Neues Modell erklärt Bahnabweichungen transneptunischer Objekte alternativ zu Planet Nine
Beirut (Libanon) Die übereinstimmenden abweichenden Umlaufbahnen einiger Objekte in den äußersten Bereichen des Sonnensystems, die von einigen Astronomen als Beleg für die Existenz eines noch unbekannten Planeten im äußeren Sonnensystem gedeutet werden, lasse sich auch durch die kombinierte Anziehungskraft kleiner Objekte erklären, die die Sonne jenseits des Neptun umkreisen. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie von zwei Astronomen.
Die alternative Erklärung zur sogenannten „Planet Nine“-Hypothese, haben Professor Jihad Touma von der American University of Beirut und Antranik Sefilian von der University of Cambridge vorab via ArXiv.org und aktuell im Fachjournal „Astronomical Journal“ veröffentlicht. Darin schlagen sie eine Scheibe aus kleinen eisigen Körpern mit einer Gesamtmasse von bis zu zehn Mal so viel wie jener der Erde, vor. „In Kombination mit einem vereinfachten Modell des Sonnensystems können die Gravitationskräfte einer solchen hypothetischen Scheibe die ungewöhnliche Orbitalarchitektur einiger Objekte am äußeren Ende des Sonnensystems erklären.“
Hintergrund
Jenseits der Umlaufbahn des Neptun liegt der Kuiper-Gürtel, der aus kleinen Körpern aus der Zeit der Entstehung unseres Sonnensystems besteht. Neptun und die Riesenplaneten beeinflussen gravitativ die Objekte im Kuiper-Gürtel und darüber hinaus, die gemeinsam als Trans-Neptunian Objects, also als transneptunische Objekte (TNOs) bekannt sind, und die die Sonne auf nahezu kreisförmigen Bahnen umkreisen.Allerdings haben Astronomen einige mysteriöse Ausreißer entdeckt. Seit 2003 wurden rund 30 TNOs auf stark elliptischen Umlaufbahnen entdeckt: Sie heben sich von den anderen TNOs dadurch ab, dass sie im Durchschnitt die gleiche räumliche Orientierung haben. Diese Art von Clustering lässt sich nicht durch die bislang bekannte Architektur des Sonnensystems mit den acht bekannten Planeten erklären und führte zu jener Hypothese, laut der die ungewöhnlichen Bahnen durch die Existenz eines noch unbekannten neunten Planeten beeinflusst werden könnten.
Während es sich bei der neuen Theorie nicht um die erste handelt, die als Alternative zur Vorstellung eines unbekannten „neunten Planeten“ (P9) eine massereiche Scheibe aus kleinen Objekten vorschlägt, sei sie jedoch die erste, die in der Lage sei, die wesentlichen Merkmale der beobachteten Bahneigenschaften zu erklären und gleichzeitig die Masse und Schwerkraft der anderen acht Planeten in unserem Sonnensystem zu berücksichtigen, erläutern die beiden Autoren.
Die Hypothese des „Planeten Neun“ legt nahe, dass es – um die ungewöhnlichen Bahnen dieser TNOs zu erklären – einen weiteren Planeten geben müsste, der etwa zehnmal massereicher sein müsste als die Erde und in den fernen Bereichen des Sonnensystems lauert, wo er die TNOs durch die kombinierte Wirkung ihrer Schwerkraft und der des übrigen Sonnensystems in eine gemeinsame Richtung ableitet.
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„Die Hypothese von Planet Nine ist faszinierend. (…) Wir wollten jedoch überprüfen, ob es eine andere, weniger dramatische und vielleicht natürlichere Ursache für die ungewöhnlichen Bahnen geben könnte, die wir bei einigen TNOs sehen“, so Touma. „Wir dachten, anstatt einen neunten Planeten zuzulassen und uns dann um seine Entstehung und ungewöhnliche Umlaufbahn zu kümmern, warum erklären wir nicht einfach die Schwerkraft kleinerer Objekte, die eine Scheibe außerhalb der Umlaufbahn des Neptuns bilden, und schauen uns an, was diese bewirkt.“
Gemeinsam modellierten die Wissenschaftler also die volle räumliche Dynamik der TNOs mit der kombinierten Wirkung der großen äußeren Planeten und einer massereichen, verlängerten Scheibe jenseits des Neptuns. Die Berechnungen des Duos zeigen, dass ein solches Modell die verblüffend räumlich gebündelten Bahnen einiger TNOs erklären kann. Dabei konnten sie Bereiche in der Masse der Scheibe, ihre „Rundheit“ (oder Exzentrizität) und erzwungene allmähliche Verschiebungen in ihrer Ausrichtung (oder Präzessionsraten) identifizieren, die die ausreißenden TNO-Orbits originalgetreu wiedergaben.
„Wenn Sie Planet Nine aus dem Modell entfernen und stattdessen viele kleine Objekte zulassen, die über ein weites Gebiet verstreut sind, könnten kollektive Attraktionen zwischen diesen Objekten genauso leicht die exzentrischen Bahnen erklären, die wir in einigen TNOs sehen“, sagt Sefilian.
Frühere Versuche, die Gesamtmasse der Objekte jenseits des Neptuns zu schätzen, haben sich nur auf etwa ein Zehntel der Masse der Erde summiert. Damit die TNOs jedoch die beobachteten Bahnen haben und es keinen Planeten Neun braucht, verlangt das von Sefilian und Touma vorgeschlagene Modell, dass die kombinierte Masse des Kuiper-Gürtels bis zu zehn Mal so groß wie die der Erde ist.
„Wenn wir andere Systeme beobachten, untersuchen wir oft die Scheibe um den Mutterstern herum, um die Eigenschaften aller Planeten im Orbit um ihn herum abzuleiten“, sagt Sefilian abschließend. „Das Problem ist, wenn man – wie wir von der Erde aus – diese Scheibe von innen betrachtet, ist es fast unmöglich, das Ganze auf einmal zu sehen. Während wir keine direkten Beobachtungsbeweise für unsere Scheibe haben, haben wir diese bislang auch nicht für Planet Nine. Deshalb haben wir andere Möglichkeiten untersucht. Es ist aber interessant festzustellen, dass Beobachtungen von Analogien zu Kuiper-Gürteln um andere Sterne sowie von Modellen zur Planetenbildung immer wieder massereiche Überreste von Trümmern aufdecken.“
Anm. GreWi: Bis zum Redaktionsschluss dieser Meldung lag noch kein Statement des Astronomen Mike Brown dazu vor, der als Hauptverfechter der Hypothese von Planet Nine gilt.
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