Kühlen ohne Energiezufuhr: Experiment rüttelt leicht am Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik
Zürich (Schweiz) – „Wärme kann von selbst nur von einem wärmeren zu einem kälteren Objekt fließen – nicht umgekehrt“, so lässt sich der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik vereinfacht zusammenfassen. Jetzt aber haben Züricher Physiker in einem Experiment das Gegenteil demonstriert und eine verblüffend einfache Anordnung entwickelt, bei der Wärme – ohne Energiezufuhr von außen – zeitweise von einem kälteren zu einem wärmeren Objekt fließt. Tatsächlich steht der Vorgang aber zunächst nur scheinbar im Widerspruch zu den Gesetzen der Physik.
Ein Behälter mit kochendem Wasser auf einem Tisch, kühlt sich mit der Zeit ab. Allerdings wird seine Temperatur nie unter die des Tisches oder seiner direkten Umgebung fallen. Zumindest lehrt uns dies nicht nur die eigene Erfahrung, sondern auch einer der fundamentalen Sätze der Physik – der Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik.
Wie die Forschungsgruppe um Prof. Andreas Schilling am Physik-Institut der Universität Zürich (UZH) aktuell im Fachjournal „Science Advances“ (DOI: 10.1126/sciadv.aat9953) berichtet, gelang es ihnen in einem Experiment, ein neun Gramm schweres Stück Kupfer von über 100°C deutlich unter Zimmertemperatur abzukühlen, ohne dass von außen Energie zugeführt wurde. Theoretisch könne man mit dieser Versuchsanordnung kochendes Wasser ohne Energieaufwand zu Eis erstarren lassen, so Schilling.
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Für ihr Experiment verwendeten die Wissenschaftler ein sog. Peltier-Element und damit ein Bauteil, das u.a. zum Kühlen von Minibars in Hotels zum Einsatz kommt. „Es hat die Fähigkeit, elektrische Ströme in eine Temperaturdifferenz umzuwandeln“, erläutert die UZH-Pressemitteilung und führt dazu weiter aus: „Mit Hilfe eines solchen Elements erzeugten die Wissenschaftler in Verbindung mit einer elektrischen Induktivität schon in früheren Versuchen einen oszillierenden Wärmestrom, bei dem der Wärmefluss zwischen zwei Körpern ständig die Richtung wechselt. Dabei wird zeitweise auch Wärme von einem kälteren Objekt auf ein wärmeres Objekt übertragen, so dass das kältere Objekt weiter abkühlt.“ Ein derartiger „thermischer Schwingkreis“ enthalte faktisch eine „thermische Induktivität“ und funktioniert somit analog zu einem elektrischen Schwingkreis, bei dem die elektrische Spannung mit ständig wechselndem Vorzeichen oszilliert.
Während bislang solche thermischen Schwingkreise nur mittel Energiezufuhr betrieben werden konnten, gelang es den Forschern nun erstmals, einen solcher thermischen Schwingkreis auch passiv – also ohne jegliche Energiezufuhr von außen – zu betreiben.
Dennoch traten auch hier thermische Oszillationen auf und für einige Zeit floss Wärme tatsächlich direkt vom kälteren Kupfer hin zu einem wärmeren Wärmebad von 22°C ohne zwischenzeitlich in eine andere Energieform umgewandelt zu werden.
Die Wissenschaftler konnten zudem nachweisen, dass bei diesem Vorgang trotzdem keine Gesetze der Physik verletzt wurden. Dazu berechneten sie die Änderung der Entropie des Gesamtsystems und zeigten, dass diese doch im Verlauf der Zeit zunimmt – genau wie dies der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik fordert.
Der im Experiment erreichte Unterschied zur Zimmertemperatur betrug zwar nur knapp 2°C, doch liege dies hauptsächlich an den Eigenschaften des verwendeten kommerziellen Peltier-Elements. Laut Schilling wäre rein rechnerisch mit einem (noch nicht existierenden) „idealen“ Peltier-Element unter gleichen Bedingungen eine Abkühlung von bis zu minus 47°C möglich: „Mit dieser sehr einfachen Technik ließen sich theoretisch große Mengen an heißem Material – egal ob fest, flüssig oder gasförmig – ohne jeglichen Energieaufwand unterhalb Umgebungstemperatur abkühlen.“ Der passive thermische Schaltkreis könnte dabei beliebig oft verwendet werden, ohne dass Energie zugeführt werden muss.
Die Physiker räumen allerdings ein, dass eine Anwendung in großem Maßstab derzeit noch nicht absehbar ist: „Einerseits sind die derzeit erhältlichen Peltier-Elemente nicht effizient genug. Andererseits benötigt die jetzige Versuchsanordnung supraleitende Induktivitäten, um die elektrischen Verluste möglichst klein zu halten.“
Für den UZH-Physiker ist nicht nur der erstmals erbrachte, prinzipielle Nachweis bedeutsam: „Die Experimente muten zunächst wie thermodynamische Zauberei an und rütteln damit auch in gewissem Masse an unseren gängigen Vorstellungen über Wärmeflüsse.“
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