Menschenaffen beherrschen doch Grundlagen der Sprache
Die Gorilladame Koko beim selbst herbeigeführten husten
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Madison (USA) – Die Sprache galt bislang als rein menschliche Fähigkeit. Selbst für die uns Menschen am nächsten verwandten Menschenaffen sollten – laut bisheriger Lehrmeinung – die Kontrolle von Atmung und Lauten als Vorstufe des Sprechens eigentlich unmöglich sein. Eine neue Studie des Gorillaweibchens Koko zeigt nun jedoch genau das Gegenteil und belegt damit, dass für Menschenaffen die Fähigkeit zur Sprache gar nicht so weit entfernt ist, wie bislang gedacht.
Wie Marcus Perlman von der University of Wisconsin-Madison und Nathaniel Clark von der University of California, Santa Cruz aktuell im Fachjournal „Animal Cognition“ (DOI: 10.1007/s10071-015-0889-6) berichten, kommen sie anhand der Analyse von mehr als 71 Stunden Videomaterial zu Experimenten mit Koko – die seit mehr als 40 Jahren mittels komplexer Gebärdensprache mit ihren Betreuern auf erstaunlich hohem Niveau kommuniziert – zu der Erkenntnis, dass die Gorilladame zu auffallend deutlichen vokalen Verhaltensweisen in der Lage ist.
Zuvor waren zahlreiche Versuche, Menschenaffen wie Gorillas oder Schimpansen die menschliche Sprache beizubringen, immer wieder gescheitert und es hatte sich die Annahme verfestigt, dass die Tiere schlichtweg anatomisch nicht in der Lage seien, ihre Vokalisation bewusst zu kontrollieren.
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Dementgegen konnten Perlman und Clarke nun zeigen, dass zumindest Koko auf Kommando husten und ein Blasinstrument spielen kann. Auch kann sie sich bewusst die Nase in ein Taschentuch schnäuzen (s. Videos) oder Brillengläser anhauchen, um sie danach zu reinigen. Während derartige Verhaltensweisen und Fähigkeiten zunächst banal erscheinen mögen, erfordern sie jedoch genau jene Grundlagen der menschlichen Sprache, wie sie den Menschenaffen bislang vehement abgesprochen wurden: die bewusste Kontrolle der Atmung und Lautierung.
„Zwar erzeugt Koko keine so schönen und angenehmen Klänge, wie wir das für gewöhnlich tun, wenn wir sprechen. Aber sie kann ihren Kehlkopf ausreichend kontrollieren, um gezielt grunzende Töne zu erzeugen“, erläutert Perlman.
Darüber hinaus vermuten die Verhaltensforscher, dass Koko kein Einzelfall ist. Obwohl das Gorillaweibchen das Verhalten wahrscheinlich erst durch ihr enges Zusammenleben mit den Menschen erlernt habe und dieses deshalb wohl kaum in wilden Gorillapopulationen zu erwarten ist, sei Koko jedoch wahrscheinlich nicht weniger „sprachbegabt“, wie andere ihrer Artgenossen auch. Da auch Orang-Utans erstaunliche vokale und atmungsbezogene Fähigkeiten demonstriert haben, vermutet Perlman, dass die ganze Familie der Menschenaffen grundsätzlich zu Kokos Fähigkeiten in der Lage ist.
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„Nach der bislang gängigen Theorie, können Menschenaffen nichts tun, das der menschlichen Sprache auch nur ansatzweise ähnelt“, erläutert Perlman. „Aus diesem Grund ging man bislang auch davon aus, dass alleinig wir Menschen die Sprache erst ’nach‘ der Trennung des Menschen vom letzten gemeinsamen Vorfahren mit Schimpansen entwickelt haben.“ Da Koko nun aber die Voraussetzung zur Kommunikation mittels kontrollierter Laute besitzt, überbrücke sie damit eine bisherige Lücke zwischen Menschenaffen und Menschen und zeige damit, dass auch erstere unter den richtigen Umweltbedingungen eine zumindest ansatzweise flexible Kontrolle über ihren Vokaltrakt erlangen können. „Diese Kontrolle ist zwar nicht so feingliedrig wie die des Menschen, aber es ist eine Form der Kontrolle“, so die Forscher und stellen abschließend fest: „Das evolutionäre Grundgerüst der Menschen für die Entwicklung der Fähigkeit zur Sprache war also vermutlich schon mindestens zur Zeit der letzten gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Gorilla vor rund 10 Millionen Jahren vorhanden.“
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