Santa Fe (USA) – Die Erfindung des Buchdrucks markiert einen der wichtigsten Meilensteine in der kulturellen, intellektuellen und medialen Entwicklung der Menschheit. Wie eine aktuelle Untersuchung jedoch zeigt, führte die neue Technik nicht nur zur Verbreitung hehrer humanitärer Ziele. Der Buchdruck und die dadurch mögliche Verbreitung von Handbüchern zur Hexenverfolgung sowie sozialen Netzwerke spielten demnach eine wichtige Rolle. Ein Lehrstück auch für unsere heutige Gesellschaft.
Wie das Team um Kerice Doten-Snitker vom Santa Fe Institute aktuell im Fachjournal „Theory and Society“ (DOI: 10.1007/s11186-024-09576-1) berichtet, trugen die Verbreitung von Schriften wie dem sogenannten „Hexenhammer“ (Malleus Maleficarum) und die damaligen sozialen Netzwerke maßgeblich vorangetrieben. „Das plötzliche Aufkommen von Hexenprozessen im frühneuzeitlichen Europa könnte durch einen der bedeutendsten intellektuellen Meilensteine der Menschheit begünstigt worden sein: die Erfindung des Buchdrucks im Jahr 1450.“
Hintergrund
Der Hexenhammer (Malleus Maleficarum) wurde 1487 von den Inquisitoren Heinrich Kramer und Jacob Sprenger veröffentlicht,. Er war ein Handbuch zur Identifizierung, Verfolgung und Bestrafung angeblicher Hexen und Hexenmeister. Die Schrift bildete die Grundlage für zahlreiche Hexenprozesse in Europa während der frühen Neuzeit. Der Text beschrieb Hexerei als Teufelspakt und lieferte detaillierte Anweisungen für Folter und Befragung, um Geständnisse zu erzwingen.
Die Hexenverfolgungen in Mitteleuropa nahmen im späten 15. Jahrhundert Fahrt auf und dauerten fast 300 Jahre an. Historiker vermuten, dass etwa 90.000 Menschen verfolgt und fast 45.000 von ihnen hingerichtet wurden. Der Glaube an Hexen und Zauberei existierte seit Jahrhunderten in der europäischen Kultur, aber das Ausmaß ihrer systematischen Verfolgung in dieser Zeit war beispiellos. Entgegegen der weit verbreiteten Vorstellung, laut der die Kirchen Haupttreiber der Hexenverfolgung waren, gingen ein Großteil der Hexenprozesse und Verurteilungen auch auf weltliche Ankläger und Obrigkeiten zurück.
Die Studie hebt außerdem hervor, wie Prozesse in einer Stadt andere beeinflussten. Dieser soziale Einfluss – das Beobachten dessen, was die Nachbarn taten – spielte eine zentrale Rolle bei der Entscheidung einer Stadt, Hexenprozesse einzuführen.
Soziale Netzwerke befeuerten den Hexenwahn
„Städte trafen diese Entscheidungen nicht isoliert“, sagte Kerice Doten-Snitker. „Sie beobachteten, was ihre Nachbarn taten, und lernten von diesen Beispielen. Die Kombination neuer Ideen aus Büchern und der Einfluss benachbarter Prozesse schuf die idealen Bedingungen für die Verbreitung dieser Verfolgungen.“
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Doten-Snitker, Kolleginnen und Kollegen stützen mit ihren Schlussfolgerungen die Ansicht, dass die Erfindung des Buchdrucks die rasche Verbreitung von Ideen über Hexerei, wie sie zuvor nur auf kleinere intellektuelle Kreise, wie religiöse Gelehrte und lokale Inquisitoren, beschränkt waren. Die berüchtigtste dieser Veröffentlichungen, der Malleus Maleficarum, war sowohl ein theoretischer als auch ein praktischer Leitfaden zur Identifizierung, Vernehmung und Verurteilung von Hexen. Doten-Snitker erklärt, dass diese Handbücher, sobald sie im Umlauf waren, den lokalen Behörden ein Rahmenwerk boten, wie sie mit vermeintlicher Hexerei in ihren Gemeinschaften umgehen konnten.
Für ihre Studie bauten Doten-Snitker und ihre Kollegen auf früheren Forschungen auf, indem sie nicht nur wirtschaftliche und Umweltfaktoren berücksichtigten, sondern sich auch darauf konzentrierten, wie neue Ideen über Hexerei durch soziale und Handelsnetzwerke verbreitet wurden und das Verhalten langsam, aber nachhaltig beeinflussten.
Hierzu analysierten die Forschenden Daten zu den Zeitpunkten von Hexenprozesse und der Veröffentlichung von Hexenverfolgungshandbüchern aus 553 Städten in Mitteleuropa zwischen 1400 und 1679, als die Häufigkeit und Intensität der Verfolgungen merklich nachließ.
Wo der Hexenhammer erschien, folgte die Verfolgung
Die Ergebnisse der Studie zeigen auf, wie jede neue Ausgabe des Malleus Maleficarum von einem Anstieg der Hexenprozesse gefolgt wurde. „Allerdings war nicht nur die Nähe zu einer Druckerpresse entscheidend dafür, ob eine Stadt Prozesse durchführte; auch der Einfluss benachbarter Städte spielte eine wichtige Rolle.“
Wenn eine Stadt die im Hexenhammer dargelegten Praktiken übernahm, folgten oft benachbarte Städte, indem sie von den Handlungen ihrer Nachbarn lernten. Dieser Prozess, den Doten-Snitker und ihre Co-Autoren als „Ideen-Diffusion“ bezeichnen, dauerte oft viele Jahre, da die Menschen in den Städten Zeit brauchten, um neue Ideen über Hexerei aufzunehmen und in die Tat umzusetzen. „Doch sobald diese Verfolgungen Fuß fassten, breitete sich ein langsamer, aber starker Welleneffekt über den Kontinent aus.“
Eine Mahnung auch für heute
Obwohl sich die Forschung auf historische Hexenprozesse konzentriert, sieht Doten-Snitker klare Parallelen zur modernen Zeit, wie groß angelegte gesellschaftliche Veränderungen stattfinden: „Der Prozess der Einführung von Hexenprozessen ist nicht unähnlich dem, wie moderne Regierungen heute neue Politiken übernehmen“, sagte Doten-Snitker. „Es beginnt oft mit einem Wandel in den Ideen, der durch soziale Netzwerke verstärkt wird. Mit der Zeit setzen sich diese Ideen durch und verändern das Verhalten ganzer Gesellschaften.“
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Recherchequelle: Santa Fe Institut
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