San Diego (USA) – Schmerz ist eine komplexe, facettenreiche Erfahrung, die durch verschiedene Faktoren geprägt wird, die über das physische Empfinden hinausgehen, wie zum Beispiel die Denkweise einer Person und ihre Erwartungen an den Schmerz. Lange Zeit galt die Behandlung von Schmerzen durch Achtsamkeitsmeditation als Ergebnis des sogenannten Placebo-Effekts. Eine aktuelle und auf fortschrittlichen bildgebenden Verfahren basierte Studie zeigt nun, dass dies nicht der Fall ist.
Wie ein Team der University of California San Diego aktuell im Fachjournal „Biological Psychiatry“ (DOI: 10.1016/j.biopsych.2024.08.023) berichtet, zeigen die Untersuchungen, dass Achtsamkeitsmeditation andere Mechanismen im Gehirn anspricht, um Schmerzen zu lindern, als dies beim Placebo-Effekt der Fall ist. Hierzu haben die Forschenden die schmerzlindernden Effekte der Achtsamkeitsmeditation mit der Anwendung einer Placebo-Creme und zur Kontrolle mit einer „Schein“-Achtsamkeitsmeditation bei gesunden Teilnehmern verglichen.
Achtsamkeitsmedidation und Placebo bewirken unterschiedliche Hirnaktivität
Das Ergebnis der Studie zeigt, „dass die Achtsamkeitsmeditation signifikante Reduktionen der Schmerzintensität und der Schmerzunlust bewirkte und gleichzeitig die Gehirnaktivität reduzierte, die mit Schmerzen und negativen Emotionen in Verbindung steht“, erläutert die Pressemitteilung der Universität. „Im Gegensatz dazu verringerte die Placebo-Creme nur das Gehirnaktivitätsmuster, das mit dem Placebo-Effekt verbunden ist, ohne das grundlegende Schmerzerleben der Person zu beeinflussen.“
Obwohl auch die Placebo-Creme sowie die Schein-Achtsamkeitsmeditation den Schmerz verringerten, stellten die Forscher fest, dass die Achtsamkeitsmeditation signifikant effektiver war, den Schmerz zu reduzieren als die Placebo-Creme, die Schein-Achtsamkeitsmeditation und die Kontrollgruppe.
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„Der Geist ist äußerst mächtig, und wir versuchen immer noch zu verstehen, wie wir ihn zur Schmerzbewältigung nutzen können“, sagte Fadel Zeidan, PhD, Professor für Anästhesiologie und Stiftungsprofessor für Empathie- und Mitgefühlsforschung am UC San Diego Sanford Institute for Empathy and Compassion. „Indem wir den Schmerz vom Selbst trennen und wertende Urteile loslassen, kann die Achtsamkeitsmeditation die Art und Weise, wie wir Schmerz erleben, direkt verändern – ohne den Einsatz von Medikamenten, ohne Kosten und überall praktizierbar.“
Hintergrund
In der modernen Medizin gelten neue Therapien in der Regel als effektiv und zuverlässig, wenn sie den Placebo-Effekt übertreffen. Da die vorliegende Studie gezeigt hat, dass die Achtsamkeitsmeditation wirksamer ist als der Placebo-Effekt und nicht dieselben neurobiologischen Prozesse anspricht, haben diese Ergebnisse wichtige Auswirkungen auf die Entwicklung neuer Behandlungen für chronische Schmerzen. Es bedarf jedoch weiterer Forschung, um diese Effekte bei Menschen mit chronischen Schmerzen im Gegensatz zu gesunden Teilnehmern nachzuweisen.
Wie die Mediziner weiterhin beschreiben, zeigte sich auch, dass die schmerzlindernde Wirkung der Achtsamkeitsmeditation die Synchronisation zwischen den Gehirnbereichen verringerte, die an Introspektion, Selbstwahrnehmung und emotionaler Regulation beteiligt sind. Diese Gehirnregionen bilden zusammen das neuronale Schmerzsignal (NPS), ein dokumentiertes Aktivitätsmuster im Gehirn, das bei verschiedenen Individuen und Schmerzarten als typisch für Schmerz angesehen wird. Im Gegensatz dazu zeigte die Placebo-Creme und die Schein-Achtsamkeitsmeditation im Vergleich zu den Kontrollen keine signifikante Veränderung im NPS. „Stattdessen aktivierten diese anderen Interventionen völlig separate Mechanismen im Gehirn mit wenig Überlappung.“
Zeidan erläutert weiter, dass lange angenommen wurde, dass sich der Placebo-Effekt mit den Mechanismen im Gehirn überschneidet, die durch aktive Behandlungen ausgelöst werden. Die neuen Ergebnisse deuten nun aber darauf hin, dass dies beim Schmerz möglicherweise nicht der Fall ist. Stattdessen sind diese beiden Gehirnreaktionen völlig unterschiedlich, was den Einsatz der Achtsamkeitsmeditation als direkte Intervention bei chronischen Schmerzen und nicht nur als Mittel zur Aktivierung des Placebo-Effekts unterstützt.“
Kurz: Achtsamkeitsmeditation und Placebo aktivieren unterschiedliche neuronale Schmerzsignaturen, um Schmerzen zu lindern und die mechanistischen Unterschiede zwischen Placebo und Achtsamkeit aufzuzeigen.
Neue Methoden der Schmerzbehandlung
Die Forscher um Zeidan hoffen langfristig, durch ein besseres Verständnis der zugrunde liegenden Gehirnmechanismen der Achtsamkeitsmeditation neue, wirksamere und leichter zugängliche Behandlungsmethoden zu entwickeln, die die Vorteile der Achtsamkeit nutzen, um Schmerzen bei Menschen mit unterschiedlichen gesundheitlichen Beschwerden zu lindern: „Millionen von Menschen leben täglich mit chronischen Schmerzen, und es könnte sein, dass sie mehr tun können, um ihre Schmerzen zu lindern und ihre Lebensqualität zu verbessern, als wir bisher angenommen haben. Wir freuen uns darauf, weiterhin die Neurobiologie der Achtsamkeit zu erforschen und wie wir diese alte Praxis in der Klinik nutzen können.“
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Recherchequelle: SCU San Diego
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