Dresden (Deutschland) – Anhand von Experimenten haben deutsche und japanische Wissenschaftler ein menschenspezifisches Gehirngrößen-Gen Weißbüschelaffen-Embryonen injiziert und in der Folge damit auch bei den Tieren einen größeren Neokortex hervorgerufen.
„Die Vergrößerung des menschlichen Gehirns, insbesondere des Neokortex, während der Evolution steht in engem Zusammenhang mit unseren kognitiven Fähigkeiten wie Denken und Sprechen“, erläutern die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen um CCC vom Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden gemeinsam mit Kollegen des japanischen Zentralinstituts für Versuchstiere (CIEA) in Kawasaki und der Keio-Universität in Tokio aktuell im Fachjournal „Science“ (DOI: 10.1126/science.abb2401).
Konkret untersuchten sie schon seit längerem ein Gen mit der Bezeichnung „ARHGAP11B“, das nur bei uns Menschen vorkommt und das die vermehrte Bildung von Hirnstammzellen veranlasst – eine Voraussetzung für ein größeres Gehirn.
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In ihren Experimenten konnten die Forscher nun aufzeigen, dass dieses Gen auch im Weißbüschelaffen, wenn es in physiologischen Mengen gebildet wird, einen vergrößerten Neokortex hervorruft und schlussfolgern: „Dies legt die Vermutung nahe, dass ARHGAP11B die Vergrößerung des Neokortex während der menschlichen Evolution tatsächlich verursacht haben könnte.“
Hintergrund
Der menschliche Neokortex, der evolutionär jüngste Teil der Großhirnrinde, ist etwa dreimal so groß wie der unserer nächsten Verwandten, der Schimpansen. Um in den begrenzten Raum der Schädelhöhle zu passen, nahm seine Faltenbildung zudem im Laufe der Evolution zu. Eine zentrale Frage für die Wissenschaft ist, wie der menschliche Neokortex so groß wurde. In einer Studie aus dem Jahr 2015 hatte das Forscherteam um Wieland Huttner, Gründungsdirektor und Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik, festgestellt, dass Mausembryonen unter dem Einfluss des nur beim Menschen vorkommenden Gens ARHGAP11B im embryonalen Neokortex viel mehr neuronale Vorläuferzellen produzieren und sogar ihren normalerweise glatten Neokortex falten können. Diese Ergebnisse deuteten darauf hin, dass das Gen ARHGAP11B eine Schlüsselrolle bei der evolutionären Vergrößerung des menschlichen Neokortex spielen könnte. Das Gen ARHGAP11B entstand durch teilweise Verdopplung des weit verbreiteten Gens ARHGAP11A vor rund 5 Millionen Jahren, nachdem sich zwei Evolutionslinien voneinander getrennt hatten: die eine führte zum modernen Menschen, dem Neandertaler und dem Denisova-Menschen, die andere zum Schimpansen. Das vom ARHGAP11B-Gen abgeleitete Protein enthält eine Sequenz von 47 Aminosäuren, die für den Menschen spezifisch ist und im ARHGAP11A-Protein nicht vorkommt. Für die Fähigkeit von ARHGAP11B zur Vermehrung von Hirnstammzellen, ist diese Sequenz jedoch essentiell. 2016 entdeckte die Forschungsgruppe von Wieland Huttner die überraschende Ursache dafür: „Tatsächlich führte lediglich der punktuelle Austausch eines einzigen genetischen Buchstabens, nämlich der Austausch von C zu G, im ARHGAP11B-Gen zum Verlust von 55 Nukleotiden bei der Bildung der entsprechenden Boten-RNA“, erläutert Wieland Huttner. „Das hatte eine Verschiebung im Leseraster zur Folge, die wiederum zu der menschenspezifischen, funktionell essenziellen Sequenz von 47 Aminosäuren im Protein führt.“ Diese Punktmutation dürfte sehr viel später erfolgt sein als die Entstehung des Gens selbst vor rund 5 Millionen Jahren, vermutlich irgendwann im Zeitraum von vor 1,5 Millionen bis rund 500.000 Jahren. „Punktmutationen treten relativ häufig auf. Doch im Fall von ARHGAP11B scheint der Vorteil so gravierend gewesen zu sein, dass diese genetische Variante die menschliche Evolution unmittelbar beeinflusst hat“, so der Forscher.“ (Quelle: Max-Plank-Gesellschaft)
Eine Frage von zentraler Bedeutung war also, ob dieses nur beim Menschen vorkommende Gen ARHGAP11B auch bei nichtmenschlichen Primaten einen vergrößerten Neokortex verursachen würde. Um dies zu untersuchen, erzeugte das internationale Team transgene Weißbüschelaffen, die nun das menschenspezifische Gen ARHGAP11B im sich entwickelnden Neokortex exprimierten.
Japan hat ähnlich hohe ethische Standards und Vorschriften hinsichtlich Tierversuche und Tierschutz wie Deutschland. Deshalb wurden Die Gehirne von 101 Tage alten Föten des Weißbüschelaffen (50 Tage vor dem normalen Geburtsdatum) in Japan entnommen und zur detaillierten Analyse an das MPI in Dresden exportiert.
Bei den Untersuchungen stellten die Wissenschaftler nun tatsächlich fest, „dass der Neokortex des Gehirns der Weißbüschelaffen vergrößert und die Hirnoberfläche gefaltet war. Auch die sogenannte Kortikalplatte war dicker als normal.“ Darüber hinaus fanden die Forscher „eine höhere Anzahl bestimmter Vorläuferzellen, der basalen radialen Gliazellen, in der äußeren subventrikulären Zone, sowie eine höhere Anzahl von Neuronen in den oberen Schichten der Großhirnrinde. Diese treten charakteristischerweise in der Primatenevolution vermehrt auf.“
Auf diese Weise hatten die Wissenschaftler erstmals funktionelle Beweise dafür, dass ARHGAP11B eine Vergrößerung des Neokortex bei Primaten hervorrufen kann.
Zu ethischen Überlegungen führt Wieland Huttner aus: „Wir haben unsere Analysen ganz bewusst auf die Föten von Weißbüschelaffen beschränkt, weil wir erwartet haben, dass dieses menschenspezifische Gen die Entwicklung des Neokortex im Weißbüschelaffen beeinflussen würde. Angesichts möglicher unvorhersehbarer Konsequenzen hinsichtlich der Hirnfunktion nach der Geburt hielten wir es deshalb für geboten – und aus ethischer Sicht für zwingend erforderlich –, zunächst die Auswirkungen von ARHGAP11B auf die Entwicklung des fötalen Neokortex des Weißbüschelaffen zu untersuchen.“
Diese Ergebnisse, so die Forscher, deuten darauf hin, dass das ARHGAP11B-Gen im Laufe der menschlichen Evolution tatsächlich eine Vergrößerung unseres Neokortex verursacht und damit zur Entwicklung der menschlichen Intelligenz beigetragen haben könnte.
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Quelle: Max-Plank-Gesellschaft
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