuamua ursprünglich auch nicht flach, sondern erhielt diese Form erst, als er bei seiner Annäherung an unsere Sonne bis auf einen verbleibenden Splitter abschmolz und dabei mehr als 95 Prozent seiner einstigen Masse verlor.

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Anhand der Beobachtungsdaten postulieren Desch und Jackson verschiedene Eigenschaften von ʻOumuamua, die es von einem gewöhnlichen Kometen unterscheide: „Das Objekt trat mit einer leicht geringeren Geschwindigkeit in unsere Sonnensystem ein als erwartet. Das legt nahe, dass es nicht länger als seine Milliarde Jahre durch den interstellaren Raum gereist ist. Auch seine Pfannkuchen-artige Form unterscheidet es von allen anderen bislang bekannten Objekten in unserem Sonnensystem. Den beobachteten raketenartigen Schub erhielt das Objekt dann von der Sonne, die das Stockstoffeis, aus dem es laut den beiden Forschern bestand, aufschmolz und die dabei entstehenden Gase dem Objekt einen Schub versetzten.“

Dieses Diagramm zeigt die Umlaufbahn des interstellaren Objekts `Oumuamua beim Durchlaufen des Sonnensystems. Es zeigt den vorhergesagten Weg von `Oumuamua und den neuen Kurs unter Berücksichtigung der neu gemessenen Geschwindigkeit des Objekts. Klicken Sie auf die Bildmitte, um zu einer vergrößerten Darstellung zu gelangen. Copyright: ESA
Dieses Diagramm zeigt die Umlaufbahn des interstellaren Objekts `Oumuamua beim Durchlaufen des Sonnensystems. Es zeigt den vorhergesagten Weg von `Oumuamua und den neuen Kurs unter Berücksichtigung der neu gemessenen Geschwindigkeit des Objekts.
Klicken Sie auf die Bildmitte, um zu einer vergrößerten Darstellung zu gelangen.
Copyright: ESA

Obwohl sich ʻOumuamua also zunächst wie ein Komet verhielt, fehlte jedoch der für diese vergasenden Objekte charakteristische Schweif. Desch und Jackson gingen in ihren Analysen zunächst davon aus, dass das Objekt aus verschiedenen Eis-Arten bestand und berechneten, damit, wie schnell diese möglichen Eis-Arten während der Sonnenpassage von ʻOumuamua sublimieren würden. In einem weiteren Schritt berechneten die Wissenschaftler, wie stark der raketenartige Schubeffekt wäre, die auftretende Form und die Reflektivität des jeweiligen Eises. „Hierbei haben wir festgestellt, dass ein Eisbrocken sehr viel reflektiver ist als bislang angenommen. Das wiederum bedeutet, dass das Objekt selbst kleiner gewesen sein könnte als bislang angenommen, weshalb sich dann auch der Schubeffekt stärker auf das Objekt ausgewirkt hätte als bei bekannten Kometen.“ Vor allem festes Stickstoffeis entsprach dabei allen Ansprüchen der beobachteten Merkmale von ʻOumuamua. Da derart festgefrorener Stickstoff die Oberfläche des Zwergplaneten Pluto bildet, vermuten die beiden Autoren auch, dass das Objekt selbst von einem solchen fernen Planeten oder Mond stammt.

Obwohl ʻOumuamua zunächst schnell als Kometen-artig erkannt und beschrieben wurde, hätten die dann bald  beobachteten Unterschiede zu bekannten Kometen schnell zu Spekulationen darüber geführt, dass es sich um ein Fragment einer außerirdischen Technologie handele. Hierzu schreiben Desch und Jackson abschließend:

„Jeder ist an Aliens interessiert. Deshalb war es auch kaum zu vermeiden, dass dieses Objekt von außerhalb unseres Sonnensystems die Menschen schnell dazu brachte, über eine derart außerirdische Herkunft zu spekulieren. In der Wissenschaft ist es aber wichtig, sich nicht zu voreiligen Schlüssen hinreißen zu lassen. Es hat fast drei Jahre gedauert, um nun eine natürliche Erklärung für ʻOumuamua in Form von Stickstoffeis zu finden. Aus Perspektive der Wissenschaft ist das aber gar nicht mal so lange. Es bedeutet aber noch nicht, dass wir mit Sicherheit nun auch alle natürlichen Erklärungen ausgeschöpft haben.“

Der Astrophysiker und Kosmologe Professor Avi Loeb von der Harvard University und dem Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics (CfA) ist nicht zuletzt wegen seines jüngst erschienen Buches „Außerirdisch“ (…GreWi berichtete) nicht nur der bekannteste sondern auch wissenschaftlich respektierteste Vertreter der Theorie von von ʻOumuamua als technischem Alien-Artefakt. Auf die von Desch und Jackson postulierten Schlussfolgerungen angesprochen, erläutert exklusiv gegenüber Grenzwissenschaft-Aktuell.de (GreWi):

„Wenn ʻOumuamua aus Stickstoff bestanden hätte, so sollte es auch Spuren von Kohlenstoff beinhaltet haben, wie sie mit dem Weltraumteleskop „Spitzer“ hätten entdeckt werden können. Das war aber nicht der Fall und es ist sehr unwahrscheinlich, dass sein Objekt aus reinem Stickstoff besteht. Während Wasserstoff, der rund 90 Prozent aller Atome im Universum ausmacht, entsprechend häufig ist, entsteht Stickstoff in Sternen in ähnlichen Mengen wie Kohlenstoff. Wenn man nun also postuliert, dass ʻOumuamua alleinig aus Stickstoff ohne detektierbare Anteile von Kohlenstoff bestand, so müsste ʻOumuamua aus einem Material bestehen, das Stickstoff vom Kohlenstoff getrennt hatte. Ich selbst kenne keinen einfachen Weg, unter den gegebenen Umständen Kohlenstoff von Stickstoff zu trennen. Normalerweise treten sie gemeinsam auf, weil sie auch gemeinsam im Innern von Sternen entstehen.

Hintergrund
Avi Loeb, geboren 1962, ist seit 1997 Professor für Astrophysik an der Harvard University, seit 2007 Direktor des Institutes for Theory & Computation (ITC) im Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics, seit 2011 Vorsitzender des Fachbereiches Astronomie der Harvard University und seit 2012 dort Inhaber der Frank B. Baird Jr. Professur of Science. 2012 wurde Loeb in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. Loeb ist Vorsitzender des Beratungskommittes des Forschungs-und Entwicklungsprojektes „Breakthrough Starshot“, das sich zum Ziel gesetzt hat, Forschungssatelliten in das der Sonne nächste Nachbarsternsystem Alpha Centauri zu entsenden.
(Quelle: DVA)

Zudem wurde bereits in zwei früheren Studien (https://arxiv.org/pdf/1810.02148.pdf u. https://arxiv.org/pdf/1811.00023.pdf) aufgezeigt, dass es für ein Objekt wie ʻOumuamua enorm viel Masse pro Stern braucht – mehr felsige Masse, als jene, von der anzunehmen ist, dass sie aus Planetensytemen herauskatapultiert wird. Als Konsequenz liefert die Vorstellung einer seltenen und exotischen Herkunft von Stickstoffbergen angesichts der notwendigen Masse eine unwahrscheinliche Erklärung für ʻOumuamua.

Avi Loeb
Außerirdisch – Intelligentes Leben jenseits unseres Planeten
DVA (Deutsche Verlags-Anstalt) München 2021
ISBN: 978-3-421-04866-0, 264 Seiten, Auflage: 1, 22,00 €

Schlussendlich müssten rund 10 Prozent von ʻOumuamua verdampft und ausgegast sein, um jene überschüssige Kraft zu erklären, die den beobachteten, raketenartigen Schub verursacht haben könnte. Diese Feststellung ergibt sich aus dem Impulserhaltungsgesetz. Derartige Mengen an (verdampfendem) Stickstoff hätten das Sonnenlicht dann aber derart stark reflektiert, dass wir diesen Vorgang tatsächlich in Form eines Kometenschweifes beobachtet hätten. Das aber, war schlichtweg nicht der Fall.“

Einmal mehr zeigt sich also, dass die Kontroverse um ʻOumuamua noch lange nicht beigelegt sein dürfte. GreWi wird weiterhin berichten…




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Quelle: AGU, eigene Recherche Grenzwissenschaft-Aktuell.de

© grenzwissenschaft-aktuell.de

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Andreas Müller
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