Neue Studie weckt Zweifel an Schlüsselannahme zum Beweis für die Existenz Dunkler Energie
Seoul (Südkorea) – Dunkle Energie ist ebenso das Zauberwort wie ein bislang immer noch nicht direkt nachgewiesenes theoretisches Konstrukt, mit dem Astrophysiker das sich offenbar immer schneller ausdehnende Universum zu erklären versuchen. Für den Nachweis dieser Ausdehnung erhielten Physiker 2011 den Nobelpreis für Physik. Ihren Beweis erbrachten die Forscher damals mit Hilfe von Sternenexplosionen, sogenannter Supernovae vom Typ Ia. Neue Untersuchungen genau dieser sog. kosmischen Standardkerzen zeigen nun jedoch, dass diese Schlüsselannahme höchstwahrscheinlich falsch ist.
Hintergrund
Schon in den 1920er Jahren entdeckten Astronomen wie Edwin Hubble, dass sich das Universum stetig ausdehnt – scheinen doch alle Galaxien sich voneinander fortzubewegen. Anhand dieser sogenannten kosmischen Expansion lässt sich zurückrechnen, dass das Universum vor rund 13,7 Milliarden seinen Anfang in einem extrem dichten und heißen Zustand nahm – dem sogenannten Urknall. Jahrzehntelang galt danach für die Kosmologie der Grundsatz, dass diese Ausdehnung des Universums sich durch die Schwerkraft der Materie langsam abbremsen müsse. Um genau diese angenommene Verlangsamung nachzuweisen, nutzen in den 1990er Jahren zwei Forscherteams Supernovae vom Typ Ia, da angesichts dieser fernen Sternenexplosionen ein deutlicher Zusammenhang zwischen deren maximaler Helligkeit und dem zeitlichen Verlauf dieser Lichtkurve vorliegt. Diese Supernovae vom Typ Ia können also zur kosmischen Geschwindigkeits- und Entfernungsmessung genutzt werden. Auf diese Weise können Astrophysiker diese Phänomene also als „kosmische Standardkerzen“ nutzen, um so die Geschwindigkeit abzulesen, mit der sich das beobachtete Objekt von uns entfernt, sich also der Kosmos über die beobachtete Distanz ausdehnt. Zugleich kann anhand der Beobachtungsdaten die Evolution des Universums rekonstruiert werden. Zur eigenen Überraschung stellten die beiden Wissenschaftsteams um Saul Perlmutter, Brian P. Schmidt und Adam G. Riess jedoch unabhängig voneinander fest, dass anhand der Beobachtungsdaten keine Verlangsamung sondern stattdessen sogar eine Beschleunigung des Universums ablesbar ist – ein Nachweis, der ihnen 2011 den besagten Nobelpreis brachte. Als Erklärung für das beschleunigte Auseinanderstreben des Universums wurde in der Folge dann die Vorstellung von der Dunklen Energie geprägt – einer hypothetischen Energieform des Vakuums, die die beobachtete Beschleunigung antreiben soll Weitere Messungen ergaben dann, dass diese Dunkle Energie sogar bis zu 72 Prozent des Masse-Energie-Inhalts des Universums ausmacht.
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Nun jedoch berichtet ein Astronomenteam der südkoreanischen Yonsei-Universität zusammen mit Kollegen der der Université de Lyon und des Korea Astronomy and Space Science Institute (KASI), dass die Schlüsselannahme dieses Nachweises höchstwahrscheinlich falsch sei: „Die direktesten und stärksten Belege für das beschleunigende Universum mit Dunkler Energie liefern die Entfernungsmessungen mit Supernovae vom Typ Ia (SN Ia) für die Galaxien mit hoher Rotverschiebung. Dieses Ergebnis basiert auf der Annahme, dass sich die korrigierte Leuchtkraft von SN Ia durch die empirische Standardisierung nicht mit Rotverschiebung entwickeln würde.“ Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler vorab via ArXiv.org veröffentlicht, wurden aber auch schon für die Publikation in der Januar-Ausgabe des „Astrophysical Journal“ akzeptiert.
Die Zweifel kamen den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern um Prof. Young-Wook Lee von der Yonsei University anhand ihrer neusten spektroskopischen Beobachtungen mit sehr hoher Qualität (einem Signal-Rausch-Verhältnis ~ 175), mit denen die meisten der bekannten Galaxien mit Supernovae vom Typ Ia untersucht haben, anhand derer die bislang direktesten und verlässlichsten Messungen der Alter der Wirtsgalaxien möglich sind.
Die Astronomen fanden einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Supernova-Leuchtkraft und dem Alter der Sternpopulation mit einer statistischen Sicherheit von 99,5 Prozent.
Die vorgelegte Studie sei „der direkteste und strengste Test, der jemals für die Leuchtkraftentwicklung von SN Ia durchgeführt wurde“, berichten die Forscher und erläutern dazu weiter: „Da SN-Vorläufer in Wirtsgalaxien mit Rotverschiebung (Rückblickzeit) jünger werden, deutet dieses Ergebnis unweigerlich auf eine ernsthafte systematische Verzerrung mit Rotverschiebung in der SN-Kosmologie hin. Gemessen an den Nominalwerten ist die Leuchtkraftentwicklung von SN damit signifikant genug, um die Existenz von Dunkler Energie in Frage zu stellen.“ Unter Berücksichtigung der beschriebenen Leuchtkraftentwicklung von Supernovae stellte das Team sogar fest, „dass die Beweise für das Vorhandensein von Dunkler Energie einfach verschwinden (s. Abb.).
„Außergewöhnliche Behauptungen erfordern auch außergewöhnliche Beweise, aber ich bin nicht sicher, ob wir solche außergewöhnlichen Beweise für die Existenz der Dunklen Energie auch wirklich haben“, gibt Lee zu bedenken. „Unser Ergebnis zeigt, dass Dunkle Energie aus als Ergebnis der SN-Kosmologie, die 2011 zum Nobelpreis für Physik führte, ein Artefakt einer schwachen und falschen Annahme sein könnte.“
Allerdings zitieren Kosmologen neben den Ia-Standardkerzen auch andere kosmologische Phänomene als wenn auch indirekten Belege für die Dunkle Energie, wie etwa den kosmischen Mikrowellenhintergrundstrahlung (engl.: cosmic microwave background, CMB) und die „baryonischen akustischen Oszillationen“ (BAO), liefern bekanntermaßen auch indirekte.
Hierzu geben die Autoren der aktuellen Studie allerdings zu bedenken, dass jüngste Beobachtungen, etwa auf der Grundlage der Vermessungen des CMB mit dem Planck-Teleskop ebenfalls Zweifel am bisherigen Standardmodell erwecken und der Ruf nach einer „neuen Physik“ immer lauter werde (…GreWi berichtete, siehe Links u.) Zudem hätten einige Forscher gezeigt, dass die BAO und andere kosmologische Phänomene mit niedriger Rotverschiebung auch mit der Vorstellung von einem sich nicht beschleunigenden Universum ohne Dunkle übereinstimmen können (siehe zum Beispiel Tutusaus et al. 2017).
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Quelle: Yonsei University, ArXiv.org
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