Ottawa (Kanada) – Durch eine künstlich herbeigeführte Mutation hat eine kanadische Biologin etwa zehengroßen Zebrafischen einen festen Kiefer angezüchtet. Gemeinsam mit weiteren, mit dieser Anatomie einhergehenden Veränderungen gleich dieser auf erstaunliche Weise urzeitlichen und schon lange ausgestorbenen Knochenfischen. Dennoch handelt es sich nicht um eine Form der rückwärtigen Evolution. Zur Wiederbelebung ausgestorbener Urzeitarten oder gar von Dinosauriern eigenen sich die Methode also nicht.
Wie das Team um Dr. Tetsuto Miyashita vom Canadian Museum of Nature aktuell im “The Journal of Experimental Biology” (DOI: 10.1242/jeb.216945) berichtet, haben sie bei den Fischen ein Gen ausgeschaltet, das für die Entwicklung des Kiefergelenks bei den Fischlein verantwortlich ist.
Auf diese Weise entwickelten die so veränderten Zebrafische nicht nur ein steifes, geöffnetes Maul, sondern damit einhergehend auch weitere anatomische Merkmale, wie weiter geöffnete Augen, ein verkürztes Gesicht und verstärkte Nackenmuskeln. Kurz: Die unter Aquariumsbesitzern so beliebten kleinen Fische sahen plötzlich aus wie Urzeitfische, die vor mehr als 400 Millionen Jahren zu den ersten Wirbeltieren zählten und die ebenfalls noch keinen beweglichen Kiefer hatten. Zudem entwickelten die derart veränderten Zebrafische auch ein vermutlich ähnliches Jagd- und Fressverhalten, in dem sie nicht mit ihrem Kiefer nach potentieller Nahrung schnappten, sondern dieser solange nachschwimmen, bis sie in ihren permanent geöffneten steifen Mäulern endet. Die derart mutierten Fischlein waren also durchaus in der Lage, zu überleben und zu gedeihen.
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“Wenn wir an Evolution denken, so denken wir meist an eine nach vorn gerichtete Entwicklung, das Hinzufügen nützlicher Komponenten“, kommentiert Miyashita und führt dazu weiter aus: „So haben einige Fische (Anaspida und Thelodonti) vor rund 450 Millionen Jahren erste Kiefer entwickelt. Das hat ihnen einen enormen Vorteil gegenüber anderen damals lebenden Tieren verschafft. Wir selbst würden heute ohne bewegliche Kiefer vermutlich verhungern und ersticken. Aber Manchmal geht die Evolution auch den umgekehrten Weg und nimmt Dinge, die bereits seit Jahrmillionen existieren, wieder weg, was dann ganz plötzlich einen neuen evolutionären Weg eröffnet.“ Tatsächlich sei die aufgezeigte Plastizität der erzeugten Mutantenfische ein Schlüssel zum Verständnis der evolutionären Plastizität.
Während das Ergebnis des genetischen Eingriffs zunächst an „Jurassic Parc“ erinnern könne und es den Anschein habe, als hätten Miyashita heutige Zebrafische in ihre urzeitliche Form aus dem Devon rückgezüchtet, sei die auffallende Ähnlichkeit mit Anaspida und Thelodonti jedoch nur ein „Design-Zufall“, stellen die Forscher klar. „Anaspida und Thelodonti sind sehr verwandte Cousins der Zebrafische und von diesen etwa eine halbe Milliarde Jahre getrennt. Kurz: Zebrafische stammen nicht von diesen ab und können sich demnach auch nicht zu ihnen zurückentwickeln.”
Gerade die Experimente mit den Zebrafischen zeigen demnach, dass genetische Manipulation offenbar nicht der richtige Weg hin, einen frühen Vorfahren sozusagen wieder herzustellen: „Es erlaubt lediglich eine oberflächliche Annäherungen an Merkmale und Eigenschaften der Mutanten an offenkundige Notwendigkeiten“, so die Forscher und Forscherinnen.
„Unsere Ergebnisse zeigen ein fast schon unrealistisch hohe Schwelle für ein Jurassic-Park-Szenario durch künstlich herbeigeführte genetische Mutation. Auftretende Gemeinsam- und Ähnlichkeiten möglichen zwar tiefgreifend sein, doch Ursprung und Inhalte sind völlig unterschiedlich.“
Es sei allerdings faszinierend zu beobachten, dass, wie und warum das Phänomen der Entwicklungsplastizität ab und zu Merkmale ausgestorbener Arten in heutigen Mutanten wiedererscheinen lässt, bemerken die Autoren der Studie und erinnern an den bekannten Fall der „Dino-Hühner“ (…GreWi berichtete). „Obwohl manchmal solche Mutanten als Hinweis auf eine evolutionäre Rückentwicklung bezeichnet werden, bedeutet Plastizität aber nur, dass es sich dabei dann um nicht mehr als Zufälle handelt.
Die jetzt publizierten Experimente erlauben Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen allerdings neue Einsichten in die Lebens- und Nahrungsweise urzeitlicher, Kieferloser Fische, da die mutierten Zebrafische zum weiteren Studium genutzt werden können. „Ein besseres Verständnis darüber, wie die Kieferfusion bei solchen Mutanten geschieht, könnte auch der Medizin neue Erkenntnisse zur Behandlung von Gelenkkrankheiten ermöglichen.
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Quelle: Canadian Museum of Nature
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