Mittelalterliche Schilderungen beschreiben Fresstechnik von Walen und erklären damit alte Berichte über Meeresungeheuer
Bedford Park (Australien) – 2011 berichteten Wissenschaftler erstmals von einer bis dahin unbekannten und somit vermeintlich neuen Fresstechnik von Walen rund um den Globus. Statt ihrer Beute nachzujagen, verharren die Tiere mit weit aufgerissenem Maul an der Wasseroberfläche und warten, dass ganze Fischschwärme darin trügerischen Schutz suchen. Eine aktuelle Studie zeigt nun, dass dieses Verhalten vermutlich gar nicht neu ist und bereits in mittelalterlichen Überlieferungen über mutmaßliche Meeresungeheuer beschrieben wird. Die Entdeckung ist auch für Bereiche der Anomalistik von Bedeutung.
Wie der Meeresbiologe Dr. John McCarthy und die Historikerin Dr. Erin Sebo von der australischen Flinders University aktuell im Fachjournal „Current Biology, Marine Mammal Science“ (DOI: 10.1111/mms.13009) berichten, hängen sich einige Arten der gewaltigen Meeressäuger nahezu senkrecht an die Wasseroberfläche, öffnen ihre Kiefer bis zu in einem nahezu rechten Winkel und warten darauf, dass ganze Fischschwärme in diesem Trichter nach einem trügerischen Schutz suchen. Diese ungewöhnliche Fressstrategie konnte mittlerweile mehrfach filmisch dokumentiert werden (s. Videos) und wurde 2017 erstmals auch wissenschaftlich beschrieben.
Warum dieses Verhalten erst in jüngster Zeit beobachtet wurde, ist nicht klar, doch vermuteten Wissenschaftler und Wissenschaftler, es könnte in einem Zusammenhang mit sich verändernden Umweltbedingungen stehen. Eine andere Erklärung war die Feststellung, dass die Wale erst seit vergleichsweise kurzer Zeit derart intensiv gezielt beobachtet und erforscht werden und erst seit wenigen Jahren neue Beobachtungstechnologien wie beispielsweise Kameradrohnen zur Verfügung stehen, um derartiges Verhalten auch auf ganz neuer Art und Weise zu dokumentieren (s. Videos).
Bei seinen Studien altnordischer Sagen und Texte stieß McCarthy dann auf die Beschreibungen von Meeresungeheuern wie etwa dem sogenannten „Hafgufa“, von dem etwa in der mittelalterlichen Örvar-Odds-Saga, aber auch noch bis ins 18. Jahrhundert hinein berichtet wird, das er sich als aus dem Wasser ragende Felsen tarne und eine Art übel riechendes Futter oder Geruch ausstoße, um so Beutefische in sein passiv geöffnetes Maul zu locken. Neben dem Hafgufa stimmen auch viele Eigenschaften des sogenannten Aspidochelon mit dem Verhalten der Wale überein, das beispielsweise ebenfalls mit aus dem Wasser ragenden Felsen verwechselt wurde, einen Lockduft aussonderte und teilweise mit dem Hafgufa gleichgesetzt wird. Auch heutige Wale wurden dabei beobachtet, wie sie bereits gefilterte Beute ausstoßen, um so vermutlich weitere Beutefische anzulocken.
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„Ich war überrascht, wie sehr die Schilderungen des Hafgufa mit dem Fallenködern (Trap feeding) der Wale übereinstimmt. Zunächst dachte ich aber, dass es nur ein interessanter Zufall sei“, erinnert sich der Wissenschaftler. „Doch je mehr ich diese alten Berichte studierte und dies auch mit Kollegen und Kolleginnen diskutierte, umso klarer wurde mir, dass diese alten Mythen keine Meeresungeheuer, sondern Wale beschreiben. Und je mehr wir dieser Spur folgten, umso mehr Gemeinsamkeiten fanden wir heraus.“
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Für die Historikerin Dr. Erin Sebo handelt es sich um „ein weiteres Beispiel dafür, wie alte und vor-wissenschaftliche Texte, obwohl sie die tatsächlichen Ursachen und Hintergründe noch verkannten oder falsch deuteten, dennoch akkurates Wissen über natürliche Vorgänge überliefern können.“ Dieser Umstand sei gerade im aktuellen Fall so bemerkenswert, „weil die Frage, wie lange Wale dieser Jagdtechnik bereits anwenden, ein Schlüsselelement für unser Verständnis über das Verhalten und die Evolution der Tiere darstellen. Meeresbiologen hatten bislang vermutet, dass es keine Möglichkeit gebe, diese Frage zu beantworten. Die mittelalterlichen Texte helfen uns nun aber dabei, genau diese Frage zu beantworten.“ Zudem gelte es nun festzustellen, „dass die Menschen des Mittelalters offenbar ein Verhalten der Tiere beobachtet und beschrieben haben, dass die moderne Wissenschaft erst seit wenigen Jahren kennt.“
GreWi-Kommentar
Die Entdeckung und Schlussfolgerungen von McCarthy und Sebo sind nicht nur für die Meeresbiologie von Bedeutung. Entsprechend historische Schilderungen und Darstellungen sind auch zu anderen anomalistischen Forschungsfeldern bekannt und im Sinne ihrer Aussage- und nicht zuletzt Beweiskraft kontrovers umstritten. So kennen wir zahlreiche mittelalterliche Flugschriften und Einblattdrucke, die – verpackt als „Wunderzeichen“ – Phänomene beschreiben, die heute sicherlich zunächst als UFOs bezeichnet werden würden.
Auch wenn eine Vielzahl dieser Berichte heute mit bekannten natürlichen oder astronomischen Phänomenen wie Kometen, Meteore, Nordlichter, Nebensonnen erklärt werden können, sind deren vor-wissenschaftliche Beschreibungen als Wunderzeichen doch oft höchst akkurat, sofern man sie aus dem (meist religiös geprägten) Deutungskontext befreit. Doch auch hier bleiben zahlreiche Beispiele von Schilderungen, die sich auch mit dem heutigen Wissen nicht erklären können. Man macht es sich zu einfach, diese Berichte abzutun, nur weil wir sie heute noch nicht mit uns bekannten Phänomenen in Übereinstimmung bringen können, als Fantasie, Wahn, Überzeichnung oder Schwindel. Das hiesige Beispiel von McCarthy und Sebo, die sich von der gängigen Distanz zu diesen Berichten und dem Stigma, laut dem diese schließlich „Meeresungeheuer“ beschreiben, die es nicht geben kann“ (Meereswesen, die sich als Felsen tarnen und einen Lockstoff aubsondern…) nicht abschrecken ließen, zeigt, wie viel Wirklichkeit auch in solchen Berichten stecken kann. Wirklichkeiten, die die Wissenschaft Jahrhunderte übersehen und erst seit wenigen Jahren (vermutlich durch neu zugängliche Technologien) wieder-entdeckt hat. Auch hier zeigen sich Parallelen nicht nur zum UFO-Phänomene und seinen historischen Wurzeln, sondern auch in zahlreiche andere Gebiete der Anomalistik.
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Recherchequelle: Flinders University, Current Biology
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