Direkte Draufsicht auf die annähernd kreisrunde Bruchstruktur im antarktischen König-Baudoin-Schelfeis.
Copyright: AWI (kontrastverstärkt durch grewi.de)
Bremerhaven (Deutschland) – Die Entdeckung einer lange Zeit rätselhaften Ringstruktur auf dem ostantarktischem Eisschelf vor zwei Jahren, führte zunächst nicht nur zu Spekulationen, ob es sich um den Einschlagskrater eines gewaltigen Objekts aus dem Weltall handeln könnte, sondern aktuell auch zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen über dramatische Klimaveränderungen, für die die ostantarktischen Eisschelfe offenbar anfälliger sind als bislang vermutet.
Wie ein Forscherteam unter Jan Lenaerts von der Universität Utrecht und unter Beteiligung des Alfred-Wegener-Instituts aktuell im Fachjournal „Nature Climate Change“ (DOI: 10.1038/nclimate3180) berichtet, haben sie große Mengen an Schmelzwasser im Roi Baudouin-Schelfeis nachgewiesen. Vorläufer der aktuellen Entdeckung war die mehr oder weniger zufällige Entdeckung einer ungewöhnlich, ringförmigen Bruchstelle im Roi Baudouin-Schelfeis in der Ost-Antarktis (…GreWi berichtete 1, 2, 3), die zunächst als Reste eines Einschlagskraters eines hunderte Tonnen schweren Meteoriten gedeutet wurden. Diese Vermutung erwies sich jetzt nach näheren Untersuchungen durch Eis-Experten als falsch.
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Im Januar 2016 hatte ein Team um Lenaerts den Krater vor Ort genauer untersucht. In Kombination mit Klimamodellen und Satellitenaufnahmen haben die Wissenschaftler gemeinsam mit den AWI-Glaziologen Prof. Dr. Olaf Eisen und Dr. Veit Helm dabei jetzt herausgefunden, dass es in der Ost-Antarktis deutlich größere Mengen an Schmelzwasser gibt als bislang angenommen. Sie entdeckten zahlreiche glaziale Seen auf und im Eis: „Auch bei der vor zwei Jahren gefundenen Bruchstelle handelt es sich um einen früher mit Wasser gefüllten glazialen See. Im Schelfeis befinden sich zudem viele bisher nicht bekannte Schmelzwasser-Flüsse“, so die AWI-Pressemitteilung.
Schmelzwasserfluss in der Nähe des Forschungscamps innerhalb der im Dezember 2014 entdeckten Ringstruktur.
Copyright: Sanne Bosteels
Bei Schelfeis handelt es sich um den auf der Meeresoberfläche schwimmenden Teil eines Gletschers. Es ist für die Stabilität des Eisschildes von Bedeutung, weil es die Fließgeschwindigkeit des nachrückenden Eises aus dem Landesinneren bremst. „Das ganze System ist allerdings an einer Grenzschwelle“, erläutert Eisen und führt weiter aus: „Wenn es verstärkt zu wärmeren Sommern kommt, weitet sich die Schmelzfläche aus. Dadurch könnte das Schelfeis instabiler werden und schließlich auseinanderbrechen. Dies ist noch kein Horrorszenario, aber eine ernst zu nehmende Beobachtung.“
Eine sog. Gletschermühle innerhalb der Ringstruktur im Roi Baudouin-Schelfeis
Copyright: Sanne Bosteels
Verantwortlich seien starke, sogenannte katabatische Winde, die vom Hochplateau des antarktischen Inlandeises hinunter Richtung Küste wehen. „Dort gibt es quasi einen Knick an dem Übergang zwischen dem Abhang des Festland-Eises und dem horizontal auf dem Wasser liegenden Schelfeis. Die Winde tragen permanent Luft in diese Region, wie beim Föhn in den Alpen, der am Knick stärker verwirbelt. An dieser Stelle sorgen die Winde dafür, dass der Schnee an der Oberfläche kontinuierlich weggeweht wird.“
„Das dadurch teilweise offen liegende feste Eis ist dunkler als der weiße Schnee und absorbiert folglich mehr Sonnenenergie – die Oberfläche wird stärker erwärmt“, sagt Eisen. „Normalerweise reichen die kalten Jahresmitteltemperaturen aus, damit das Wasser schnell wieder friert. Wenn es allerdings zu warm wird, bildet sich so viel Schmelzwasser, dass es sich durch das Schelf seinen Weg ins Meer sucht. Das kann auf Dauer das Schelfeis schwächen und instabiler machen.“
Bei der Ringstruktur selbst handelt es sich demnach um eine sogenannte Eisdoline. „Sie entsteht, wenn sich Schmelzwasser im Inneren oder nahe der Oberfläche eines Gletschers ansammelt, an seiner Oberseite wieder friert, das Wasser darunter aber nach unten abfließt. Dann entsteht im Gletscher ein Hohlraum, dessen Decke irgendwann einstürzt. In Grönland und auf Schelfeisen an der Antarktischen Halbinsel werden solche Trichterbildungen bereits seit den 1930er Jahren beobachtet“, sagt Olaf Eisen. Für die Ost-Antarktis sind die Kenntnisse allerdings neu – wobei der Krater selbst keineswegs neu war: Ausgewertete Satellitenbilder zeigen, dass die Ringstruktur bereits im Jahr 1989 existierte. Olaf Eisen: „Das Schmelzwasser gibt es dort also schon länger und insgesamt scheint das System über die vergangenen Jahrzehnte auch stabil gewesen zu sein. Aber es ist eben deutlich empfindlicher als bisher bekannt. Das heißt, eine kleine Störung des Systems könnte bereits große Auswirkungen haben.“
GreWi-Kurzgefasst
– Eine im Dezember 2014 entdeckte gewaltige Ringstruktur, wurde zunächst für den Einschlagskrater eines tonnenschweren Meteoriten gehalten.
– Eine Vor-Ort-Untersuchung zeigt nun, dass diese Vermutung falsch war und es eine Eisdoline ist.
– Vor Ort fanden die Wissenschaftler aber nicht nur das, sondern auch zahlreiche Belege dafür große Mengen an Schmelzwasser auf ostantarktischem Eisschelf.
– Dieses ist offenabr anfälliger für Kilmaveränderungen als bislang gedacht.
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