Wien (Österreich) – Die „Himmelsscheibe von Nebra“ gilt als die älteste astronomische Darstellung der Welt einer der am besten untersuchten archäologischen Funde der letzten Jahrzehnte. Eine neue Studie widerlegt nun einmal mehr jüngst erhobene Behauptungen, die „Himmelsscheibe“ sei rund 1000 Jahre jünger als bislang angenommen und stamme nicht aus der Bronze-, sondern aus der Eisenzeit.
Wie die 13-köpfige Forschergruppe um Ernst Pernicka vom Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie in Mannheim aktuell im Fachjournal „Archaeologia Austriaca“ (DOI: 10.1553/archaeologia104s89) berichtet, basiere die Behauptung, die Himmelsscheibe stamme aus der Eisenzeit, auf „unvollständigen und teilweise falschen oder verfälschend wiedergegebenen Daten“.
Hintergrund
Im Sommer 1999 fanden zwei Raubgräber auf dem Mittelberg bei Nebra in Deutschland einen Hort aus der frühen Bronzezeit (ca. 1600 v. Chr.), der aus der sogenannten „Himmelsscheibe von Nebra“, zwei Schwertern, zwei Beilen, zwei Armspiralen und einem Meißel bestand. Die Himmelsscheibe, die 2013 ins Weltdokumentenerbe der UNESCO aufgenommen wurde, misst ca. 32 cm im Durchmesser und zeigt die ältesten konkreten astronomischen Darstellungen der Welt.Seit ihrer spektakulären Sicherstellung durch die Schweizer Polizei im Jahre 2002 sind die „Himmelsscheibe von Nebra“ und ihr kulturelles Umfeld Gegenstand intensiver Forschungen, was sie zu einem der bestuntersuchten archäologischen Funde der letzten Jahrzehnte macht.
In einem 2020 erschienenen Aufsatz zweifeln die Prähistoriker Rupert Gebhard und Rüdiger Krause allerdings die in der Fachwelt allgemein akzeptierte Datierung der Himmelsscheibe an (…GreWi berichtete). Sie behaupten in ihrem Aufsatz „Kritische Anmerkungen zum Fundkomplex der sog. Himmelsscheibe von Nebra“ (Archäologische Informationen 43), dass der Hortfund keinen „geschlossenen Fund“ darstelle, die Himmelsscheibe möglicherweise gar nicht vom ermittelten Fundort stamme und somit als Einzelfund ohne Kontext in die Eisenzeit (ca. 800 bis 50 v. Chr.) zu datieren sei.
(Quelle: Pressemitteilung ÖAW)
Die Beweisführung beginne bereits beim Fundort, erläutern die Autoren und Autorinnen der Studie: „So ist die Authentizität der Fundstelle, des Mittelberges bei Nebra, seit langem zweifelsfrei gesichert. Das bestätigen nicht nur die gerichtlichen Aussagen der Raubgräber und eines Hehlers, sondern auch die Nachuntersuchungen des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt.“ Durch Markierungen im Gelände, eine von den Raubgräbern weggeworfene Wasserflasche, die Spuren der von ihnen benutzten Hacke sowie erhöhte Gold- und Kupferkonzentrationen im Sediment, die durch die lange Lagerung der Himmelsscheibe erklärt werden können, lasse sich der Fundort exakt lokalisieren. „Auch die Übereinstimmung der Bodenproben von der Fundstelle mit Erdanhaftungen an der Himmelsscheibe und an einem der mitgefundenen Schwerter sowie Anhaftungen an einem Bronzebeil sprechen schließlich für eine Herkunft vom Mittelberg.“
In ihrer Arbeit zeigen die Forscherinnen und Forscher nun zudem, dass die Zusammengehörigkeit der auch durch die Untersuchung des Kupfers für die Himmelsscheibe und der Beifunde bewiesen werden. „Wie Spurenelemente und Bleiisotopenverhältnisse zeigen, stammt das Kupfer für beides aus derselben Lagerstätte im Salzburger Land. Die Produktion dieses ostalpinen Kupfers beginnt in der frühen Bronzezeit (18. Jh. v. Chr.) und endet mit dem 9. Jahrhundert v. Chr. – also ein Jahrhundert vor dem Beginn der Eisenzeit.
Das verwendete Gold stammt aus dem Gebiet des Carnon River in Cornwall, wo für das 17./16. Jahrhundert v. Chr. ein Abbau nachgewiesen ist. Und schließlich folgt die Zusammensetzung des Nebraer Hortes einem Muster, das auf die frühe Bronzezeit begrenzt ist.“
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Bereits mit dem Nachweis des Fundortes und der Zusammengehörigkeit der Funde brechen demnach laut den Forschenden zwei wesentliche Grundannahmen der Kritiker, nämlich dass die Himmelsscheibe von Nebra ein Einzelfund und daher nur stilistisch einzuordnen ist, als Voraussetzung für eine eisenzeitliche Datierung zusammen.
Gegen eine Einordnung der Funde in die Eisenzeit sprechen aber auch weitere chemische und archäologische Erkenntnisse: „So korrelieren die Zinn- und Bleiisotopenverhältnisse der Funde aus dem Nebraer Hort mit zahlreichen anderen frühbronzezeitlichen Objekten.“
Auch die Herstellungs- und Verzierungstechnik spreche ebenfalls gegen ein eisenzeitliches Alter, insbesondere die Darstellung eines Schiffes auf der Himmelsscheibe sei ein für die Bronzezeit typisches Motiv, das in der Eisenzeit unbekannt ist.
Zum Thema
Um die Himmelsscheibe in die Bronzezeit zu datieren, nutzen die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zuletzt auch Radiokarbondaten, die anhand organischer Reste an einem der Schwerter gewonnen werden konnten. Diese datieren den Fund in die Zeit um 1600 v. Chr. Die Zusammengehörigkeit der Himmelsscheibe mit den Beifunden wiederum werde durch deren ähnliche chemische Zusammensetzung und die übereinstimmenden Erdanhaftungen erhärtet.
Somit bestehe „kein Zweifel daran, dass die Himmelsscheibe von Nebra längere Zeit in Gebrauch war, was sich aus mehreren Umgestaltungsphasen ableiten lässt“, so sie Autoren und Autorinnen der Studie abschließend. „Am Ende der frühen Bronzezeit wurde sie dann aber mit den Beifunden dem Boden anvertraut. Zum Beginn der Eisenzeit war sie somit schon lange begraben.“
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Quelle: ÖAW
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