Bochum/Tübingen (Deutschland) – Zwei neue Studien zeichnen ein gänzlich neues Bild der kognitiven Fähigkeiten von Vögeln. Während ein Forschungsteam erstmals verblüffende Ähnlichkeiten zwischen dem Neocortex von Säugetieren und sensorischen Hirnarealen von Vögeln aufzeigt, gelang es einem anderen Team erstmals Bewusstseinsprozesse im Vogelgehirn nachzuweisen.
Wie das Team um Prof. Dr. Onur Güntürkün, Leiter der Arbeitseinheit Biopsychologie an der Fakultät für Psychologie der Ruhr-Universität Bochum (RUB) gemeinsam mit Kollegen und Kolleginnen aus Düsseldorf, Jülich und Aachen aktuell im Fachjournal „Science“ (DOI: 10.1126/science.abc5534) berichtet, sind manche Vögel zu erstaunlich kognitiven Leistungen in der Lage und das, obgleich ihr Gehirn im Vergleich mit dem von Säugetieren ziemlich unorganisiert erscheint. In ihrer Studie zeigen die Forscher und Forscherinnen nun aber erstmals verblüffende Ähnlichkeiten zwischen dem Neocortex von Säugetieren und sensorischen Hirnarealen von Vögeln und räumen auch mit 150 Jahren falscher Annahmen auf: Vögel und Säugetiere haben – gemessen an ihrer Körpergröße – die größten Gehirne. Ansonsten hätten sie allerdings wenig gemeinsam, so die Überzeugung der Wissenschaft seit dem 19. Jahrhundert: Säugetiergehirne verfügen über einen Neocortex: eine Hirnrinde, die aus sechs Schichten aufgebaut und senkrecht zu diesen Schichten in Kolumnen hochgradig geordnet ist. Vogelgehirne hingegen sehen aus wie Klumpen aus grauen Zellen.
„Angesichts der erstaunlichen kognitiven Leistungen, die Vögel vollbringen können, lag der Verdacht allerdings nahe, dass ihr Gehirn organisierter aufgebaut ist als gedacht“, so Güntürkün. Genau hierfür gelang den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen nun der Nachweis.
Im ersten Schritt der Untersuchungen kam eine neue, durch die Düsseldorfer und Jülicher Teams perfektionierte Methode zum Einsatz: Das sogenannte 3D polarized light imaging, kurz 3D-PLI, ist in der Lage, einzelne Nervenfasern, in denen Signale weitergeleitet werden, und deren Ausrichtung darzustellen. Die Untersuchung der Gehirne verschiedener Vögel ergab eine für die Forscher überraschende Organisation, die der im Säugetiergehirn ähnlich ist: Auch hier verlaufen die Fasern horizontal und vertikal genauso wie im Neocortex.
Weitere Experimente erlaubten es den Forschenden dann, mittels winziger Kristalle, die Nervenzellen in Hirnschnitten aufnehmen und in ihre kleinsten Verästelungen transportieren, die Vernetzung der Zellen im Vogelhirn genau zu untersuchen. „Auch hierbei zeigte sich der Aufbau in Säulen, in denen Signale von oben nach unten und umgekehrt weitergeleitet werden, und horizontale lange Fasern“, erläutert Güntürkün. Dieser Aufbau seisu allerdings nur in den sensorischen Bereichen des Vogelgehirns vorzufinden. Andere Bereiche, wie etwa assoziative Areale, sind anders organisiert.
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In einer weiteren, ebenfalls in „Science“ (DOI: 10.1126/science.abb1447) publizierten Studie belegen Neurowissenschaftler und Neurowissenschaftlerinnen der Universität Tübingen erstmals Bewusstseinsprozesse im Gehirn von Vögeln nach und belegen damit deren subjektive Wahrnehmung.
Wie die Forschungsgruppe um Professor Andreas Nieder darlegt, weisen die neurowissenschaftlichen Daten darauf hin, dass Krähen in der Lage sind, Sinneseindrücke bewusst wahrzunehmen – eine Fähigkeit, die man bisher nur bei Menschen und anderen Primaten belegen konnte.
Zum Thema
Durch Messung von Hirnsignalen können die Forscher und Forscherinnen erstmals den neurowissenschaftlichen Nachweis erbringen, dass Rabenvögel über subjektives Erleben verfügen. Durch gleichzeitige Aufzeichnung von Verhalten und Hirnaktivität konnte gezeigt werden, dass Krähen Sinneseindrücke bewusst wahrnehmen können. Bisher konnte diese Art des Bewusstseins nur bei Menschen und anderen Primaten nachgewiesen werden, die über völlig anders aufgebaute Gehirne verfügen als Vögel.
„Die Ergebnisse unserer Studie eröffnen eine neue Sichtweise auf die Evolution des Wahrnehmungsbewusstseins und seiner neurobiologischen Randbedingungen“, erklärt Nieder.
Hintergrund
Bei Menschen und unseren nächsten Verwandten im Tierreich, den Affen, wird die Fähigkeit zur bewussten Wahrnehmung in der Großhirnrinde lokalisiert. In der Forschung wird seit vielen Jahren diskutiert, ob auch Tiere mit einem völlig anders aufgebauten Gehirn ohne Großhirnrinde über ein derart wahrnehmendes Bewusstsein verfügen. Bislang aber fehlten dazu experimentelle neurologische Daten.
Um den Bewusstseinsprozessen bei Vögeln auf die Spur zu kommen, trainierten die Tübinger Wissenschaftler zwei Krähen, erläutert die Pressemitteilung der Universität: „Per Kopfbewegung sollten sie anzeigen, ob sie einen Reiz auf einem Bildschirm gesehen hatten oder nicht. Die meisten Reize waren eindeutig; in solchen Versuchsdurchläufen wurden entweder deutliche Lichtpunkte gezeigt oder gar keine Reize präsentiert ‒ die Krähen zeigten die An- und Abwesenheit dieser Reize zuverlässig an. Manche Reize waren allerdings konstant so schwach, dass sie an der Wahrnehmungsschelle lagen: Manchmal zeigten die Krähen an, den schwachen Reiz gesehen zu haben, in anderen Fällen, dass kein Reiz vorhanden sei. Hier kam also die subjektive Wahrnehmung der Krähen ins Spiel.“
Während die Krähen auf die optischen Reize reagierten, registrierten die Forscherinnen und Forscher zugleich die Aktivität einzelner Nervenzellen im Gehirn. Berichteten die Krähen, etwas gesehen zu haben, waren die Nervenzellen im Zeitraum zwischen Reizpräsentation und Verhaltensantwort aktiv. Nahmen sie keinen Reiz wahr, blieben die Nervenzellen stumm. Aufgrund der Aktivität der Nervenzellen ließ sich also vorhersagen, welches subjektive Erleben die Krähen hinsichtlich des Reizes hatten. „Nervenzellen, die Seheindrücke ohne subjektive Komponente repräsentieren, sollten auf einen gleichbleibenden visuellen Reiz immer gleich antworten“, erklärt Nieder: „Unsere Ergebnisse dagegen lassen nur den Schluss zu, dass Nervenzellen auf höheren Verarbeitungsstufen des Krähengehirns durch subjektives Erleben beeinflusst werden, oder genauer gesagt, subjektive Erlebnisse hervorbringen.“
Evolutionsgeschichtlich könnten die Ursprünge des Bewusstseins somit viel älter und im Tierreich weiter verbreitet sein, als bisher angenommen. „Die letzten gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Krähe lebten vor 320 Millionen Jahren“, so Nieder und führt dazu weiter aus: „Das Wahrnehmungsbewusstsein könnte möglicherweise bereits damals entstanden sein und sich seither weiter vererbt haben.“ Ein alternatives Szenario sei, dass sich das Wahrnehmungsbewusstsein bei diesen entfernt verwandten Arten völlig unabhängig voneinander entwickelt habe, erklärte der Neurobiologe: „In jedem Fall ist die Fähigkeit zu bewusstem Erleben mit verschieden gebauten Gehirnen und unabhängig von der Großhirnrinde realisierbar.“
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Quellen: Ruhr-Universität Bochum, Universität Tübingen, Science
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