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Neue Theorie: War das Turiner Grabtuch in Wirklichkeit eine Tischdecke aus Burton

Das Turiner Grabtuch im Negativ mit Vergrößerung der Gesichtspartie. Copyright: Kollage: grewi.de mit Materialien von: 1978 Barrie M. Schwortz Collection, STERA, Inc.
Das Turiner Grabtuch im Negativ mit Vergrößerung der Gesichtspartie.
Copyright: Kollage: grewi.de mit Materialien von: 1978 Barrie M. Schwortz Collection, STERA, Inc.

Burton on Trent (Großbritannien) – Gläubigen gilt es als die heiligste Reliquie der Christenheit, Skeptikern als eine clevere mittelalterliche Fälschung: Das sogenannte Grabtuch von Turin. Ein britischer Laienhistoriker präsentiert nun seine ganz eigene Theorie darüber, was das umstrittene Leinen tatsächlich war: Eine zum Schutz einer Statue umfunktionierte Tischdecke. Zudem sei der „Mann auf dem Tuch“ auch nicht Jesus. Allerdings hat die Theorie so einige Haken.

Wie StaffordshireLive berichtet, ist David Adkins (der von der Zeitung als „Historiker und Anthropologe“ beschrieben wird) fest davon überzeugt, dass es sich bei dem “Grabtuch von Turin” nicht um das Grabtuch Jesu, sondern ursprünglich um ein mehr oder weniger gewöhnliches mittelalterliches Tischtuch aus der Burton Abbey in der Grafschaft Staffordshire handelt. Mit diesem Tischtuch sei einst auch kein Leichnam, sondern eine Alabaster-Statue des legendären Fischerkönigs aus der Arthus-Sage umwickelt gewesen

Hintergrund
Schon seit Jahrhunderten stellt das sogenannte Turiner Grabtuch Wissenschaftler wie Laienforscher vor zahlreiche Rätsel. Während Skeptiker darin lediglich eine kunstvolle Fälschung des Spätmittelalters vermuten, sehen Gläubige in dem Leinen, auf dem das Körperbild eines gekreuzigten Mannes mit Wunden und Spuren einer Dornenkrone zu sehen ist, das Grabtuch Christi und verehren es als eine der heiligsten christlichen Reliquien.

Während eine Radiokarbondatierung (C14) das Alter des Leinens zunächst ins Mittelalter datierte und somit eine Fälschung der Reliquie nahelegte, gibt es mittlerweile Zweifel an der Richtigkeit der Datierungen (…GreWi berichtete). Seither streiten sich Grabtuchforscher und deren Skeptiker über das Für und Wider angeblicher Beweise und Gegenbeweise für die Echtheit des Leinens im Sinne des Grabtuchs Jesu. Weiterführende Informationen finden Sie am Ende dieser Meldung unter „Weitere Meldungen zum Thema“.

Als Indizien und Beweise für seine Theorie führt Adkins zunächst Spuren von Gips an, wie sie auf dem Turiner Grabtuch gefunden worden sein sollen. Gips wiederum sei eine wichtige Zutat der Alabaster-Produktion, für die die Adkins Heimatstadt Burton on Trent bekannt war, lange bevor es sich mit seinen Brauereierzeugnissen einen Namen machte. Hinweise dafür, dass es sich einst um eine profane Tischdecke gehandelt haben könnte, sieht Adkins zudem in Spuren von Fisch- und Gemüseresten, wie sie ebenfalls auf und in dem Grabtuch nachgewiesen wurden – Speiseresten also, die für mittelalterliche Mahlzeiten eines Klosters typisch seien, so der Forscher.

„Zudem Burton und das dortige Kloster im Mittelalter Dank der ortsnahen Gips-Minen für seine Alabaster-Produktion und Kunstwerke weit bekannt. (…) Als die Tempelritter (von deren Verbindung zur Burton Abbey der Forscher ebenfalls überzeugt ist) 1307 aus Frankreich fliehen mussten, fanden sie eine Zuflucht in Burton und hier haben sie ganz sicher eine Statue erschaffen, die an dieses Ereignis erinnern sollte. (…) In der mittelalterlichen Vorstellung gab es nur ein Symbol für den sagenhaften Templerschatz und den Heiligen Gral und dieses Symbol war der Fischerkönig (Amfortas).“

Anmerkung GreWi: Obwohl David Adkins von verschiedenen Lokalzeitungen, die diese und frühere Theorien des Forschers aufgegriffen haben, immer wieder als Historiker und/oder Anthropologe bezeichnet wird, taucht sein Name in diesem Kontext in keinen wissenschaftlich-akademischen Publikationen, noch in Bezug zu einer wissenschaftlichen Einrichtung auf. Stattdessen gibt es lediglich Zeitungsberichte in britischen Lokalblättern, die sich der meist abenteuerlichen Ideen und Theorien Adkins angenommen haben. So ist Adkins davon überzeugt, dass die Templer samt ihrem sagenhaften Templer-Schatz Zuflucht in der Burton Abbey genommen hatten und der Schatz auch heute noch in einer gewaltigen unterirdischen Höhlenanlage unterhalb eines mittelalterlichen Landsitzes nahe Burton on Trend (Sinai House) befinden könnte – gemeinsam mit der Bundeslade und dem Heiligen Gral. Bis zum Redaktionsschluss dieser Meldung war allerdings keine akademisch-wissenschaftliche Referenz zu Arbeiten und Publikationen von David Adkins bekannt, die ihn als das ausweisen, was er selbst offenbar gegenüber Journalisten behauptet, wenn er von sich als „Historiker“ und/oder „Anthropologen“ spricht. Sollten weitere Informationen das Gegenteil belegen, wird diese Meldung entsprechend aktualisiert.

Adkins ist davon überzeugt, dass ortsansässige Künstler also eine lebensgroße Statue des Fischerkönigs erschaffen haben, die in der Abtei stand und nach dem Wiederaufbau des Klosters hier vermutlich in einem Kellerraum und geschützt unter einer ehemaligen langen Tischdecke aufbewahrt wurde. „Es ist gut möglich, dass diese Statue hier mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte im Verborgenen schlummerte, bis die neue Abtei fertiggestellt wurde. Als die Mönche das schützende Leintuch dann entfernten, stellten sie fest, dass der Alabaster mit Chemikalien und der Feuchtigkeit zu einem Abdruck der Statue auf dem Leinen reagiert hatte.“

Anm. GreWi: Hinweise darauf, welcher chemische Vorgang konkret für das bis heute Abbild auf der angeblichen Abtei-Tischdecke verantwortlich sein soll – wie genau das Abbild auf das Turiner Grabtuch gelangte und wodurch es sich überhaupt vom sonstigen Leinen abzeichnet, ist wissenschaftlich bislang noch nicht eindeutig geklärt – liefern zumindest die Ausführungen und Zitate Adkins‘ in den britischen Lokalmedien nicht.

Als besonderen Hinweis darauf, dass es sich um den „Fischerkönig“ Amfortas handelt, beruft sich Adkins auf die Position und Haltung der Hände des „Mannes auf dem Grabtuch“: „Eine Hand ist unnatürlich lang. Das kann nie und nimmer der Abdruck einer wirklichen Hand sein. Auch die Haltung der Hände vor dem Schambereich ist ungewöhnlich und wäre anhand einer eingewickelten Leiche so nur schwer möglich gewesen. Stattdessen sei diese Position und die verlängerte Hand aber ideal, um so nicht nur die Genitalien zu bedecken, sondern auch um auf die Wunde des Amfortas hinzuweisen (Anm. GreWi: Amfortas gilt als der an der Leiste „verwundete König“). Im Mittelalter wäre dies für jedermann ein eindeutiger Hinweis auf die Identität der dargestellten Figur gewesen.“

Vorder- und Rückseite des Turiner Grabtuchs.
Vorder- und Rückseite des Turiner Grabtuchs.

Die offenkundige Ähnlichkeit mit Jesus sei es gewesen, anhand derer die Geschichte vom angeblichen Grabtuch Jesu ihren Anfang genommen habe, so Adkins. Die Mönche, die den unsagbaren Wert dieses Objekt erkannt hatten, fügten dem Abbild (laut dem Forscher) nur noch die klassischen Merkmale eines Gekreuzigten in Form der Dornenkrone und ihrem eigenen Blut hinzu, und fertig war das „Grabtuch Christi“, das aufgrund des europäischen Reliquien-Hypes im 14. Jahrhundert sicherlich einen unvorstellbaren Preis erzielt habe.

Allerdings: Die Statue, die Adkins Theorie unwiderlegbar beweisen könnte, fehlt in der Reihe seiner Indizien. „Vermutlich wurde sie von den Mönchen zur gleichen Zeit zerstört, als sie den Plan fassten, das Leinen als Grabtuch Christi zu verkaufen. Nur für den Fall, dass jemandem die Ähnlichkeit zu dem Abbild auf dem Tuch aufgefallen wäre.“

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Auch die berühmte Radiokarbondatierung, die in den 1980er-Jahren an Proben des Grabtuchs durchgeführt wurde und dieses zwischen die Jahre 1260 und 1390 datierte, deutet Adkins im Sinne seiner Theorie. „Die einstige Tischdecke könnte also gut etwa 1260 hergestellt und viele Jahre für genau diesen Zweck und später zum Schutz der Statue in der Abtei verwendet worden sein.“ Dabei übersieht der Forscher allerdings, dass genau diese Datierung mittlerweile von einer zunehmenden Anzahl von Forschenden, Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen infrage gestellt wird.

Hintergrund
1988 erhielten die Universitäten Arizona, Oxford und Zürich Materialproben, die ein Wissenschaftlerteam aus dem von Gläubigen und der katholischen Kirche auch als „Grabtuch Christi“ bezeichneten Leintuch zur Altersbestimmung zuvor entnommen hatte. Tatsächlich schien der Fall danach klar, stimmten alle beteiligten Wissenschaftler und Institute doch in ihrer Datierung des Tuchs in den Zeitraum von 1260 bis 1390 überein. Eine spätmittelalterliche Fälschung des Leinens schien damit wissenschaftlich eindeutig bewiesen.

Das Problem: Bei den Proben handelte es sich lediglich um kleinste Faserproben, die selbst wiederum nur von einem Fragment stammten, das vom Rand des 4,36 Meter langen und 1,10 Meter breiten Leinentuchs, nicht aber von jenen Teilen des Tuchs entnommen wurden. Tatsächlich stammten die untersuchten Proben also ausschließlich vom Rand des Leinens und nicht von verschiedenen Stellen – geschweige denn von jenen Stellen, an denen sich das hitzig diskutierte Körperabbild selbst abzeichnet. Und es ist genau dieser Rand, der offenbar im Laufe der vergangenen Hunderten von Jahren immer wieder ausgebessert wurde – nicht zuletzt bei Restaurierungsversuchen in Folge eines Brandes im Jahre 1532, bei dem Teile der Reliquie beschädigt wurden. Es ist nicht zuletzt dieser Umstand, der nicht nur unter Befürwortern des Leintuchs als das „Grabtuch Christi“, sondern auch mittlerweile von Mitgliedern der einstigen wissenschaftlichen Untersuchungskommission der University of Oxford kritisiert und als mögliche stark verzerrende Fehlerquelle der Datierung angemahnt wurde und wird (…GreWi berichtete).

Auch sonst bleibt Adkins‘ Theorie bzw. Idee vom Turiner Grabtuch als „Tischdecke von Burton“ an vielen Teilen oberflächlich und bezieht nicht die neusten Erkenntnisse zu den in den letzten Jahren entdeckten Merkmalen des Turiner Grabtuchs ebenso wenig mit ein, wie sich darum drehenden Kontroversen, wie sie von Verfechtern der Echtheit des Leinens als auch von Kritikern und Skeptikern der Vorstellung vom „Grabtuch Jesu“ aufgezeigt und diskutiert wurden (siehe folgende weiterführenden Links).

David Adkins hofft nun, dass die von ihm postulierte Statue des Fischerkönigs gar nicht zerstört, sondern vergraben wurde und sich heute noch auf dem Gelände der Abtei finden lassen könnte. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass Adkins ebenfalls bis heute den Nachweis der gewaltigen Höhle unterhalb von Sinai House und den darin angeblich befindlichen Schatz der Tempelritter, die Bundeslade und den Heiligen Gral schuldig bleibt. Bis zu diesem Fund, dürften seine doch sehr eigenwilligen Theorien zwar bei britischen Lokalzeitungen für wiederkehrende Meldungen, aber weder bei Verfechtern des Leinens als heiligste Reliquie der Christenheit noch bei deren Kritikern für allzu große Kontroversen sorgen.

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Recherchequelle: u.a. StaffordshireLive, eigene Recherchen grenzwissenschaft-aktuell.de

© grenzwissenschaft-aktuell.de

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Andreas Müller
Fachjournalist Anomalistik | Autor | Publizist
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