Als eine neue Form täglicher Meditation kann die kontemplative Dyade die soziale Verbundenheit zwischen einander fremden Menschen steigern und so das Gefühl von Einsamkeit reduzieren.
Copyright: MPI f. Kognitions- und Neurowissenschaften
Leipzig (Deutschland) – Kognitions- und Neurowissenschaftler haben eine neue Form der Meditation entwickelt. Im Gegensatz zur traditionellen Meditation, deren Techniken in der Regel allein im Stillen für sich praktiziert werden, zielt die sogenannte kontemplative Dyade darauf ab, durch lautes und gemeinsames Meditieren soziale Verbundenheit untereinander zu steigern und das Gefühl von Einsamkeit reduzieren. Mit der neuen Meditationsform, die derzeit noch weiter untersucht wird, wollen die Forscher Einsamkeit als psychische wie körperliche Belastung und sogar krankmachender Faktor entgegenwirken.
Wie die Forscher um Tania Singer und Bethany E. Kok vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaftlen aktuell im Fachjournal „JAMA Psychiatry“ (DOI: ) berichten, bestehe die „kontemplativen Dyade“ aus dem täglichen hochkonzentrierten Dialog zweier Meditierender: „Eine Person berichtet ausführlich von einer Auseinandersetzung mit einem Freund oder einer anderen unangenehmen Situation, die sie am Tag zuvor erlebt hat, und wie sich diese körperlich angefühlt hat. Anschließend schildert sie eine Erfahrung, für die sie in den letzten 24 Stunden besonders dankbar war. Eine andere Person, der Zuhörer, lauscht ihrer Erzählung aufmerksam und beginnt so, Empathie für sie zu entwickeln. Während sie spricht, hört er aufmerksam zu, ohne das Gesagte durch Worte oder Mimiken zu kommentieren – und umgekehrt.“
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In der Untersuchung dieser Meditationspraktik wollen die Wissenschaftler herausfinden, „ob diese von uns entwickelte neue Form der täglichen kontemplativen Dyade dazu beitragen kann, die soziale Verbundenheit zwischen Menschen zu stärken, selbst wenn diese sich vorher nicht kennen”, erläutert Singer, die die Studie des dahinterstehenden großangelegten „ReSource“-Projekts, einer neunmonatigen Längsschnittstudie, die die Auswirkungen von mentalem Training auf unser Wohlbefinden und unsere sozialen, emotionalen und geistigen Fähigkeiten untersucht.
Hintergrund:
Das ReSource Projekt untersucht, wie verschieden Formen mentalen Trainings dazu beitragen können, um soziale, emotionale und geistige Fähigkeiten zu fördern, und wie sich das wiederum auf Gesundheit, Körper und Gehirn auswirkt. Es ist dabei das weltweit größte Projekt seiner Art.
Erste Ergebnisse zeigen dann auch tatsächlich, dass Teilnehmer nach jeder durchgeführten Dyade davon berichteten, sich ihrem Gegenüber nach der gemeinsamen Übung deutlich näher gefühlt zu haben als zuvor. „Im Laufe unseres täglichen zehnminütigen Trainings an fünf Tagen pro Woche über einen Zeitraum von sechs Monaten hinweg teilten die Menschen so zunehmend persönlichere Gedanken und Gefühle“, erklärt Kok.
Die Forscher schlussfolgern, dass die Teilnehmer durch die Übung eine emotionale Nähe zueinander aufbauten – obwohl der Dialogpartner jede Woche aufs Neue wechselte und die Übungseinheiten meist statt von Angesicht zu Angesicht über eine eigens entwickelte Smartphone-App durchgeführt wurden.“
Die Neurowissenschaftler schlussfolgerten daraus, dass sich die Teilnehmer nicht nur ihrem direkten Partner innerhalb der Dyade näher fühlten, sondern den Menschen im Allgemeinen.
Wie die Pressemitteilung des Instituts weiter berichtet, werden seit einiger Zeit werden kontemplative Dyaden als eine vielversprechende Methode diskutiert, um die persönlichen sozialen Fähigkeiten zu schulen. „Wir haben nun den ersten wissenschaftlichen Beweis dafür geliefert, dass dieser kurze tägliche Austausch von Gefühlen und Gedanken ein wirkungsvolles Mittel sein kann, um die Menschen einander innerlich näher zu bringen. Aus früheren Studien wissen wir, dass die persönlich wahrgenommene Verbundenheit zu den eigenen Mitmenschen wiederum dazu beiträgt, dass Menschen ein längeres, gesünderes und vor allem glücklicheres Leben führen.“
Innerhalb ihrer Studie konzentrierten sich die Wissenschaftler um Singer auf zwei Formen der kontemplativen Dyaden: die affektive und die perspektivische. „Die eingangs beschriebene Szene spiegelt dabei die affektive Variante wider, bei der eine Person jeweils eine eigens gerade erlebte, besonders emotionale Situation aus eigener Sicht beschreibt. Im Gegensatz dazu schildert der Sprecher in der perspektivischen Dyade zwar ebenfalls eine aktuelle Begebenheit. Jedoch versetzt er sich diesmal in die Rolle eines inneren Persönlichkeitsanteil von ihm selbst: Wie hätte die innere besorgte Mutter, das neugierige Kind oder die gestresste Angestellte diese Situation wahrgenommen und erlebt? Der Zuhörer versucht wiederum, diese neue Perspektive nachzuvollziehen und auszuloten, aus wessen Sichtweise berichtet wird.“
Sowohl die affektive als auch die perspektivische Form der Dyade haben demnach dazu beigetragen, dass sich einander unbekannte Menschen stärker miteinander verbunden fühlen, attestieren die Wissenschaftler. Dabei habe sich die erste Variante jedoch als die erfolgreichere von beiden herausgestellt, wenn es um die Steigerung von sozialer Nähe geht – vermutlich, weil sie sich besonders auf das emotionale Erleben und Mitteilen konzentriere.
Bisher haben die Wissenschaftlerinnen diese Zusammenhänge nur an erwachsenen Studienteilnehmern ohne psychische Beschwerden untersucht. „Interessant wäre es nun herauszufinden, ob sich diese neuen Methoden auch nutzen lassen, um die sozialen Fähigkeiten von Kindern zu fördern oder um psychisch kranken Menschen zu helfen, die besonders häufig unter Einsamkeit und sozialen Defiziten leiden“, so Singer und erklärt abschließend. „Unabhängig davon bieten diese kurzen, zwischenmenschlichen Übungen eine einfache, wirkungsvolle Möglichkeit, um das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen zu stärken. In unserer zunehmend hochindividualisierten, von Stress erfüllten Gesellschaft ist das heute wichtiger denn je.“
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