Mathematische Methoden legen Existenz ‚unmöglicher‘ Parateilchen nahe
Houston (USA) – Eine aktuelle mathematische Forschungsarbeit stellt die Möglichkeit der Existenz bislang für unmöglich geltender sog. Parateilchen in Aussicht – Teilchen, die weder Bosonen noch Fermionen sind.
Bislang gingen Quantenmechaniker davon aus, dass alle Teilchen basierend auf ihrem Verhalten in eine von zwei Gruppen – Bosonen oder Fermionen – eingeteilt werden können. Wie Kaden Hazzard, außerordentlicher Professor für Physik und Astronomie an der Rice University, und der ehemaligen Rice-Doktorand Zhiyuan Wang nun jedoch aktuell im Fachjournal „Nature“ (DOI: 10.1038/s41586-024-08262-7) berichten, legen ihre dargelegten mathematischen Methoden nun die Möglichkeit von Teilchen nahe, die weder Bosonen noch Fermionen sind. Damit demonstrieren die Forscher zumindest mathematisch die potenzielle Existenz von Parateilchen, die lange als unmöglich galten.
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AnzeigeHintergrund: Bosonen, Fermionen und Parateilchen
Bosonen und Fermionen unterscheiden sich in Ihrem Verhalten, wenn sie sich in einem bestimmten Quantenzustand nahe anderer Teilchen befinden: Bosonen können sich in unbegrenzter Anzahl versammeln, während nur ein Fermion in einem bestimmten Zustand existieren kann. Dieses Verhalten der Fermionen wird als „Pauli-Prinzip“ bezeichnet, das besagt, dass nicht mehr als zwei Elektronen mit entgegengesetzten Spins das gleiche Orbital in einem Atom besetzen können. „Dieses Verhalten ist für die gesamte Struktur des Periodensystems verantwortlich“, erläutert Hazzard. „Es ist auch der Grund, warum man nicht einfach durch seinen Stuhl hindurchgeht, wenn man sich hinsetzt.“
In den 1930er und 1940er Jahren begannen Forscher zu untersuchen, ob andere Arten von Teilchen existieren könnten. Eine konkrete Quantentheorie solcher Teilchen, bekannt als Parateilchen, wurde 1953 formuliert und von der Hochenergiephysikgemeinschaft ausführlich untersucht. Doch in den 1970er Jahren schienen mathematische Studien zu zeigen, dass sogenannte Parateilchen tatsächlich nur verkleidete Bosonen oder Fermionen wären. Die einzige Ausnahme war die Existenz von Anyonen, einer exotischen Art von Teilchen, die nur in zwei Dimensionen existiert.Die mathematischen Theorien der 1970er Jahre und darüber hinaus basierten jedoch auf Annahmen, die in physikalischen Systemen nicht immer zutreffen.
Quelle: Rice UniversityIn ihrer aktuellen Arbeit nutzten Hazzard und Wang nun eine Lösung der sogenannten Yang-Baxter-Gleichung, einer nützlichen Gleichung zur Beschreibung des Austauschs von Teilchen, zusammen mit der Gruppentheorie und anderen mathematischen Werkzeugen, um zu zeigen, dass Parateilchen theoretisch doch existieren und vollständig mit den bekannten physikalischen Einschränkungen kompatibel sein könnten.
Die Forscher konzentrierten sich auf Anregungen – die als Teilchen betrachtet werden können – in kondensierten Materiesystemen wie Magneten, um ein konkretes Beispiel dafür zu liefern, wie Parateilchen in der Natur entstehen können.
„Teilchen sind nicht nur diese fundamentalen Dinge“, erläutert Hazzard. „Sie sind auch wichtig für die Beschreibung von Materialien.“ „Dies ist interdisziplinäre Forschung, die mehrere Bereiche der theoretischen Physik und Mathematik umfasst“, fügt Wang hinzu, der mitlerweile Postdoktorand am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garchin ist.
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Mit fortgeschrittener Mathematik wie Lie-Algebren, Hopf-Algebren und Darstellungstheorie sowie einer bildlichen Methode, die auf sogenannten Tensor-Netzwerkdiagrammen basiert, um Gleichungen besser zu handhaben, konnten Hazzard und Wang nun abstrakte algebraische Berechnungen durchführen, um Modelle kondensierter Materiesysteme zu entwickeln, in denen Parateilchen entstehen.
Diese zeigen, dass sich Parateilchen im Gegensatz zu Fermionen oder Bosonen auf seltsame Weise verhalten, wenn sie ihre Positionen austauschen und sich dabei die inneren Zustände der Teilchen verändern.
Obwohl diese Modelle für sich genommen bahnbrechend sind, seien sie erst der erste Schritt zu einem besseren Verständnis vieler neuer physikalischer Phänomene, die in Parateilchensystemen auftreten könnten, erläutern die Forscher. Die Weiterentwicklung dieser Theorie könnte Experimente leiten, die Parateilchen in den Anregungen kondensierter Materiesysteme nachweisen könnten. „Um Parateilchen in Experimenten zu realisieren, benötigen wir realistischere theoretische Vorschläge“, sagte Wang.
Zukünftige Anwendung und Bedeutung ist ungewiss aber spannend
Laut dem Forscher-Duo könnte die Entdeckung neuer Elementarteilchen und Materialeigenschaften in der Quanteninformation und -berechnung verwendet werden, zum Beispiel um Informationen geheim zu kommunizieren, indem die inneren Zustände der Teilchen manipuliert werden.
Die Überlegungen zu möglichen Anwendungen stehen jedoch noch am Anfang und sind größtenteils Spekulation. Diese Studie hingegen ist ein früher Schritt in der Untersuchung von Parastatistiken in kondensierten Materiesystemen mit ungewissem Ausgang. Weitere Untersuchungen der neu entdeckten Theorien und die Beobachtung von Parateilchen in kondensierten Materiesystemen und anderen Materialien werden Themen für zukünftige Forschung sein: „Ich weiß nicht, wohin es führen wird, aber ich weiß, dass es spannend sein wird, es herauszufinden“, so Hazzard abschließend.
Quelle: Rice University
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