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Neudatierte Höhlenkunst legt nahe: Neandertaler dachten wie moderne Menschen


Dieser Handabdruck (farbverstärkt) aus der Maltravieso-Höhle ist mehr als 66.000 Jahre alt und muss daher von Neandertalern stammen.

Copyright: H. Collado

Leipzig (Deutschland) – Eine Neudatierung von Höhlenmalereien und Schmuckobjekten aus verschiedenen Fundhöhlen in Spanien widerspricht bisherigen Zweifeln daran, dass diese nicht von modernen Menschen, sondern von Neandertalern geschaffen wurden. Bislang wurde den oft als primitiv abgestempelten Neandertalern diese Fähigkeit mithin sogar gänzlich abgesprochen. Der jetzt erbrachte Nachweis von früher Neandertaler-Kunst lässt zudem den Schluss zu, dass Neandertaler ähnlich dachten wie die frühen modernen Menschen.

„Schon vor wenigstens 70.000 Jahren hat der frühe moderne Mensch (Homo sapiens) durchbohrte Muschelschalen und Farbpigmente benutzt und vor etwa 40.000 Jahren in Europa mobile Kleinkunst, Schmuck und Höhlenkunst geschaffen“, berichtet das internationale Team um Dirk Hoffmann vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie aktuell im Fachjournal „Science“ (DOI: 10.1126/science.aap7778). „Neandertaler hingegen schienen zu solchem Verhalten dagegen nicht in der Lage. Mithilfe der Uran-Thorium Datierung konnte nun aber nachgewiesen werden, dass Neandertaler schon vor über 115.000 Jahren symbolische Objekte hergestellt und mehr als 20.000 Jahre vor der Ankunft moderner Menschen in Europa Höhlenkunst geschaffen haben. Die geistigen Fähigkeiten der Neandertaler müssen unseren eigenen demnach ebenbürtig gewesen sein.“

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Die symbolisch-materielle Kultur sei eine Sammlung kultureller und intellektueller Errungenschaften, die von Generation zu Generation weitergegeben werden, und die bisher nur unserer eigenen Spezies Homo sapiens zuerkannt wurde, erläutert die Pressemitteilung der Max-Planck-Gesellschaft und führt dazu weiter aus: „Die Entstehung der symbolisch-materiellen Kultur ist eine fundamentale Schwelle im Laufe der menschlichen Evolution. Sie ist eine der tragenden Säulen dessen, was uns zum Menschen macht (…) Objekte, deren funktioneller Wert nicht so sehr in ihrer praktischen, sondern in ihrer symbolischen Verwendung liegt, repräsentieren fundamentale Aspekte menschlicher Wahrnehmung und menschlichen Denkens, so wie wir sie heute kennen.“

Frühe symbolische Artefakte – wie mit Pigmenten eingefärbte Muscheln, die möglicherweise als Körperschmuck dienten – sind für die sogenannte Middle Stone Age in Nord- und Südafrika vor rund 70.000 Jahren dokumentiert und werden anatomisch und ihrem Verhalten nach modernen Menschen zugeordnet. Belege dafür dass auch in Europa Höhlenmalerei, plastische Figuren, verzierte Knochenwerkzeuge und Schmuck aus Knochen, Zahn, Elfenbein, Muschelkalk oder Stein hergestellt wurden, wurden bislang auf die sogenannte „Jungpaläolithische Revolution“ vor etwa 40.000 Jahren zurückgführt und wurden damit bislang ausschließlich modernen Menschen zugesprochen, die sich nach ihrer Ankunft aus Afrika über ganz Europa verbreitet hatten.


Muschelschale mit Farbresten aus der Cueva de los Aviones. Sie ist zwischen 115.000 und 120.000 Jahre alt.

Copyright: J. Zilhão

Mehr noch als Körper- und Werkzeugornamentik sei die Höhlenkunst ein besonders eindrucksvolles Beispiel für symbolisches Verhalten und galt deshalb bisher ebenfalls als Alleinstellungsmerkmal des modernen Menschen. Ob auch Neandertaler diese Kunstwerke geschaffen haben könnten, war bislang höchst umstritten, fehlte doch die Möglichkeit einer genauen, direkten und für die Kunstwerke selbst unschädlichen Datierung.

Dank jüngster technischer Entwicklungen gelang es dem internationalen Wissenschaftlerteam nun mit Hilfe der Uran-Thorium (U-Th) Methode Karbonatkrusten auf den Farbpigmenten zu datieren und so zumindest ein Mindestalter für die Höhlenkunst ermitteln.

Hintergrund
Die U-Th Datierung basiert auf dem radioaktiven Zerfall von Uranisotopen in Thorium. Mithilfe dieser sehr genauen Datierungstechnik können Forscher das Alter von Kalkablagerungen – wie auf der hiesigen linken Abbildung anhand einer über dem leiterartigen Gemälde gewachsenen Kalzitkruste zu erkennen – bis zu einem Maximalalter von etwa 500.000 Jahren bestimmen. Damit reicht sie erheblich weiter zurück als die Radiokarbonmethode (C14).

Copyright: J. Zilhão

Mehr als 60 Karbonatproben von jeweils weniger als zehn Milligramm aus drei verschiedenen Höhlen in Spanien haben die Forscher in ihrer aktuellen Studie analysiert: La Pasiega im Nordosten, Maltravieso im Westen und Ardales im Süden Spaniens. Alle enthalten meist rote, manchmal auch schwarze Malereien, die Tiergruppen, Punkte, geometrische Zeichen sowie positive und negative Handabdrücke und auch Felsritzungen umfassen.


Höhlenmalerei in der Höhle La Pasiega (Sektion C). Das leiterartige Gemälde aus waagrechten und senkrechten Linien (Mitte links) ist über 64.000 Jahre alt.

Copyright: P. Saura

„Unsere Datierungsergebnisse zeigen, dass die Höhlenkunst an diesen drei Standorten in Spanien viel älter ist als bisher angenommen“, sagt Teammitglied Alistair Pike von der University of Southampton. „Mit einem Alter von mehr als 64.000 Jahren sind sie mindestens 20.000 Jahre älter als die frühesten Spuren des modernen Menschen in Europa. Die Höhlenkunst muss also von Neandertalern geschaffen worden sein.“

Diese frühe Höhlenkunst aus roten Farbpigmenten besteht aus Linien, Punkten, Scheiben und Handabdrücken. „Dafür mussten die Schöpfer dieser Kunstwerke zunächst eine Lichtquelle planen, Farbpigmente mischen und einen geeigneten Standort auswählen“ erläutern die Forscher. „Neandertaler haben bedeutungsvolle Symbole an zentralen Orten ihres Lebensraumes geschaffen“, sagt Paul Pettitt von der University of Durham, ein weiteres Teammitglied und Spezialist für Höhlenkunst. In der Cueva Ardales, in der aktuell von einem deutsch-spanischen Team Ausgrabungen durchgeführt werden, belegen auch Bodenfunde die Anwesenheit von Neandertalern.

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Auf der iberischen Halbinsel reichen Nachweise des symbolischen Verhaltens von Neandertalern damit sehr weit zurück: In einer zweiten Studie von Hoffmann und Kollegen haben die Forscher das Alter einer archäologischen Fundstätte innerhalb der Cueva de los Aviones, einer Küstenhöhle im Südosten Spaniens bestimmt, in der durchbohrte Muscheln, rote und gelbe Farbpigmente und Behälter mit komplexen Pigmentmischungen gefunden wurden.

Ebenfalls mit der U-Th-Datierung gelang es den Wissenschaftlern das Alter einer Sinterterrasse zu ermitteln, die die Ablagerung bedeckt und geschützt hat. Die Fundschicht, die teilweise unter dem Sint lag wurde auf diese Weise auf ein Alter von mindestens 115.000 Jahren datiert und sind damit sogar noch älter als ähnliche Funde aus Süd- und Nordafrika, die dem Homo sapiens zugeordnet wurden; mit dem Unterschied, dass zu jener Zeit in Westeuropa nur Neandertaler lebten.

„Unseren neuen Daten zufolge konnten auch Neandertaler symbolisch denken und waren kognitiv nicht vom modernen Menschen zu unterscheiden“, schlussfolgert João Zilhão, Forscher an der Catalan Institution for Research and Advanced Studies und der University of Barcelona, der an beiden Studien beteiligt war, abschließend. „Auf der Suche nach den Ursprüngen von Sprache und entwickeltem menschlichen Wahrnehmungs- und Denkvermögen müssen wir deshalb viel weiter in unsere Vergangenheit zurückblicken: mehr als eine halbe Million Jahre, auf den gemeinsamen Vorfahren von Neandertalern und modernen Menschen.“

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Andreas Müller
Autor und Publizist
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