„Mars Express“ lüftet Geheimnisse der rätselhaften Mars-Wolke
Bilbao (Spanien) – Mit dem südlichen Mars-Frühling entsteht ganz in der Nähe des 20 Kilometer hohen Mars-Vulkans Arsia Mons eine längliche Wolke, die immer wieder für Rätselraten und Spekulationen über möglichen aktiven Vulkanismus auf dem Roten Planeten führte. Nachdem bereits zuvor allerdings festgestellt werden konnte, dass es sich um eine Wolke aus Wassereis handelt, trugen nun Aufnahmen des europäischen Mars-Orbiters „Mars Express“ zur beantworten weiterer Fragen rund um die Mars-Wolke bei.
Wie die europäische Raumfahrtagentur ESA aktuell berichtet, hat „Mars Express“ diese Wolke schon einmal gesichtet, als sie in der Nähe des Vulkans Arsia Mons, südlich des Marsäquators, schwebte: „Rätselhafterweise ist der Arsia Mons der einzige Ort auf dem Mars in niedrigen Breitengraden, an dem zu dieser Jahreszeit Wolken zu sehen sind – und der einzige von zahlreichen ähnlichen Vulkanen in der Region, der einen solchen Wolkenschleier besitzt. Mars Express hat diesen Schleier während der Frühlings- und Sommersaison täglich wachsen und verblassen sehen und schickte beeindruckende Bilder dieser langen und eindrucksvollen weißen Wolke zurück.“
Bislang war es jedoch aufgrund der schnellen, wechselhaften Dynamik der Marsatmosphäre und der Einschränkungen vieler Umlaufbahnen der Sonde nur eingeschränkt möglich, die Wolke in ihrer Gesamtheit zu beobachten. Dieser Umstand trug dazu bei, dass unser Wissen darüber, wie und warum sie sich bildet und im Laufe der Zeit verändert, einschränkt war.
„Um diese Hürden zu überwinden, haben wir eines der Instrumente von Mars Express eingesetzt – die Visual Monitoring Camera (VMC)„, erläutert Jorge Hernández Bernal von der Universidad del País Vasco, Hauptautor des aktuell im „Journal of Geophysical Research“ (DOI: 10.1029/2020JE006517) und vorab via AXiv.org veröffentlichten Artikels zu den neuen Ergebnissen und eines Langzeitprojekts zur Untersuchung der Dynamik der Wolke.
Die Arbeit von Jorge, Kolleginnen und Kollegen zeigt zugleich eine vorher nicht geplante Anwendung für die VMC auf.
Hintergrund
Die VMC, die auch als Mars-Webcam bezeichnet wird, hat eine ähnliche Auflösung wie eine Standard-Webcam eines Computers aus dem Jahr 2003. Sie wurde installiert, um visuell zu bestätigen, dass sich der Lander Beagle 2 im Jahr 2003 erfolgreich von Mars Express getrennt hatte – danach wurde sie abgeschaltet. Einige Jahre später wurde die Kamera reaktiviert und verwendet, um Bilder vom Mars für die Öffentlichkeitsarbeit zu sammeln, blieb aber für die wissenschaftliche Forschung ungenutzt.
Die Entwicklung der Mars-Wolke vom 20. Oktober bis 1. November 2018 aus Sicht der VMC.
Copyright: ESA/GCP/UPV/EHU Bilbao , CC BY-SA 3.0 IGO
Kürzlich wurde VMC dann aber als Wissenschafts-Kamera wieder aktviert: „Obwohl sie eine niedrige räumliche Auflösung hat, verfügt sie über ein breites Sichtfeld – unerlässlich, um das Gesamtbild zu verschiedenen lokalen Tageszeiten zu sehen – und ist wunderbar geeignet, um die Entwicklung eines Merkmals sowohl über einen langen Zeitraum als auch in kleinen Zeitschritten zu verfolgen“, erläutert Jorge. „Dadurch konnten wir die gesamte Wolke über zahlreiche Lebenszyklen hinweg untersuchen.“
Kombiniert mit den Kameras zweier weiterer Mars-Express-Instrumente (OMEGA und HRSC) und denen mehrerer anderer Mars-Sonden, darunter die der NASA-Mission „Mars Atmosphere and Volatile Evolution“ (MAVEN), des „Mars Reconnaissance Orbiter“ (MRO), „Viking 2“ sowie der „Mars Orbiter Mission“ (MOM) der indischen Raumfahrtorganisation (ISRO) zeigen die Daten nun, dass die riesige Wolke schon seit Viking in den 1970-er Jahren teilweise abgebildet worden war.
Die Ergebnisse zeigten, dass die Wolke während ihrer größten Ausdehnung etwa 1.800 Kilometer in der Länge und 150 Kilometer in der Breite misst. „Es handelt sich um die größte jemals auf dem Mars beobachtete „orografische“ Wolke, was bedeutet, dass sie sich als Ergebnis von Wind bildet, der durch topografische Merkmale (wie Berge oder Vulkane) auf der Planetenoberfläche nach oben gedrückt wird. In diesem Fall stört der Arsia Mons die Marsatmosphäre, was zur Entstehung der Wolke führt; feuchte Luft wird dann in Aufwinden an den Flanken des Vulkans nach oben getrieben und kondensiert später in höheren und weitaus kühleren Höhen.“
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Die Wolke durchlaufe einen rasanten täglichen Zyklus, der sich über mehrere Monate hinweg jeden Morgen wiederholt, berichten die ESA-Forschenden: „Sie beginnt vor Sonnenaufgang am Westhang des Arsia Mons zu wachsen, bevor sie sich zweieinhalb Stunden lang nach Westen ausdehnt und dabei bemerkenswert schnell – mit über 600 km/h – in einer Höhe von 45 km wächst. Dann hört sie auf sich auszudehnen, löst sich vom ursprünglichen Standort und wird von Höhenwinden noch weiter nach Westen gezogen, bevor sie am späten Vormittag verdampft, da die Lufttemperaturen mit der aufgehenden Sonne steigen.“
Das bisherige Problem war, dass viele Mars-Orbiter diesen Teil der Oberfläche aufgrund der Eigenschaften ihrer Umlaufbahnen erst am Nachmittag beobachten können und deshalb erst durch die jetzige Kombination der verschiedenen Sonden ihrer Kameras und Instrumente die erste detaillierte Erkundung dieses interessanten Phänomens möglich wurde.
Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen vermuten, dass kein anderes Klimasystem im Sonnensystem dem der Erde so sehr ähnelt wie das des Mars, und dennoch zeigen die beiden Planeten deutliche und faszinierende Unterschiede: „Obwohl orografische Wolken auf der Erde häufig beobachtet werden, erreichen sie nicht solche enormen Längen oder zeigen eine so lebhafte Dynamik“, sagt Co-autor Agustin Sánchez-Lavega.
Neben der Nutzung der VMC haben die Forscherinnen und Forscher um Jorge und Agustin auch eine typische Herausforderung bei der Beobachtung von vorübergehenden Phänomenen auf dem Mars gemeistert: „Hochauflösende Kameras wie die HRSC von Mars Express haben schmale Sichtfelder, und Beobachtungen werden immer im Voraus geplant. Daher werden meteorologische Phänomene – die in der Regel nicht vorhersehbar sind – meist nur zufällig eingefangen.“
Als die Forschenden jedoch begannen, den Lebenszyklus und die jährlichen Muster dieser länglichen Wolke zu verstehen, waren sie in der Lage, dem HRSC-Team die richtige Zeit und den richtigen Ort zu nennen, um die Wolke zu erfassen.
„Der Einsatz der VMC-Kamera hat es uns ermöglicht, diese flüchtige Wolke auf eine Weise zu verstehen, die sonst nicht möglich gewesen wäre“, so die ESA-Wissenschaftler und -Wissenschaftlerinnen abschließend. „Sie ermöglicht es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Wolken zu verfolgen, Staubstürme zu überwachen, Wolken- und Staubstrukturen in der Marsatmosphäre zu untersuchen, Veränderungen in den Polkappen des Planeten zu erforschen und vieles mehr. Ihre Wiederinbetriebnahme unterstützt nicht nur das primäre Instrumentarium von Mars Express für die Erforschung des Mars, sondern verleiht der langjährigen Mission, die seit 2003 kontinuierlich mehr über den Roten Planeten enthüllt, einen neuen Wert.“
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Quelle: ESA
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