Bath (Großbritannien) – Um die Identität des Kaspar Hauser ranken sich seit dem Mord an Europas wohl berühmtesten Findel- und Waisenkind zahlreiche Mythen, Legenden und Verschwörungstheorien rund um eine angeblich königliche Abstammung. Letztere wird nun von einer neuen DNA-Analyse widerlegt.
Wie das internationale Wissenschaftlerteam um Professor Turi King von der University of Bath aktuelle im Fachjournal „iSciecne“ (DOI: 10.1016/j.isci.2024.110539) berichten, hatten schon zuvor verschiedene DNA-Analysen anhand von Kleider, Haar- und Blutproben versucht, die Identität des Kaspar Hauser zu lüften, führten jedoch immer wieder zu widersprüchlichen Ergebnissen.
Hintergrund
Als etwa 16-Jähriger tauchte Kaspar Hauser erstmals 1828 in Nürnberg auf. Geistig zurückgeblieben und kaum des Deutschen mächtig, behauptete später, er sei seit seiner Kindheit bei Wasser und Brot in einem dunklen Raum gefangen gehalten und sozial vernachlässigt worden. Diese Geschichte wurde von einem anonymen Brief gestützt, den Hauser bei seinem Auftauchen bei sich trug. Seine Geschichte sorgte damals international für Aufsehen. Schon zeitgenössische Gerüchte vermuteten, dass es sich Hauser, der 1812 geborene Erbprinz von Baden handeln könnte, der gegen einen sterbenden Säugling getauscht wurde, um einer Nebenlinie des Fürstenhauses die Thronfolge zu sichern.Historische Dokumente und Augenzeugenberichte scheinen jedoch diese „Prinzenlegende“ zu widerlegen. Letztere wurde Hausers Lebzeiten noch befördert, als König Ludwig I. von Bayern befahl, ihn rund um die Uhr bewachen zu lassen. 1966 zeigte Genanalyse, dass zumindest eine Hauser zugeschriebene Blutprobe nicht vom badischen Erbprinzen stammen konnte. Eine weitere Genanalyse von 2002 brachte aufgrund zahlreicher Widersprüche keine eindeutigen Ergebnisse. Am 17. Oktober 1829 wurde Hauser mit einer harmlosen Schnittwunde und am 14. Dezember 1833 mit einer tödlichen Stichwunde vorgefunden und behauptete, Opfer eines mysteriösen Attentäters gewesen zu sein. Kriminalwissenschaftliche Untersuchungen ergaben jedoch, dass es sich um Selbstverletzungen handelte, die sich Hauser vermeintlich aus Enttäuschung über das nachlassende öffentliche Interesse an seiner Person selbst zugefügt hatte.
Die „Prinzentheorie“ besagte, Kaspar sei der Sohn Großherzogs Carl und Stéphanie de Beauharnais, der als Neugeborenes entführt und durch ein todkrankes Baby ersetzt wurde, das nach wenigen Wochen starb. Dies würde Hauser zum rechtmäßigen Thronfolger darstellen und damit die Abstammungslinie des Hauses Baden verändern.
Mit neuen forensischen Methoden, die das Team um King bereits zur Identifizierung von Richard III. nutzte und mit der kleinere Fragmente alter DNA analysiert werden können, gelang es nun, einzelne Haarsträhnen analysieren und die Genauigkeit der Ergebnisse zu verbessern.
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Bei ihren Untersuchungen verglichen die Forschenden ihre eigenen neuen Ergebnisse mit früheren Forschungen, die Blutproben von Hausers Kleidung verwendeten, die im Kaspar-Hauser-Museum ausgestellt ist. Sie analysierten mitochondriale DNA (mtDNA), die mütterlicherseits vererbt wird, und bewiesen eindeutig, dass Hausers mtDNA-Typ nicht mit dem der Mitglieder des Hauses Baden übereinstimmt. Sollte das Blut auf dem Hause zugeschriebenen Hemd also tatsächlich von Kaspar Hauser stammen, würde das Ergebnis die „Prinzentheorie“ also widerlegen.
Hintergrund
Die zeitgenössische Konsequenzen der „(Erb-)Prinztheorie“ um Kaspar Hauser für das Haus Baden wären erheblich gewesen. Die Bestätigung der „Erbprinztheorie“ hätte erhebliche rechtliche, politische und gesellschaftliche Umwälzungen für das Haus Baden und seine Herrschaft mit sich gebracht:– Thronfolge und Machtansprüche: Die Legitimität der bestehenden Linie des Hauses Baden, die damals regierte, wäre infrage gestellt worden. Dies hätte zu einem Thronstreit geführt, da Kaspar Hauser als rechtmäßiger Erbe den Thron beanspruchen könnte. Dies hätte die gesamte politische Stabilität und Kontinuität des Hauses Baden gefährdet.
– Politische Unruhen: Die Enthüllung hätte möglicherweise politische Unruhen und Konflikte sowohl innerhalb des Großherzogtums Baden als auch in den umliegenden deutschen Staaten ausgelöst. Unterstützer und Gegner des jeweiligen Thronanspruchs hätten sich formiert, was zu Spannungen und möglicherweise sogar zu militärischen Auseinandersetzungen geführt hätte.
– Rechtliche und diplomatische Folgen: International hätte dies Auswirkungen auf die diplomatischen Beziehungen Badens mit anderen europäischen Mächten gehabt. Die Frage der Legitimität des Herrschers hätte auch internationale Interessen berührt, insbesondere wenn ausländische Mächte die Ansprüche Kaspar Hausers unterstützt hätten.
– Öffentliche Wahrnehmung und Vertrauen: Die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen der Bevölkerung in die herrschende Linie des Hauses Baden wären schwer beschädigt worden. Das Ansehen und die Autorität der herrschenden Fürsten hätten darunter gelitten, was zu einem Verlust an Loyalität und Unterstützung führen könnte.
– Untersuchungen und politische Säuberungen: Es wäre wahrscheinlich zu umfassenden Untersuchungen und möglicherweise politischen Säuberungen gekommen, um diejenigen zu identifizieren und zu bestrafen, die an der angeblichen Verschwörung beteiligt waren. Dies hätte eine Atmosphäre des Misstrauens und der Instabilität innerhalb der Regierung und des Adels geschaffen.
„Es ist aufregend, dass wir mit den neuesten Methoden die Frage klären und die Prinzentheorie widerlegen konnten. In beiden Fällen, Richard III. und Kaspar Hauser, haben wir mithilfe der Wissenschaft Jahrhunderte alte Mysterien gelöst“, so King abschließend. Die wahre Identität des Kaspar Hausers bleibe jedoch weiterhin ein Rätsel: „Seine mtDNA ist west-eurasisch, aber eine geografische Eingrenzung ist nicht möglich“, so King abschließend.
Recherchequelle: University of Bath
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