Neue Simulation des Antikythera-Mechanismus – Hightech-Spielzeug oder astronomisches Werkzeug?
Mar del Plata (Argentinien) – Der sogenannte „Antikythera-Mechanismus“, ein rund 2.000 Jahre altes Artefakt aus der Antike, gibt Forschenden seit über einem Jahrhundert Rätsel auf und gilt vielen als erster mechanischer Computer der Welt. Eine neue Simulation der Funktionsweise des Apparates weckt nun jedoch Zweifel an dessen Funktionstüchtigkeit.

Copyright: Tilemahos Efthimiadis (via WikimediaCommons) / CC BY-SA 2.0
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Wie Prof. Esteban Guillermo Szigety und Dr. Gustavo Francisco Arenas von der Universidad Nacional de Mar del Plata vorab via ArXiv.org berichten, deuten ihre Analysen und die Simulation der Funktionsweise des Mechanismus darauf hin, dass der Mechanismus möglicherweise gar nicht so präzise war, wie bisher angenommen. Eventuell könnte es sich sogar eher um ein dekoratives Spielzeug oder ein Lernmodell, als um ein wirklich funktionales wissenschaftliches Gerät gehandelt haben .
Hintergrund
Der oft als antiker Computer bezeichnete Mechanismus von Antikythera wurde 1901 von Schwammtauchern in einem römischen Schiffswrack vor der Küste der griechischen Insel Antikythera entdeckt. Das Gerät besteht aus Bronzezahnrädern und Platten, von denen jedoch vermutlich heute nur noch etwa ein Drittel in Form von insgesamt 82 Fragmenten erhalten sind. Während frühere Studien zu einem fast vollständigen Verständnis der ursprünglich Grundmechanik beigetragen haben, war lange Zeit unklar, wie der Mechanismus mittels seiner Vorderseite betrieben und eingestellt werden konnte. 2005 offenbarten Röntgen-Scans zahlreiche Inschriften auf der Rückseite und den Innenteilen der Mechanismus. Diese halfen Wissenschaftlern, das Gerät besser zu verstehen. 2020 zeigten dann Röntgenbilder eines der Ringe des Mechanismus, bekannt als der Kalender-Ring, zahlreiche Löcher in regelmäßigen Abständen, die unter dem Ring verborgen liegen. Da der Ring jedoch zerbrochen und unvollständig war, war nicht klar, wie viele Löcher ursprünglich vorhanden waren. Erste Analysen von Antikythera-Forscher Chris Budiselic und Kollegen deuteten darauf hin, dass es wahrscheinlich zwischen 347 und 367 waren. Die gängige Deutung des Geräts sieht darin einen „antiken mechanischen Computer“ zur Berechnung astronomischer Ereignisse wie Mond- und Sonnenfinsternisse sowie der Positionen von Himmelskörpern oder der Berechnungen von Jahresfesten und sonstigen Feierlichkeiten.
Simulation zeigt mechanische Schwächen
Für ihre Studie erstellten die beiden Autoren eine detaillierte Computersimulation des Mechanismus, in die sie – im Gegensatz zu früheren Modellen – auch die dreieckigen Zahnräder mit einbezogen. Diese Zahnform beeinflusst, wie zuverlässig Zahnräder ineinandergreifen und wie genau die Anzeigen funktionieren. Zusätzlich simulierten sie Fertigungsungenauigkeiten, etwa ungleichmäßige Zahnradabstände.

Copyright/Quelle: Szigety u. Arenas, ArXiv.org 2025
Das überraschende Ergebnis: Der Mechanismus konnte nur etwa vier Monate in die Zukunft gedreht werden, bevor sich die Zahnräder verklemmten oder sich ausklinkten – vergleichbar mit einem modernen Drucker, der regelmäßig neu gestartet werden muss oder einer mechanischen Uhr. So oder so, bei einem Gerät, das eigentlich ein ganzes Jahr abbilden sollte, also ein deutliches Manko.
Verschiedene Erklärungsansätze
Für die beiden Wissenschaftler ergeben sich aus dem Ergebnis der Simulationen nun mehrere Deutungsmöglichkeiten: Eine davon ist, dass der Mechanismus nie als präzises Instrument gedacht war, sondern als eine Art technisches Spielzeug, vielleicht mit einer Anleitung, wie man ihn regelmäßig zurücksetzen musste – ähnlich der besagten mechanischen Uhr. Alternativ könnte er als Anschauungsmodell für Bildungszwecke gedient haben.
Allerdings spreche die aufwendige Handwerkskunst gegen die Spielzeug-Theorie. Wozu ein derart komplexes Gerät bauen, wenn es kaum praktische Funktion hatte? Die Forschenden halten es daher auch für möglich, dass hier entweder ein antiker Feinmechaniker einen reichen Geldgeber beeindrucken wollte oder – was wahrscheinlicher sein dürfte – unsere heutigen Messdaten verzerrt sind. Korrosion über zwei Jahrtausende und die begrenzte Auflösung moderner CT-Scans könnten die ursprüngliche Präzision des Mechanismus verfälschen. Vielleicht war der Mechanismus einst also doch viel genauer – und funktionstüchtiger – als er es heute erscheint.
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Was auch immer zutrifft: Der Antikythera-Mechanismus bleibt ein Meisterwerk antiker Technik. Er demonstriert das hohe ingenieurtechnische Niveau der damaligen Zeit und regt bis heute Spekulationen über seine wahre Funktion an. Ob nun astronomisches Werkzeug, Lehrmodell oder fehlerhaftes Luxusspielzeug.
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Recherchequelle: ArXiv.org
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